Erdbeben verursachen häufig auch weit vom Epizentrum entfernt erhebliche Schäden. So ist es auch in der Wirtschaft: die Entscheidungen der US-Notenbank erschüttern die Weltwirtschaft – 1994 wie heute. Die Geschichte wiederholt sich – doch in welchem Ausmaß?
Die Interpretation jeder noch so kleinen Formulierung in den sogenannten „FOMC Minutes“, den Sitzungsprotokollen des Offenmarktausschusses der amerikanischen Notenbank, ähnelt zwar teilweise der Kaffeesatzleserei von Wahrsagern, zeigt aber gleichzeitig die elementare Bedeutung jener Entscheidungen sowie die Angst vor den möglichen Folgen eines Bebens.
Im Mai 2013 löste die Ankündigung der amerikanischen Zentralbank Federal Reserve, kurz „Fed“, möglicherweise ihre Wertpapierkäufe einzustellen, bereits erhebliche Schockwellen in den Schwellenländern aus. Innerhalb von drei Monaten brachen die indische Rupie um 20% und der südafrikanische Rand um 10% ein. Das „Quantitative Easing“ – oder zu Deutsch die „Quantitative Lockerung – ist mittlerweile beendet. Noch in diesem Jahr könnte die drohende Anhebung der US-Zinsen, der ersten seit 2006 übrigens, das monetäre Gleichgewicht wieder ins Wanken bringen. Das Angebot an Dollar hat abgenommen, und der Greenback hat sich verteuert. Innerhalb von zwei Jahren haben der brasilianische Real, die indonesische Rupiah und die türkische Lira etwa ein Drittel an Wert gegenüber dem US-Dollar verloren. Andere Währungen wie der venezolanische Bolivar oder der Rubel sind sogar noch stärker eingebrochen. Es stellt sich die Frage: Können die Schwellenländer dem nächsten „Fed-Beben“ trotzen?
Nachbeben wird man überall spüren
Die gegebenenfalls (leichte) Anhebung der Leitzinsen durch die US-Notenbank im späteren Jahresverlauf, gerechtfertigt durch den Wachstums- und Beschäftigungsanstieg in den USA, stellt nur das Epizentrum dar. Die Nachbeben werden jedoch vor allem andernorts zu spüren sein, und zwar in Ländern, die ein hohes Leistungsbilanzdefizit aufweisen, das heißt Länder, die sich in fi-nanzieller Schieflage befinden. Wir erinnern uns zurück an die Erschütterungen im Jahr 1994, als schnelle Zinserhöhungen in den USA, ein echtes „Bond Massaker“, das globale Finanzsystem durchrüttelten: Tequilakrise Krise in Mexiko, Abwertungen in Europa und Schockwellen bis nach Asien.
Heute ist die Situation stabiler, da die meisten gefährdeten Länder ihre Währungsreserven verdoppelt, ein solideres Finanzsystem geschaffen und entsprechende Vorkehrungen getroffen haben. Allerdings könnten sich die Anleger von bestimmten Ländern abwenden, die aufgrund geringer Verschuldung, interessanter Unternehmen oder Infrastrukturprojekten noch kürzlich beliebte Anlageziele waren.
Länder werden „abrasiert“
Einige Länder könnte dies harsch treffen, 0,2 bis 0,5 Prozentpunkte des Bruttoinlandprodukts könnten Gefahr laufen, „abrasiert“ zu werden. Die sogenannten BRuNTS, also Brasilien, Russland, Nigeria, die Türkei und Südafrika, trifft es wie der Gruppenname besagt mit voller Wucht. Sie sind die anfälligste Gruppe mit nur schwachen Wachstumstreibern und einer starken Abhängigkeit von ausländischem Kapital, insbesondere vom US-Dollar. Die MIMiCKs (Mexiko, Indonesien, Malaysia, Chile und Kolumbien) sind anfällig für Panik. Ihnen stünden ebenfalls harte sechs Monate ins Haus durch niedrigere Einnahmen aus Rohstoffen und der starken Abhängigkeit von kurzfristigen Kapitalzuflüssen. Durch die robuste Binnennachfrage stehen sie allerdings trotz der Anfälligkeit besser da als beispielsweise Argentinien, Venezuela, oder die Ukraine. Diese Gruppe befindet sich allerdings bereits in einer Rezession mit sehr wenig Puffer und die Investoren haben ihnen bereits den Rücken gekehrt.
Auch China ist betroffen
Selbst China, viele Jahre einer der Motoren der Weltwirtschaft, kommt derzeit ins Stocken und ist nicht komplett immun gegen die Ansteckungsgefahrdurch die Globalisierung. Zwar gehört China zusammen mit Indien, Polen, den Philippinen und Thailand zu den CIPPeTs, bei denen die Folgen relativ überschaubar bleiben sollten, aber auch an diesen Ländern geht das Beben nicht gänzlich spurlos vorbei.
Der chinesische Yuan hat zuletzt gegenüber dem Dollar um fast 4% abgewertet. Grund dafür war zwar vor allem eine Umstellung des Mechanismus der Wechselkursbildung und die Absicht der chinesischen Zentralbank, die chinesischen Exporte zu stärken. Aber die Finanzmärkte werteten das als Schwäche der Volkswirtschaft im Land der Mitte und die Aktienmärkte kamen ins Trudeln, allen voran der chinesische Aktienmarkt, der erhebliche Kursverluste erlitt.
Risiko für deutsche Exporteure
Das birgt im Übrigen steigende Risiken für deutsche Exporteure – zumal sowohl Nichtzahlungen in China ansteigen als auch die Insolvenzzahlen, die nach unserer Ansicht um 25% anwachsen werden im laufenden Jahr. Dies stellt ein erhebliches Risiko für exportorientierte Unternehmen in Deutschland dar, insbesondere in der Automobilbranche. Deutschland exportiert 7% seiner Waren nach China. Fast ein Viertel davon entfällt auf die Automobilbranche. Die Zahlen des ersten Halbjahrs waren bereits enttäuschend, vor allem aufgrund der sinkenden Nachfrage aus China. Der Preisschock könnte die Lage für deutsche Exporteure noch weiter verschlimmern: Die deutschen Automobilexporte sanken in den ersten fünf Monaten dieses Jahres um 2% im Vergleich zum Vorjahr – während sie zwischen 2010 und 2014 um insgesamt 16% jährlich angestiegen sind.
Die Nachbeben bringen also fernab des Epizentrums in den USA vor allem die Schwellenländer ins Wanken – die Ausläufer werden aber weithin spürbar sein, bis hin zur deutschen Exportwirtschaft. Das Ausmaß der Auswirkungen auf die Unternehmen, wie beispielsweise ein „Credit Crunch“ oder Zahlungsausfälle, dürfte von den seismologischen Fähigkeiten der Finanzchefs abhängen.
Euro: Besinn Dich auf Deine Stärken
Die Risiken, die mit einer Zinserhöhung der Fed verbunden sind und die derzeit beeindruckende Volatilität durch die Abwertung des chinesischen Yuans sollte ein Weckruf sein für Europa. Es sollte die führenden Spieler in Europa daran erinnern, wie sehr sie (zumindest bisher) versagt haben bei ihrem Vorhaben, einen glaubwürdigen Euro zu implementieren. In den frühen 2000ern wurde der Euro in der Tat als Gegengewicht gesehen, um die importierten Turbulenzen zu vermeiden, die die USA Mitte der 1990er weltweit verursachten.
Europäische Unternehmen haben von der Einführung des Euro profitiert, weil sie ihr Spielfeld auf die benachbarten Länder ausgeweitet haben – mit weniger Risiken und Barrieren. Sie glaubten daran, dass die Staaten weiterhin daran arbeiten würden, die gemeinsame Währung zu stärken, so dass diese zu einem starken Sicherheitsnetz werden würde – eben genauso wie der Dollar für US-Unternehmen.
15 Jahre später ist der Euro nicht als Hegemon angesehen und seine Zukunft ist angesichts der jüngsten Entwicklungen gefährdeter als er es jemals war. Alle paar Monate wird sein Überleben in Frage gestellt, weil es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, wie man Krisen handhaben sollte und Wachstum begünstigt. Es ist höchste Zeit, den Euro auf ein neues Level zu bringen und ihn zu einer weltweiten wirtschaftlichen Waffe zu machen im sich derzeit entfaltenden Währungskrieg – insbesondere jetzt, wo der Dollar wankelmütig ist und der Yuan unvorhersehbar. Dazu bedarf es Führungs- und Ausführungsstärke. Das wiederum würde aber bedeuten, dass die Europäer aufhören müssen, jedes Mal den Atem anzuhalten, wenn die Fed ihre aktuellen Protokolle veröffentlicht oder die Börse in Shanghai eröffnet. Die Welt wird die Eurozone dann mit Ehrfurcht betrachten und uns besser kennen – nicht nur, weil wir unsere schmutzige Wäsche in den Öffentlichkeit waschen oder Familienprobleme publik werden.