Quo vadis MiFID II? Anlegerschutz oder das Ende der Anlageberatung?

MiFID II wird auf Anfang 2018 verschoben, und alle atmen auf. Die ambitionierte zweite Auflage der Finanzmarktrichtlinie hat sich zum Ziel gesetzt, den Anlegerschutz weiter zu verbessern, Märkte transparenter zu machen und den bilateralen Handel in sogenannten Dark Pools auszutrocknen. Von Andreas Gehrke


Christian Lambiotte/European Communities

Doch hält MiFID 2.0, was sich Aufsichtsbehörden davon versprechen? Im Moment sind es gerade diese, die mit dem von ihnen selbst vorgegebenen Tempo nicht Schritt halten können und den Aufschub benötigen. Die Banken hingegen rüsten sich derzeit für all das Neue, das da in Sachen Anlegerschutz auf sie zukommt.

Neue Regeln – alte Sorgen

So fordert MiFID II einen völlig neu konzipierten Product Governance Prozess, welcher neben der Produktgenehmigung unter Abklärung von potenziellen Interessenkonflikten und der Definition eines sogenannten Zielmarktes für das Produkt eine regelmäßige Nachschau fordert, ob das Produkt auch in späteren Stationen seines Lebenszyklus den Anforderungen noch gerecht wird.

Anleger sind fortan über die genauen Kosten ihrer Anlage aufzuklären, und zwar vor Tätigung von Geschäften sowie mindestens einmal jährlich über die Gesamtkosten im Zusammenhang mit ihren Investments.

In einer Geeignetheitserklärung muss mindestens einmal jährlich die Geeignetheit von Anlagen für den Anleger überprüft werden – dies zusätzlich zu Geeignetheitsprüfungen, welche bereits vor Erbringung einer Dienstleistung und vor dem Erwerb von Finanzprodukten zu erfolgen haben.

Schöne neue Welt der Regulierung – der neue Schutz und die neue Transparenz an den Finanzmärkten werden Anleger sicherlich begeistern. Was sie allerdings weniger begeistern dürfte sind die Kosten der Anlage, die mit den neuen Verpflichtungen der Banken und Finanzdienstleister steigen werden. Diese steigen ggf.noch weiter an, im Falle eines Falles, dass die Aufsichtsbehörden einem Produkt ihr Placet entziehen, es zu sogenannten Produktinterventionen kommt, also dazu, dass Produkte vom Markt genommen bzw. ihr Vertrieb untersagt wird. In einem solchen Fall hätte sich die betroffene Bank mit dem Produkt deutlich verkalkuliert und würde das in die Produktentwicklung und Marketing investierte Geld vollständig abschreiben müssen. Zudem wäre sie dann auch noch dem Reputationsrisiko durch „Blaming and Shaming“ ausgeliefert, also dass die Aufsichtsbehörde die Produktintervention öffentlich macht. Solche Eventualkosten werden die Banken in ihren Preismodellen eventuell berücksichtigen müssen.

Das Für und Wider der neuen Regulierung

Es ergibt sich für Anleger also viel Positives aus der MiFID II, wie etwa deutlich detailliertere Produkt- und Risikoaufklärung der Kunden, bessere Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse, höhere Transparenz an den Märkten, die Einführung von „Qualitätssiegeln“ für angebotene Produkte durch ausgefeilte Product Governance, ausreichende Vielfalt der angebotenen Produkte und Sicherheit durch periodische Rückschau statt Einmal-Betrachtung beim Verkauf (höhere Verantwortung der Banken). Zudem kann es sicherlich nicht schaden, dass Banken ihr Geschäftskonzept und Produktangebot sinnvoll überdenken. Somit könnte auch der unabhängigen Anlageberatung – in Deutschland bekannt durch das Honoraranlageberatungsgesetz – neues Leben eingehaucht werden.

Dagegen sprechen höhere Kosten für die Banken (und letztlich für die Kunden), mehr administrativer Aufwand, der sowohl Banken als auch Kunden trifft sowie eine mögliche „Bevormundung“ der Kunden. Dazu kommt, dass bei der immer stärker postulierten Abkehr von Rückvergütungen durch Produktproduzenten das hehre Ziel der „Zahlung durch denjenigen, der die Leistung erhält statt durch den, der das Produkt erstellt“ konterkariert wird durch die ungleiche steuerliche Behandlung von an Kunden ausgekehrten – und somit zu versteuernden – Rückvergütungen gegenüber der nur hälftig anrechenbaren Bankgebühren, welche unweigerlich steigen werden.

MiFID II – regulatorischer Quälgeist oder Chance?

Dies alles könnte dazu führen, dass individuelle Beratung ggf. nur noch für größere Vermögen erbracht wird und kleinere Portfolios lediglich mit Standardlösungen bedacht werden. Hier ginge dann einiges an Produktvielfalt und Diversifikationsmöglichkeiten für die Kunden verloren, weil ihnen die Berater nicht mehr jedes Produkt zumuten wollen oder können.

Ist MiFID II damit nur noch zum regulatorischen Quälgeist geworden, dessen Kosten die Finanzdienstleister letztlich auf die Kunden umwälzen? Oder  ergeben sich vielmehr Chancen durch neue bzw. überdachte  Geschäftsmodelle und mehr Fairness durch die weitest gehende Harmonisierung der Regeln innerhalb Europas? Sicher erscheint bereits jetzt, dass diejenigen Marktteilnehmer Wettbewerbsvorteile erlangen werden, denen es gelingt, die neuen Anforderungen möglichst effizient und dabei doch effektiv umzusetzen.

Andreas Gehrke ist seit 2013 Country Compliance Head der ABN Amro Gruppe in Deutschland. Zuvor leitete er die Compliance beim Schweizer Wertschriftenhändler Strukturierte Produkte Emittenten Leonteq Securities in Zürich. Von 2005 bis 2009 war er bei Barclays Capital als Head of Compliance Central Europe tätig.
Bildnachweis: Christian Lambiotte/European Communities