BANKINGNEWS: Neobank, Fintech, Smartphone-Bank oder Challenger-Bank – Herr Hauer, wie nennen Sie N26, wenn niemand von außen zuhört?
Georg Hauer: Wir sehen uns als globale, mobile Bank mit eigener Banklizenz, die die Finanzbranche von Grund auf verändern will. Und das darf auch ruhig jeder hören. (lacht)
In der Finanzbranche wird viel von Disruption gesprochen. Wie fühlt man sich, wenn man einer der Disruptoren ist?
Oh, sehr gut. Wir freuen uns natürlich über die Entwicklung, die N26 seit der Gründung im Jahr 2013 gemacht hat. Wir haben uns in kurzer Zeit von einem Start-up mit einigen Dutzend Beschäftigten zu einer weltweit agierenden, lizenzierten Bank mit über 1.500 Mitarbeitern entwickelt. Aber keine Angst: Darauf ausruhen werden wir uns nicht. Wir stehen erst am Anfang unserer Vision, Banking für viele Millionen weltweit zu verändern.
Wer sind die Mitbewerber von N26? Und ganz ehrlich: Wer zählt nicht dazu?
Die größten Mitbewerber von N26 sind die traditionellen Banken in unseren jeweiligen Märkten. Hier gewinnen wir die meisten Kunden und das Potenzial ist immer noch riesig. Langfristig werden die großen Tech-Unternehmen wie Amazon oder Facebook noch stärker in die Finanzbranche drängen. Und das wird den Wettbewerb noch einmal intensivieren. Dagegen stehen andere digitale Banken für uns nicht im Fokus. Die meisten von ihnen haben keine eigene Banklizenz und bewegen sich damit in einem anderen regulatorischen Rahmen als N26 und andere lizensierte Banken.
Wir brauchen dringend einen Kulturwandel in der Finanzbranche
Nach dem Wirecard-Skandal drängt sich die Frage auf: Welche Folgen wird das in Bezug auf das Vertrauen von Kunden zu Banken und Fintechs haben?
Seien wir ehrlich, die gesamte Branche hat seit der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 ein Vertrauensproblem. Sicherlich hat der Fall Wirecard das noch einmal verstärkt. Das ist alarmierend, schließlich überlassen Menschen den Banken ihr Geld und somit auch ihre finanzielle Zukunft. Wir brauchen daher dringend einen Kulturwandel in der Finanzbranche.
Was wäre aus Ihrer Sicht zu tun?
Statt zu versuchen, mit riskanten Finanzgeschäften Geld zu machen, sollten sich Banken lieber fragen, wie sie die junge Familie von nebenan dabei unterstützen können, volle Kontrolle über ihre Finanzen zu haben und dadurch auch noch Geld zu sparen. Jede Bank steht in der Pflicht, jeden Tag aufs Neue um das Vertrauen ihrer Kunden zu werben. Für uns ist das die Basis unserer Arbeit und einer der Hauptgründe für den bisherigen Erfolg. Viele unserer Kunden empfehlen uns an ihre Familie und Freunde weiter. Das macht man nur, wenn man seiner Bank auch wirklich vertraut.
N26 ist stark gewachsen. Es gibt auch die Position des Chief Growth Officer. Wie steuert man als Fintech das Wachstum und worauf achten Sie besonders?
Uns ist vor allem wichtig, nachhaltig zu wachsen. Wir wollen Kunden gewinnen, die ihr N26-Konto möglichst lange und möglichst oft nutzen. Hier spielt das digitale Produkt natürlich eine zentrale Rolle. Es muss sich bestmöglich in den Alltag der Kunden integrieren. Das gelingt heute und in Zukunft am besten über das Smartphone. Statt aber viel Geld in teure Marketingkampagnen zu stecken, verwenden wir die meiste Zeit und Energie darauf, zu verstehen, was den Kunden wirklich bewegt und wo er Unterstützung benötigt. Und ist man dann als Unternehmen in der Lage mit eigenen Entwicklern digitale Features für genau diese Kundenbedürfnisse schnell auf den Markt zu bringen, ist der Grundstein für starkes Wachstum gelegt.
Trotz starkem Wachstum und großer Wachstumspläne: Warum gab es den Rückzug aus Großbritannien?
Unser Rückzug aus Großbritannien wurde durch einen in der europäischen Geschichte hoffentlich einmaligen Vorgang ausgelöst, den Brexit. Nach den Parlamentswahlen in England im Dezember 2019 war klar: Wir müssen eine britische Banklizenz beantragen, wenn wir weiter dort tätig sein wollen. Das wäre für uns mit enormem Aufwand und Kosten verbunden gewesen, und das für einen Markt, in dem maximal 60 Millionen Kunden leben. Nach der Kosten-Nutzen-Abwägung haben wir uns dazu entschieden, den britischen Bankenmarkt zu verlassen und uns noch stärker auf unsere europäischen Kernmärkte und die USA zu konzentrieren. Hier können wir bereits heute über 700 Millionen Menschen ansprechen.
Entscheidend ist, dass Bewerber ein Growth-Mindset haben
Langfristig plant N26, weltweit mehr als 100 Millionen Kunden zu gewinnen. Gibt es einen Zeitplan dafür?
Ich sage es mal so: Wir sind auf einem guten Weg. Aber wir wollen auf nachhaltige Weise wachsen – die bloße Kundenanzahl ist ja kein Selbstzweck. Unser wichtigstes Ziel sind exzellente Produkte und zufriedene Kunden.
Bis heute hat Ihr Unternehmen rund 800 Millionen Dollar von Investoren eingesammelt, darunter auch Allianz X, Peter Thiels Valar Ventures oder Mitglieder des Zalando-Vorstands. Wie sehen die Pläne bezüglich weiteren Investorengelds aus?
Grundsätzlich planen wir immer sehr langfristig. Wir sind finanziell sehr gut aufgestellt und haben zuletzt im Mai unsere Finanzierungsrunde um über 100 Millionen Dollar erweitert. Dieses Geld investieren wir in die Produktentwicklung und die besten Talente weltweit. Eine neue Finanzierungsrunde ist aktuell erstmal kein Thema.
Eine große Herausforderung für Fintechs sind Kooperationen – mit Banken, Dienstleistern und Start-ups. Laut Auswertung unserer eigenen „Fintech-World“ ist das sogar die größte Herausforderung. Wie erleben Sie das?
Da haben wir andere Erfahrungen gemacht. Wir arbeiten bereits seit einigen Jahren mit Raisin für „N26 Savings“ und mit Barzahlen.de für „CASH26“ erfolgreich zusammen. Für uns sind solche starken Partnerschaften sehr wichtig, um unseren Kunden das optimale Angebot bieten zu können.
Was zeichnet das Angebot von N26 aus?
Wir wollen es einfacher machen, Finanzen mit Familie und Freunden gemeinsam zu managen. Etwa Rechnungen oder gemeinsame Einnahmen und Ausgaben zu teilen – Shared Banking sozusagen. Das wird aus unserer Sicht immer wichtiger werden und irgendwann ganz normal sein. In der Vergangenheit war es noch mit einem hohen manuellen Aufwand und komplizierten Verträgen verbunden, wenn man Gemeinschaftskonten führen oder Rechnungen teilen wollte. Heute kann man bei N26 mit nur wenigen Klicks ein Gemeinschaftskonto eröffnen, bei dem es sich um Shared Spaces handelt.
Worin besteht für Sie der Unterschied zwischen Shared Spaces und einem offiziellen Gemeinschaftskonto?
Mit einem traditionellen Gemeinschaftskonto können zwei Menschen gemeinsam ein Konto eröffnen und verfügen gesetzlich in gleicher Weise darüber. Der Unterschied zu Shared Spaces ist, dass unsere Premiumkunden einen Shared Space mit nur wenigen Klicks direkt in der App erstellen können und alleinige Besitzer sind. Teilnehmer erhalten allerdings mit der Kontovollmacht das Recht, frei über das Geld zu verfügen und alle Details einzusehen. Als Besitzer eines Shared Spaces kann man Teilnehmer mit nur wenigen Klicks aber auch wieder entfernen.
Wie fühlt man sich, wenn man als Unternehmen millionenfach in den Taschen von meist jungen Menschen steckt?
Sehr gut, weil sich hier zeigt, dass der Bedarf an digitalen Bankangeboten riesig ist. Für uns ist es spannend zu beobachten, wie unsere Kunden unser Produkt nutzen und zu verstehen, wie wir das Angebot weiter verbessern können.
Näher beim Kunden als in Hosen- und Handtaschen kann man als Bank ja gar nicht sein. Wie erfahren Sie, was der Kunde wirklich will?
Wir haben verschiedene Kanäle etabliert, über die uns unsere Kunden Feedback geben können: Social Media, App-Store, E-Mail, Kundenservice oder direkt über die App. Zusätzlich führen wir regelmäßig Befragungen durch und laden Kunden zu uns ein, um mit ihnen über unser Produkt zu sprechen. Das Entscheidende ist natürlich, dass man dieses Feedback von Kunden auch nutzt und Innovationen anstößt.
Was sind die künftigen Herausforderungen für N26?
Wir haben heute über fünf Millionen Kunden weltweit. Die nächste Frage ist für uns: Wie können wir fünf Millionen Kunden alleine in Deutschland, in Frankreich oder in den USA erreichen? Unser Ziel ist, den Massenmarkt zu erobern und uns in den Kernmärkten als eine der führenden Banken zu etablieren.
Traditionelle Banken sind die größten Mitbewerber von N26
N26 hat immer wieder betont, das Unternehmen will eine Branche umkrempeln, die reif für Veränderungen sei. Wie weit sind Sie mit dem Umkrempeln der Finanzbranche gekommen?
Mit dem Launch unserer App im Jahr 2015 haben wir einen neuen Benchmark für digitale Bankprodukte gesetzt. Aus meiner Sicht ist der bis heute unerreicht, was Einfachheit und Handhabung angeht. Gleichzeitig entwickeln wir das Produkt stetig weiter. Dieses Benchmark-Angebot wollen wir immer mehr Menschen zugänglich machen. Es gibt noch sehr viele Menschen, die sich am Ende des Monats zwei Stunden lang hinsetzen, um mühsam ihre Finanzabrechnung zu machen. Wir wollen zeigen: Das geht deutlich einfacher und kann sogar Spaß machen.
Wie gut sind die Kontakte von N26 zu Politik und Aufsicht? Mit wem sprechen Verantwortliche des Unternehmens und welche Themen bestimmen die Agenda?
Die Zusammenarbeit mit Politik und Regulatoren war seit jeher ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit, da ihnen eine wichtige Rolle bei der Verbesserung der Branche zukommt. Wir haben Ende 2019 die Position des Global Head of Government & Public Affairs neu geschaffen. Seither koordiniert Jan Boehm die Beziehungen von N26 zu Politik, Verbänden und anderen gesellschaftspolitischen Akteuren. Darüber hinaus sind wir Gründungsmitglied in der European Fintech Association, die für die Interessen der Fintech-Branche auf europäischer Ebene eintritt. Generell plädieren wir für einheitliche KYC-Richtlinien in Europa. Momentan gleicht das einem Flickenteppich. Hier braucht es eine einheitliche europäische Gesetzgebung. Außerdem muss die IBAN-Diskriminierung ein Ende haben. Es kann nicht sein, dass ein französischer oder spanischer Arbeitgeber keine Gehaltszahlungen auf ein Konto mit deutscher IBAN überweisen will.
Ihr Unternehmen hat über 1.500 Mitarbeiter. Es hieß, 2019 hatten Sie bis zu 150.000 Bewerbungen im Postfach. Wenn N26 Mitarbeiter sucht, haben „traditionelle“ Banker mit BWL-Abschluss überhaupt noch eine Chance oder suchen Sie lieber gleich im IT-, Data- und KI-Bereich?
Bei uns arbeiten Menschen mit verschiedenen Hintergründen. Dazu zählt auch die klassische Bankausbildung. Das Entscheidende ist, dass Bewerber ein starkes Growth-Mindset und den Willen haben, den Status quo zu verändern. Aber auch in traditionellen Banken gibt es sehr gute Leute, die etwas verändern wollen, und dann zu uns kommen.
Generell plädieren wir für einheitliche KYC-Richtlinien in Europa
Wenn wir bei Mitarbeitern sind, dann steht auch die Frage eines Betriebsrats im Raum. Es waren einige Misstöne zwischen Belegschaft und Management darüber zu vernehmen. Wie ist der Stand der Dinge aus Ihrer Sicht?
Unser Managementteam unterstützt Mitarbeiterbeteiligung in allen Formen, inklusive eines deutschen Betriebsrats. Und da wir ein Unternehmen mit Standorten auf der ganzen Welt und einem digitalen Fokus sind, werden wir in Abstimmung mit dem zukünftigen deutschen Betriebsrat auch ein internationales Gremium entwickeln, sodass auch Mitarbeiter in Barcelona, Wien und New York vertreten werden. Dies soll die gesetzlich verankerte Mitarbeitervertretung ergänzen und verbessern. Die Meinung unserer Mitarbeiter ist uns äußerst wichtig, denn wir stehen mit den größten Technologieunternehmen der Welt immer im Wettbewerb um Talente.
Eine letzte, persönliche Frage: Wenn Sie selbst N26 nutzen, was freut und was ärgert Sie am meisten?
Ich freue mich am meisten über die Zeitersparnis beim Managen meiner Finanzen und die Benachrichtigung über alle Transaktionen in Echtzeit. Und mich ärgert am meisten, dass meine N26-Mastercard hin und wieder beim Bäcker um die Ecke mit dem Hinweis „Cash only“ abgelehnt wird. In Sachen digitale Bezahlangebote ist Deutschland immer noch Entwicklungsland.
Interview: Daniel Fernandez, Thomas Friedenberger