Qual der Wahl

Amerika wählt! Die Wahl wird eng: Wer auch immer ins Weiße Haus einzieht, muss als erstes die Fiskalklippe meistern. Diese bereitet dem neuen Präsidenten die Qual der Wahl. Newsletter sind eine feine Sache, kommen sie doch unserer angeborenen Bequemlichkeit entgegen. Man hat ein Informationsbedürfnis. Doch anstatt selber aktiv zu werden und nach Informationen zu suchen,…


Amerika wählt! Die Wahl wird eng: Wer auch immer ins Weiße Haus einzieht, muss als erstes die Fiskalklippe meistern. Diese bereitet dem neuen Präsidenten die Qual der Wahl.

Newsletter sind eine feine Sache, kommen sie doch unserer angeborenen Bequemlichkeit entgegen. Man hat ein Informationsbedürfnis. Doch anstatt selber aktiv zu werden und nach Informationen zu suchen, wartet man einfach darauf, bis einem diese mit einem Newsletter überbracht werden. Wünschen Sie sich beispielsweise jeden Morgen ein paar nett verpackte Infos zum Weltgeschehen, dann abonnieren Sie einfach die Overnight Impressionen. Benötigen Sie einen Nachrichtenüberblick, dann bestelle Sie den Newsletter einer Tageszeitung. Und neu: Wollen Sie die Raumstation ISS sehen, abonnieren Sie unter spotthestation.nasa.gov einen Newsletter, der Ihnen mit einem Vorlauf von wenigen Stunden mitteilt, wann die Raumstation über Ihrem Kopf hinwegsaust.

Auch ohne Newsletter-Abonnements dürfte aber wohl jeder mitbekommen haben, dass diese Woche in den Vereinigten Staaten ein neuer Präsident gewählt wird. Offizieller Wahltag ist heute, Dienstag, der 6. November 2012. Als Finanzmarktteilnehmer wünscht man sich zwei Kandidaten, die vollkommen unterschiedliche Strategien verfolgen. Dann könnte man sagen: Wenn Kandidat A gewinnt, schwächt das den Dollar, die Renditen gehen in den Keller und die Aktienmärkte brechen ein. Wenn Kandidat B gewinnt, passiert genau das Gegenteil. Aber wer von Barack Obama und Mitt Romney ist in unserem Bild Kandidat A, und wer Kandidat B? Ich habe -zig Newsletter studiert und sogar mit den Leuten in der ISS gesprochen – aber niemand fühlt sich in der Lage zu sagen, mit welchem Kandidaten es an der Börse rauf und mit welchem es runter geht.

Worin sich naheliegender Weise alle einig sind: Hauptsache, wir bekommen ein klares Wahlergebnis. An einer wochenlangen Hängepartie, in welcher jeder elektronische Stimmzettel dreifach gezählt und vierfach begutachtet wird, hat niemand Interesse. Das gilt dieses Jahr noch mehr als bei den vorangegangenen Wahlen, denn es droht der Fiscal Cliff. Hinter dem, was zur Wahrung des deutschen Sprachguts gerne mit „Fiskalklippe“ übersetzt wird, verbirgt sich das drohende Ende einer Reihe von ursprünglich noch aus der Bush-Ära stammenden Steuergesetzen zum Jahresende. Vereinfacht ausgedrückt könnte man sagen: Werden diese Steuergesetze nicht verlängert, droht den USA nächstes Jahr eine Rezession, aber das Defizit im Staatshaushalt verringert sich. Oder aber die Gesetze werden verlängert, dann geht‘s mit der Konjunktur zwar weiter bergauf, aber das Loch in der Staatskasse bleibt riesig. Wer immer morgen die Wahl gewinnt, in der Fiskalklippenfrage muss er vom ersten Tag an eine gewisse Entscheidungsfreudigkeit an den Tag legen.

Mein Newsletter-basierter Eindruck ist, dass sich die Wall Street auf eine Wiederwahl Obamas eingestellt hat. Allgemein wird jedoch bei jedwedem Wahlausgang mit keinen starken Kurskapriolen gerechnet. Dennoch ist die Stimmung an den Märkten heute früh etwas mau. Dies könnte an Newsletter-Meldungen zu Europa liegen. Der Spiegel zitiert ein Papier des Bundesnachrichtendienstes, wonach von einem Stützungspaket für Zypern vor allem russische Bürger profitieren würden; diese hätten insgesamt 26 Mrd. Euro auf Konten zyprischer Banken deponiert. Und die Welt berichtet, die EZB hätte spanischen Banken zu generös Geld geliehen; bei ordnungsgemäßer Anwendung der Kollateralregeln entstünde ein Fehlbetrag von über 16 Mrd. Euro.

Moderne Handelssysteme bieten Ihnen die Möglichkeit, sich über das Unterschreiten bestimmter Kursschwellen per Newsletter informieren zu lassen – jedoch erst, nachdem dies passiert ist…

Foto von malerapaso –
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