BANKINGNEWS: Deutschland wird mit etwa 2000 Kreditinstituten gerne als „overbanked“ bezeichnet. Ihr habt nun noch eine Bank gegründet. Ergibt das Sinn?
Marko Wenthin: Die erste Frage ist, ob wir „overbanked“ oder eher „overbranched“ sind. In Deutschland gibt es immer noch über 30.000 Filialen. Wir sind nicht als klassische Bank, sondern als Tech-Unternehmen an den Markt gegangen. Wir haben festgestellt, dass Fintechs und Digital-Unternehmen einen Partner brauchten, der genauso denkt wie sie. Um das umzusetzen, brauchen wir eine Banklizenz.
Damit seid ihr in Deutschland das erste Fintech, das eine Banklizenz bekommen hat.
Ich würde sogar sagen europaweit. Es gibt in den USA die ein oder andere Firma, die auch mit Lizenzen agiert. In Europa ist es in der Tat so, dass wir als reines Technologieunternehmen mit Banklizenz auf unserer Plattform wirklich alleine dastehen.
„Fintechs sind nur so schnell wie ihre Partner“
Viele Fintechs in Deutschland machen es anders: Sie gründen Unternehmen mit einer neuen Idee für die Finanzwirtschaft und hängen sich an eine White-Label-Bank, um die Regulatorik in den Griff zu kriegen.
Ich glaube, dass Fintech-Firmen gegründet werden, weil sie ein Problem sehen, dass sie lösen möchten. Um dieses Problem lösen zu können, müssen sie mit jemandem zusammenarbeiten oder eine Lizenz haben. Da gibt es die ZAG-Lizenz – die Banklizenz light – oder eine Banklizenz, zu der eine entsprechende Kapitalausstattung und Erfahrung gehört. Deswegen suchen sie sich einen Partner. Da gibt es schon ein paar klassische Banken, die als White-Label unterwegs sind. Jedes Fintech kann aber nur so schnell sein wie sein Partner. Und die Geschwindigkeit wird vom langsamsten Glied im Zug vorgegeben.
Ist das die Gründungidee? Zu sagen: „Wir als Tech-Unternehmen brauchen eine eigene Vollbanklizenz.“
Ziemlich genau so. Genauso wie die Fintechs ein Endkundenproblem lösen wollen, wollen wir auch ein Problem lösen – und zwar das der Fintechs und anderer Digital-Unternehmen, die einen Banking-Partner brauchen. Dieser Partner sind wir. Mit dem gleichen Mindset wie die Unternehmen selbst.
Welche Unternehmen sind das?
Wir kommen aus dem Fintech-Bereich, daher sind es vornehmlich Fintech-Unternehmen. Wir unterscheiden zwischen First-View-Fintechs wie z.B. Savedo, WeltSparen oder Barzahlen, die auf den ersten Blick in diese Kategorie eingeordnet werden können. Davon gibt es in Deutschland etwa 400. Dann haben wir gesehen, dass es Digital-Unternehmen gibt, die schon sehr etabliert sind, ihre Geschäftsmodelle erweitern wollen und damit bewusst oder unbewusst in den Bereich der Regulierung hineinrutschen, weil sie selbst Finanzprodukte auflegen wollen. Insofern sind unsere Kunden Digital-Unternehmen im weiteren Sinne, also First- und Second-View-Fintechs.
Gibt es Beispiele?
Das sind zwar keine direkten Kunden von uns. Aber große Unternehmen wie eBay, Zalando, Scout oder Check24, die nicht aus dem Fintech-Bereich kommen, denken daran, ihre Geschäftsmodelle in den Finanzbereich auszuweiten. Wir bauen keine fertigen Produkte, das machen die alleine. Die haben selbst wunderbare Ideen und brauchen das Handwerkszeug dafür.
„Wir haben das geilste Team“
Ihr behauptet, das „beste Team im Tech-Banking“ zu haben. Was zeichnet diese Mitarbeiter aus, damit die Bezeichnung gerechtfertigt ist?
Auch wenn es etwas abgedroschen klingt: Es kommt hier nicht auf den einzelnen an, sondern auf das Team. Und das Team ist deutlich mehr als die Summe der einzelnen. Wir haben hervorragende Mitarbeiter, die echte Banker sind. Ich mache selbst seit 25 Jahren Banking, habe Firmen gegründet, weshalb ich mich auch als Entrepreneur sehe, und habe Tech-Unternehmen gegründet, weshalb ich mich auch als Techi sehe. Dann haben wir aber auch Hardcore-Techis dabei, die sehr gute Entwickler sind. Unser CTO Peter Grosskopf beispielsweise hat noch nie im Banking gearbeitet, hat Tech-Firmen gegründet und kann Mitarbeiter aus diesem Bereich begeistern. Durch die Banklizenz werden wir als Bank wahrgenommen. Wir müssen aber die Leute an uns binden, die aus unterschiedlichsten Gegenden kommen, sei es regional oder im Themenbereich. Wir wollen nicht nur klassische Banker haben. Die Mischung macht’s. Deswegen sagen wir: „Das ist das geilste Team, das es in diesem Bereich gibt.“
Wie verhält sich die Mischung klassische Banker zu Nicht-Bankern?
Es sind etwa 30 Prozent klassische Banker, die natürlich auch sehr offen sind und Banking verändern wollen, und 70 Prozent, die noch nie in einer Bank gearbeitet haben.
Es ist gerade „in“, Labs zu gründen – am besten in Berlin und am besten mit hippen Leuten. Die Banken kommen langsam aus den Puschen, aber da sind es 90 Prozent klassische Banker und 10 Prozent, die etwas verändern wollen. Ist es ein extremer Vorteil, in einer Firma mit Vollbanklizenz solch eine Start-up-Kultur zu haben?
Das ist definitiv etwas Gutes. Man muss es aber auch in zwei Teilen betrachten: Was sind letztlich diese Labs in großen Finanzunternehmen? Da geht es seltener darum, wirklich die Innovation voranzutreiben. Es reicht nicht aus, einen Raum hinzustellen, in dem bunte und blinkende Sachen durch die Gegend fliegen. Sondern es muss richtig Geld in die Hand genommen, die Kultur nach vorne getrieben und das gesamte Unternehmen verändert werden. Das ist extrem schwierig. Die Leute sind ja alle nicht doof, sondern sehr gut. Wenn man aber eine so große Legacy mit sich herumträgt, viele Mitarbeiter, 20-30 Jahre alte Technik, dann ist es extrem schwierig, etwas zu verändern. Ich vergleiche ein Lab gerne mit dem Genfer Autosalon, auf dem ganz wunderbare Studien stehen, die zeigen, wohin sich die Automobilbranche in zehn Jahren vielleicht entwickelt. Die Frage ist: Wie relevant ist das tatsächlich für die Realität dieses Unternehmens? Oder zeigt man einfach nur, was gehen könnte? Das ist de facto Marketing, ein PR-Gag.
„Viele bunte Blingblings bringen nichts“
Ich frage mich immer, warum sie es nicht einfach machen.
Das ist genau der Punkt, warum wir gesagt haben: „Wir machen es einfach!“ Sich hinzustellen mit vielen bunten „Blingblings“, bringt nichts. Es scheitert nie an den Ideen, es scheitert immer an der Umsetzung. Schau dir unser Office an. Würdest du denken, dass das ein Lab ist? Nein. Wir setzen das um, was andere nur in bunten Broschüren beschreiben. Das ist der große Unterschied.
„Eine Banklizenz beantragt man nicht aus einer Bierlaune heraus“
In den letzten Jahren wurden so gut wie keine neuen Banken gegründet. Vor allem Start-ups, die sich um eine Lizenz bewerben, beklagen den hohen Zeit- und Kostenaufwand. Könnt ihr die Kritik an den Prozessen der Bafin aus eigener Erfahrung bestätigen?
Die Entscheidung, eine Bank zu gründen bzw. eine Banklizenz zu beantragen, trifft man ja nicht in einer Bierlaune. Man schaut, ob man die Leute, die finanzielle Ausstattung und die Stamina dafür besitzt, ob es einen Markt für die Ideen gibt und ob ein „Sense of urgency“, also die Notwendigkeit, besteht. All diese Fragen haben wir mit Ja beantwortet, bevor das hier alles losgegangen ist. Interessant ist, dass wir sowohl aus dem Markt als auch von den Regulatoren recht offen empfangen wurden, weil wir aus dem Fintech-Bereich bekannt waren. Es wurde auf den ersten gewartet, der das auch wirklich durchzieht. Natürlich ist eine Bankgründung kein Spaziergang. Du kannst nicht wie in einer anderen Firma einfach bootstrappen, 50.000 Euro in die Hand nehmen und irgendwas aufbauen. Das geht einfach nicht. Du musst in der Lage sein, Beträge im zweistelligen Millionenbereich aufwenden zu können, um die Mindestkapitalanforderung zu erfüllen und die damit zusammenhängenden Kosten bewältigen zu können. Insofern ist die Zeitschiene auch extrem wichtig. Würde ich es noch einmal machen? Nach unseren Erfahrungen definitiv ja. War ich am Anfang skeptisch? Definitiv ja, sehr skeptisch. Aber wir haben in der Truppe entschieden, dass wir diesen Weg gehen, und wurden mit jedem Tag überzeugter davon, dass wir es machen müssen. Das geht aber nur mit dem richtigen Team. Wir hatten von Anfang an ein sehr gutes Verhältnis zur Bafin, weil wir dafür sorgen, dass Fintechs und Digital-Unternehmen, die in diesen Bereich gehen, compliant arbeiten und die Compliance im Markt insgesamt steigt. Da war die Bafin von vornherein froh, dass ihr Arbeit abgenommen wird. Und sie glaubt unserem Team, dass es das auch wirklich leisten kann. Andreas Bittner, Thomas Schmidt und auch ich kennen die Regulatorik und die Bafin seit Jahren und können daher die Erwartungen auch umsetzen.
„Die Fintechs werden die Banken nicht ablösen“
Ist das jetzt Best Practice und die ersten Konkurrenten beantragen schon Banklizenzen?
Klar, das wird passieren. Das finde ich aber auch nicht schlimm. Es ist kein „The-winner-takes-it-all-Markt“. Es wird sich sehr viel bewegen, aber die Fintechs werden die Banken nicht ablösen. Wir werden auch in Jahren noch die großen Banken sehen, weil sie viele Kunden und den Vertrauensfaktor haben. Aber so, wie sie heute arbeiten, wird es sie in ein paar Jahren nicht mehr geben. Sie werden sich ändern. Die Fintechs und Digital-Unternehmen sind Katalysatoren der Entwicklung. Es werden sich sehr viele zusammenlegen, Banken werden Fintechs übernehmen und diese Sache nach vorne treiben. Daher glauben wir, dass es auch in unserem Bereich Unternehmen geben wird, die in eine ähnliche Richtung gehen. Das wäre ein Zeichen für uns, dass wir auf das richtige Pferd setzen. Wir müssen versuchen, den Markt mit Qualität und Geschwindigkeit so gut wie möglich zu beackern, und dürfen nie vergessen, warum wir uns gegründet haben.
„Regulierung sehen wir als Privileg an“
Wenn man sich mit Bankvorständen umgibt, ist man in einem Jammerzirkel über Regulatorik. Nur sehr wenige nehmen den Ist-Zustand so hin und machen trotzdem gute Geschäfte. Ihr habt euch mit der Banklizenz Regulierung mit eingekauft. Geht ihr in diesem Punkt auch andere Wege?
Zunächst muss man betrachten, warum es überhaupt Regulatorik gibt und warum diese in den letzten Jahren verschärft wurde. Das ist ja nicht gottgegeben, sondern da hat die Branche auch einiges zu getan. Dann darf man sich auch nicht beschweren. Das ist wie bei Kindern, denen man sagt, dass sie um neun Uhr zuhause sein sollen. Wenn die dann erst um elf kommen, sagt man denen: „Beim nächsten Mal gehst du eben nicht raus.“ Das ist ja relativ simpel. Rahmenbedingungen sind da, um Freiräume innerhalb dieses Rahmens zu schaffen, der aber auch nicht überschritten werden darf. Das muss man akzeptieren. Natürlich haben wir in unseren vorherigen Jobs gesehen, dass sich das verschärft und teilweise abstruse Formen angenommen hat. Das muss man auch ganz klar sagen. Der Hintergrund der Regulatorik macht natürlich extrem viel Sinn.
Wir sehen uns als Partner der Regulatorik und helfen Unternehmen, die eigentlich reguliert sein müssten, dabei, Lösungen zu bauen, die rechtlich konform sind. Letztendlich gilt für uns das Privileg der Regulierung – wir nennen es tatsächlich ein Privileg. Daran halten wir uns. Denn die Banklizenz zu bekommen, ist das eine, sie zu behalten, ist das andere. Wir haben nicht vor, sie in den nächsten Monaten wieder zu verlieren. Daher bleibt uns nichts anderes übrig, als die Vorschriften einzuhalten und proaktiv mit den Regulatoren umzugehen.
„Den Respekt nicht verlieren“
Welchen Druck erzeugt eure Gründung auf die Branche?
Wir haben uns noch nicht als diejenigen etabliert, die immer draufhauen. Den Respekt vor Kollegen, Mitbewerbern oder dem Markt als solchem zu verlieren, wäre das Schlimmste, was man machen kann. Wir konzentrieren uns lieber auf uns und darauf, wie man Sachen besser machen kann, als anderen zu sagen, dass sie Sachen schlecht machen.
Ihr seid jetzt auch Kollegen und nicht mehr „Fintech gegen Banken“.
Es gibt noch einige, die der Definition „Fintech gegen Banken“ folgen, aber viele sehen sich mittlerweile immer mehr als Partner. Zuvor sagte man, dass die Fintechs auf der Frontend-Seite, auf dem Konsumentenfeld, im B2C gegen die Banken angetreten sind. Das Thema Backend hatten sie nur gepachtet. Jetzt kommen wir und sagen, dass wir es auf unserer Plattform besser können als traditionelle Banken, weil wir uns nur auf dieses Thema konzentrieren. Insofern glaube ich, dass es einen großen Einfluss auf die Bankbranche hat, weil schlichtweg die schnelle Entwicklung von Fintech-Unternehmen noch einmal beschleunigt werden kann, weil wir als Plattform nicht mit althergebrachten Methoden und Produkten an die Fintechs herantreten, sondern ihnen die Möglichkeit geben, Produkte so zu bauen, wie sie es brauchen. Immer nach der Maßgabe, dass sie rechtlich und technisch einwandfrei sind.
Stichwort Core-Banking-Plattform: Auf welcher Technologie setzt ihr auf?
Die Frage wird häufig gestellt. Die Antwort ist einfach: Es ist irrelevant! Ich habe selbst in verschiedenen Projekten Kernbanksysteme eingeführt und durfte leidend erfahren, was das für Technologien sind. Es ist nur eine einzige Komponente, die für Bereiche zuständig ist, in denen es kein Alleinstellungsmerkmal gibt, z.B. das Meldewesen, der Zahlungsverkehr, der Anschluss an die EBA und SEPA Clearer. Da unterscheidest du dich nicht von anderen Banken. Den API-Layer haben wir komplett neu designt, sodass wir in Zukunft das Kernbanksystem austauschen oder selbst machen könnten. Warum soll man für die Aspekte, in denen man sich am Markt nicht unterscheidet, Geld und Zeit investieren? Das beste Beispiel ist Tesla: Elektromobilität gibt es seit über 20 Jahren. Anfangs wurde nur der Benzinmotor durch einen Elektromotor ersetzt und Batterien in den Kofferraum gepackt. Das hat nicht funktioniert. Tesla hat dann das Ganze noch einmal komplett von vorne designt – nicht aus der Sicht eines Autoherstellers, sondern eines Tech-Unternehmens. Aber auch ein Tesla hat vier Räder, Sitze und Lenkräder. So agieren wir auch. Wir haben das ganze Thema von unten neu designt und wenn es neue Ideen gibt, spielen wir die auf. Was Tesla für die Autoindustrie ist, sind wir für die Banking-Industrie.
Marko Wenthin ist Vorstand der solarisBank. Zuvor war er Vorstand der Deutschen Handelsbank mit einem Fokus auf die Kreditvergabe an Internet-Firmen und die Bereitstellung von Payment-Lösungen für On- und Offline-Unternehmen. Er war außerdem CEO und Gründer der GroupPlatina GmbH, bei der er die Sofort Bank ins Leben rief. Davor war Wenthin COO und Vorstandsmitglied der Deutsche Bank PBC S.A. in Polen.