BANKINGNEWS: Was hat sich in Sachen Kundenorientierung in der Bankenwelt verändert?
Thorsten Hahn: Meine Antwort fällt da sehr kurz aus: nichts.
Carsten Meurer: Ich sehe schon viele Bemühungen und auch Investitionen in Kundenlösungen. Nur sind Banken oft getrieben durch das Marktgeschehen und die EZB-Zinspolitik.
Hahn: Ist das so? Die Frage ist doch eher, nehmen sie das Thema Kundenorientierung überhaupt wahr?
Meurer: Nehmen wir das Beispiel, dass einige Banken ihre Tech-Labs haben und Kundenlösungen anhand agiler Methoden entwickeln – und das in Zusammenarbeit mit dem Endkunden selbst. Das geht meiner Meinung nach in die richtige Richtung. Banken stehen aber vor der Herausforderung, die Probleme resultierend aus Regulatorik und Wirtschaftspolitik zu bewältigen. Sie beschäftigen sich nach wie vor zum großen Teil mit sich selbst. Sie überprüfen zwar ihr Geschäftsmodell, aber fragen sich eher, was kann ich herausnehmen, was nicht profitabel ist. Und vielleicht noch: Wo ist das Risiko groß? Wo wird die Politik Einfluss nehmen? Dabei bleibt oft auf der Strecke, was in Richtung Kundenorientierung zu tun ist.
„Weißt du, was das erste Konto ist, das junge Menschen eröffnen?“
„Ein Girokonto?“
„Nein, ein iTunes-Konto“
BANKINGNEWS: Kommen wir von Kunden zum Thema Fintechs. Sind sie eine Gefahr für Banken?
Hahn: Ich muss zugeben, ich habe N26 lange unterschätzt, aber die Idee geht auf.
Meurer: Ja, das Modell ist lange überfällig. Und die Verdrossenheit der Bankkunden in Deutschland ist jahrelang gewachsen.
Hahn: In Sachen Kundenservice bekleckert sich N26 auch nicht gerade mit Ruhm …
Meurer: … aber die Frage ist doch: Wie bekomme ich Jugendliche heute noch in eine Bank? Und damit meine ich, wie man sie als Kunden gewinnen kann. Der Generation Y und Z zu sagen, du kannst mit nur sechs Klicks ein Konto eröffnen, ist ein super Weg. Ob der Customer-Service mal zwei Tage nicht erreichbar ist, interessiert sie doch nicht wirklich.
Hahn: Wenn sie am Geldautomaten kein Geld ziehen können, interessiert es sie aber bestimmt.
Meurer: Das gab es aber auch schon bei den traditionellen Playern. Der eigentliche Punkt, um den es geht, ist Marketing. Denn die Werbung von N26 ist einfach viel besser als die von herkömmlichen Playern. N26 schafft es einfach besser, ihre Kunden anzusprechen und anzulocken.
Hahn: Weißt du, was das erste Konto ist, das junge Menschen eröffnen?
Meurer: Ein Girokonto?
Hahn: Nein, ein iTunes-Konto. Damit können sie bezahlen, allerdings nur in der iTunes-Welt. Eine Kreditkarte von Apple gibt es ja bereits. Wenn Apple ein Girokonto anbietet, könnten sie es weiterhin iTunes-Konto nennen. Der Unterschied ist, ein Jugendlicher eröffnet dieses Konto lange bevor er überhaupt über ein Bankkonto nachdenkt. Warum muss ein Konto, mit dem ich überall bezahlen kann, unbedingt bei einer Bank sein?
Meurer: Es gibt Geschäftsfelder einer Bank, die weiterhin funktionieren, und es gibt welche, die vielleicht wegfallen, weil sie ohnehin keinen Mehrwert bieten. Den Zahlungsverkehr oder das Girokonto nicht mehr kostenfrei anzubieten, ist definitiv nicht der richtige Weg. Aber es gibt nach wie vor das Beratungsgeschäft – das machst du nicht bei einer Smartphone-Bank – und es gibt ja auch noch das Firmenkundengeschäft.
Hahn: Amazon bietet heute schon Warenvorfinanzierung an und kann das auch.
Meurer: Weil sie relevante Informationen sammeln und auswerten. Da sind die Banken einfach zu konservativ.
Hahn: Aber eine Bank hat viele dieser Informationen auch gar nicht. Alle sagen immer: Banken sitzen auf super Daten und müssten sie nur nutzen. Aber Amazon hat eine Datenbasis aufgebaut, die Banken nie hatten.
Meurer: Hier muss ich widersprechen: Die Banken hatten sehr wohl Zugriff auf diese Informationen. Sie haben es nur nicht so analysiert wie Amazon. Früher haben Banken den Waren- oder den Investitionskredit abgewickelt. Aus meiner Sicht geht es um Business Intelligence. Amazon schaut bei jedem Schritt, was du machst, wo dein Interesse liegt, wofür du dein Geld ausgibst und kommt dann mit einer Rückmeldung. Ich bleibe jedoch dabei, es braucht weiterhin Banken und Deutschland braucht auch weiterhin internationale Player.
Hahn: Brauchen wir nicht eher eine europäische Bank?
Meurer: Für mich ist die Frage vielmehr nach einer innovativen Bank, die in der Lage ist, Bedürfnisse von Kunden im Lifecycle zu bedienen. Ich hätte gerne die Wertschöpfungsbank, die den Kunden bedient, so wie er individuell sein Leben gestaltet. Bist du schon einmal von einer Bank gefragt worden: Was können wir für Sie tun? Nicht in der Form, wie kann ich mit Ihnen mehr Geschäft machen, sondern: Was würden Sie von uns erwarten, damit wir Ihre optimale Bank sind. Das gibt es nicht.
Hahn: Wer sollte mich das auch fragen? Die meisten Mitarbeiter wären ja mit den Antworten total überfordert.
Meurer: Der Punkt ist: Von innen heraus innovieren Banken bis heute nicht so, dass sie in ihrem Geschäftsmodell unantastbar sind. Das funktioniert auch nicht mit einer Digital Factory oder dem Kauf eines Start-ups. Wenn die Bank aber einen Kooperationspartner sucht, der über technologische Ansätze verfügt, und sich ein Fintech dazu holt, das alles schlanker und fitter machen kann, dann hat sie ganz andere Möglichkeiten.
BANKINGNEWS: Und was hat der Kunde davon?
Meurer: Zunächst muss die Bank in Erfahrung bringen, was der Kunde wirklich will. So ist auch der Fiat 500 entstanden. Sie haben die Kunden gefragt, wie würdet ihr das Cockpit des neuen Autos gestalten? Wie sieht das Lenkrad aus? Wie würdet ihr das Handschuhfach ausrüsten? Ich behaupte, Fiat gibt es deshalb heute noch, weil der 500er so eingeschlagen ist. Weil sie das Interesse geweckt haben, eine Umfrage gestartet und Kunden die Möglichkeit gegeben haben mitzuentscheiden. Auch Banken sollten Kunden mitentscheiden lassen.
Hahn: Ich bin auch ein großer Freund davon, dass Banken alternative Dienstleistungen anbieten. Es gibt aber immer mehr Banker, die das kategorisch ablehnen. Ich glaube, das wird schiefgehen. Fristentransformation und Provisionsgeschäft kann man auch auf anderen Plattformen abwickeln. Beratung wird bleiben, ist aber nur ein kleines Geschäft. Banken müssen ihr Geschäftsmodell dramatisch verändern und sich überlegen, welche alternativen Dienstleistungen sie anbieten können.
Meurer: Banken müssen technologische Trends aufgreifen. Denn das kann dazu führen, dass die Banken tatsächlich neue Geschäftsmodelle entwickeln können. Das fehlt komplett.
Hahn: Was sind denn aktuelle Trends? Die meisten, die momentan auftauchen, sind für mich eher Buzzwords.
Meurer: Der IoT-Bereich bietet Banken interessante Möglichkeiten, etwa dass sie neue Modelle von Bezahlsystemen an bestimmten Infrastrukturen anbieten können, wie Touchless-Bezahlung im Fahrzeug beim Tanken. Das wäre technologisch machbar. Doch Banken kommen nicht auf die Idee, diesen Prozess durchzuführen.
Hahn: Ich weiß, dass die AutoBank, Volkswagen Financial Services und die Mercedes-Benz Bank über so etwas nachdenken. Die haben ja eine Vollbanklizenz.
Meurer: Das ist der Punkt: Du sprichst von Bank, ich spreche vom Lifecycle. Ich spreche nicht nur davon, Chips zum Bezahlen anzubieten. Ich rede davon, dass sie den Kunden schon bei der Autofinanzierung erwischen und sagen: Mein Beitrag für dich ist, dass ich den Chip für dich aktiviere, die Transaktionskosten übernehme und du zwei Cent günstiger tankst. Wenn du bei einem Einzelhändler einkaufst, bekommst du ein Punktesystem und ich erhalte im Gegenzug Informationen von dir. Jetzt bin ich als Bank wirklich kundenorientiert und erhalte dabei auch Daten, die ich auswerten kann.
BANKINGNEWS: Warum machen Banken das noch nicht?
Meurer: Das Schwierige ist, Technologie und Bank-Spezialisten prozessual zusammenzubringen. Und darum geht es bei unserem Co-Creation-Ansatz: zu erforschen, welche neuen Geschäftsprozesse und -modelle entwickelt werden können – und zwar frei und nicht aus der Bank heraus. Meine Empfehlung an die Banken ist: Beschäftigt euch mit euren Kunden und schaut über den Tellerrand hinaus. Denn aus der Bank heraus innoviert eine Bank nicht.
Moderation: Daniel Fernandez