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„Digitalisierung beginnt im Kopf“

Christian Rhino ist seit über 20 Jahren Banker. Nach verschiedenen Stationen bei der Deutschen Bank, der Commerzbank und der polnischen mBank ist er seit August 2020 im Vorstand der Helaba.


Christian Rhino

BANKINGNEWS: Nach über 20 Jahren im Großbankenumfeld sind Sie in eine Landesbank gewechselt. Die gelten nicht unbedingt als Sinnbild für Innovation und Fortschritt. Warum haben Sie diesen Schritt getan und wie geht es Ihnen als Landesbanker?

Christian Rhino: Seit ungefähr neun Monaten bin ich jetzt an Bord der Helaba. Das ist eine richtig coole Landesbank, auch wenn sie gerne von außen für verstaubt und altmodisch gehalten wird. Ich behaupte genau das Gegenteil. Die Helaba ist stark im Umbruch und macht richtig Spaß. Ich bin als CIO und COO zuständig für die IT, die Organisation und Operations. Es ist so, dass mein neu geschaffener Bereich primär den Wholesale-, Immobilien-, Asset Finance und Real-Estate-Teil infrastrukturell bedient und die Retail-IT der Frankfurter Sparkasse durch die Finanz Informatik bereit gestellt wird. Was wir übrigens auch sehr begrüßen, denn so können wir durch Arbeitsteilung innerhalb der Sparkassen-Finanzgruppe (SFG) den Verbundnutzen viel besser für alle gewährleisten.

Die Helaba ist Geschäftsbank, Sparkassenzentralbank und Förderbank. Was bedeutet das konkret?

Im Kern wurden die Landesbanken gegründet, um für Sparkassen und deren Kunden einen Mehrwert im Verbund zu entwickeln, der wegen der Größenordnung durch das einzelne Sparkassen-Institut nicht bereitgestellt werden konnte. Genau dieser Spirit ist heute noch vorhanden. Größere Firmenkunden werden von der Helaba direkt betreut. Das institutionelle Geschäft, damit ist gemeint das Corporate & Markets, Asset Finance und Real Estate Geschäft ist heute neben der Förderbank der Kern der Helaba, wir finanzieren uns dadurch auch um den Verbundnutzen für die Sparkassen zu stärken. Wenn wir direkt Kunden betreuen oder indirekter Kreditgeber oder Vermittler sind, führt das unter anderem auch zu sehr viel Zahlungsverkehr. Wir sind im Verbund europaweit sicherlich einer der größeren Zahlungsverkehr-Clearer.

In Ihrer Bilanzpressemitteilung sagten Sie, Sie seien bei der Digitalisierung gut weitergekommen. Das, was Sie da gerade beschreiben, ist ja ohne Digitalisierung gar nicht möglich. Sie wickeln ja nicht Milliarden von Zahlungstransaktionen ab, indem Sie Überweisungsträger auseinanderreißen.

Digital sind wir schon lange, aber jetzt kommen neue Herausforderungen dazu. Die Revolution auf der Retail-Seite ist gelaufen. Letztendlich ist Digitalisierung schon vor 20 Jahren im Zahlungsverkehr losgegangen. Denn hätten wir heute noch diese Belege, von denen Sie gerade sprachen, dann bräuchten wir noch tausende Banker mehr für die Abwicklung. Tatsächlich haben wir aktuell eine 95- bis 98-prozentige sogenannte STP-Quote, also straight-through-processing.

Wir haben jahrelang automatisiert, aber wir haben nicht digitalisiert.

Wenn wir heute von Digitalisierung reden, dann reden wir nicht von analog zu digital, sondern von digital zu digital, sozusagen in die neue digitale Welt. Was sind dann die Treiber, die Banken momentan beschäftigen?

Allgemein gesagt haben wir im Zahlungsverkehr jahrelang automatisiert, aber wir haben nicht digitalisiert. Echte Digitalisierung ist, dass man den Kunden ein neues Kundenerlebnis oder Mehrwerte schafft aus dem, was er mit uns abwickelt. Die Daten, die der Kunde uns gibt, gehören ihm. Die hat er uns nur übertragen, damit wir seine Geschäfte abwickeln können. Also haben wir in der Vergangenheit Daten gesammelt, die nur für die Ausführung der Geschäfte bestimmt waren. Diese haben wir noch angereichert, um zum Beispiel die Bonität für die Kreditvergabe zu ermitteln. Die angereicherten Daten gehören in der Regel dann uns, denn diese brauchen wir für die Analytik, Meldewesen und Querverweise und so weiter. Aber, was man nie bedacht hat, war: Wenn wir eine Dateneinwilligungserklärung vom Kunden für die Nutzung seiner überlassenen Daten erhalten, die über die reine Abwicklung seiner Geschäfte hinaus geht, dann können wir diese Daten mit Maschine-Learning und KI aufbereiten und dem Kunden als Mehrwert anbieten wie zum Beispiel als analytische Auswertung seines Geschäfts, Second-Best-Offer, Liquiditätssteuerung, etc. Die Amerikaner haben dies im Retail-Bereich zu Beginn auch ohne Einwilligung einfach gemacht.

Gegen einen guten Nutzen wären Firmenkunden doch bereit, Daten zu teilen, oder nicht?

Ja, hier muss man vom Kundennutzen kommen. Wir bieten den Kunden einen sogenannten „Deal“ an: Wir analysieren etwa die Effektenströme, die Zinsen, den Währungskorb der letzten zehn Jahre und schauen, wann optimal Devisen getauscht wurden. Das bieten wir dann zukünftig als Analytics Tool an und zeigen es mit Dummy-Daten. Dann fragt jeder Kunde, was das kostet. Antwort: x Euro kostet das Analytics Tool pro User pro Monat. Darauf sagt der Kunde: Ja, für diesen Mehrwert zahle ich gerne die x Euro. Erst daraufhin fragen wir nach den Daten. Wenn der User das Ergebnis haben will, muss er nur noch einwilligen. Ich glaube nicht, dass es Sinn macht, von einem Kunden vorweg eine erweiterte Dateneinwilligung einzusammeln. Vielmehr muss man ihm Produkte zeigen, deren Nutzen ihn von der Datenfreigabe überzeugen. Deshalb müssen wir im Firmenkundengeschäft viel mehr Produkte kreieren, die dem Kunden einen Mehrwert verschaffen.

Man muss vom Kundennutzen kommen.

Im März hieß es in der Bilanzpressekonferenz, dass Sie jährlich dreistellige Millionenbeträge investieren wollen. Und zwar nicht nur in die Kern-IT, sondern in Smart Data und KI. Was planen Sie konkret?

Alles darf ich noch nicht verraten, denn wir sind erst im Sommer mit unserer Planung fertig. Aber das Hauptinvest fließt in die übergreifende IT-Modernisierung der Helaba, hier enthalten sind auch neue Themen wie unter anderem Data Mining und zentralere Datenhaltung. Wir containerisieren viel, modularisieren und bauen einen zentralen API-Layer. Einmal zu unseren Partnern, also nach draußen, aber auch nach innen und zu unserem Partner Finanz Informatik, um den Verbundnutzen zu gewährleisten. Damit können wir unsere Produkte direkt in die Sparkassen-Finanzgruppe einspielen, etwa in deren Firmenkunden-Portal.

Zukünftige Kooperationen sind für uns klassisch im Multi-/Hybrid-Cloud-Umfeld. Mit Microsoft sind wir schon sehr intensiv im Kontakt, allein wegen Desktop Computing. Wir werden das noch ausbauen. Wir haben jetzt komplett an alle Mitarbeiter nagelneue Laptops ausgerollt, alle bekommen iPhones SE dieses Jahr und wir sind sogar so weit, dass wir alle mit einem Bring-your-own-device-Konzept versorgen werden. Wir bieten auch Citrix-Einwahlen an für private Endgeräte. Das ist eine klassische Start-up-Architektur. In unserem Helaba-Campus haben wir Dörfer und Zonen, wo sich die Kolleg:innen schon in einem New-Work-Umfeld treffen und arbeiten können. Mit Cafeteria, Show Cooking im Erdgeschoss und so weiter. Wir haben über 200 Fahrradstellplätze, E-Ladestationen, zusätzlich aber auch gute Verkehrsanbindungen. Da kann man auch Party machen, wenn es nötig ist. Und das ist es, was wir an neuem Image in unserem Haus verkörpern. Wenn Corona vorbei ist, werden wir dieses mobile, flexible Arbeiten noch stärker pushen. Wir rechnen damit, dass noch maximal 70 Prozent der Belegschaft ins Büro kommen.

Mehr zur Digitalisierung in der Helaba finden Sie auch auf Youtube:
Digitalisierung der Compliance-Funktion Markus Müller

Gerade haben wir in Pressemitteilungen gesehen, dass die Deutsche Bank mit Google einen Vertrag abgeschlossen hat.

Cloud ist ein spannendes Thema. Sie kann günstiger sein, sie kann schneller sein, gerade im Entwicklungsumfeld und in Testumgebungen. Sie können innerhalb von fünf Minuten in der Cloud bei Google eine Test Engine einrichten. Daher glauben wir, dass gerade dieser Teil im Cloud-Umfeld besonders schnell wachsen wird. Und wir wollen da auch rein. Da haben wir auch keine Datenschutz- oder Datenrichtlinien-Thematik, weil ich in diesem Umfeld auch mit Testdaten arbeiten kann. Wir werden hier eine Cloud-first-Architektur implementieren, containisieren und mit Cybernetics arbeiten, wenn wir hier auch in einem eigenen Rechenzentrum kundenbezogene Daten weiterhin betreiben. Aber wir werden alle Vorteile der Entwicklungsumgebung wie Machine-Learning nutzen. Allein Google hat ungefähr 400 verschiedene Machine-Learning-Applikationen.

Jetzt sind die Amerikaner ja weit fortgeschritten. Es gibt aber immer noch diesen Cloud Act. Sie nehmen selber an diesem Financial Big Data Cluster im Rahmen des europäischen Cloud-Projekts teil. Was versprechen Sie sich von dem Mitwirken in so einem Projekt?

Die deutsche Gesetzeslage kennt zwei Seiten. Zum einen ist das die Sicherheit von Cloud, also Cybersecurity und BCM. Das ist aber nicht das einzige Thema, das wir als Bankbranche in den Griff bekommen müssen. Da haben wir übrigens auch gar keine Diskussion, Cloud Act hin oder her. Die Herausforderung ist eher der Datenschutz, der in Deutschland schon hinterfragt hat, ob Videokonferenz-Systeme wie Microsoft Teams oder Gotomeeting kritisch sind. Auf der einen Seite rufen die Politik und die entsprechenden Prüfer, dass wir in die Cloud-Dienste sollen. Auf der anderen Seite sind noch nicht alle Rahmenbedingungen geschaffen worden.

Wir als Bankbranche sind in diesen Themen aktiv, weil wir glauben, dass wir unseren Gesetzgeber motivieren müssen, uns einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen. Entweder eingeschränkt, sodass wir den großen amerikanischen Providern sagen können: Du willst in Europa mitmischen, dann musst Du Dich aber an die europäischen Regeln halten. Dann haben wir ein ganz anderes Druckmittel. Oder umgekehrt sagen sie: Nein, Du darfst das und das schon in Amerika tun, aber mit bestimmten Richtlinien und Rahmenbedingen. Diese Vorgehensweise gäbe uns eine gesetzliche Grundlage, auf der wir Banken viel besser agieren könnten. Und warum ist das bei uns so heikel? Weil wir kritische personengebundene Daten haben. Also der Datenschutz ist ja nicht nur Datensicherheit aus Cybersecurity-Gesichtspunkten, sondern echter Schutz von persönlichen Daten unserer Kunden.

Alles, was an Digitalisierung in den letzten fünf bis zehn Jahren diskutiert wurde, war zu 90 Prozent Retail- und Privatkunden-lastig. Warum ist das so? Unternehmen lechzten doch auch nach Digitalisierung.

Thema eins ist die Kombination aus Komplexität und Masse. Warum soll ich mit den kompliziertesten Prozessen in einer Bank anfangen, wo ich die geringsten Stückzahlen habe und die wenigsten Einsparungen? Dann kommen wir zur Automatisierung. Die Herausforderung ist tatsächlich, dass sich digitale Menschen mit dem komplexen Firmenkundengeschäft verknüpfen müssen. Wir glauben, dass die Kombination, also das Zusammenbringen eines Firmenkunden, die Business Einheiten mit einem echten Digitalisierer, die Lösung ist.

Sie haben uns tatsächlich einen anderen Blick hinter die Kulissen der Helaba verschafft.

Es liegt nicht an mir, sondern es liegt an den Menschen. Das sind über 6.000 tolle Menschen, die richtig Gas geben – und das mit Erlaubnis, Schnellboot und flexibel zu sein. Die Stimmung hier ist etwas ganz Besonderes. Natürlich gibt es Verbandsarbeit, da spielt auch Politik eine Rolle. Aber in unserem Haus haben wir ein ganz großartiges Betriebsklima und das sind die besten Voraussetzungen, eine echte digitale Transformation durchzuführen. Ich muss die Leute nicht anschieben, ich muss sie nur mit meinem Team prozessual und technologisch enablen, und das ist viel schöner.

Der gesunde Menschenverstand ist wichtiger als jedes Fachwissen.

Ich digitalisiere jetzt seit 20 Jahren. Der gesunde Menschenverstand ist wichtiger als jedes Fachwissen. Nicht alles zu glauben, was dokumentiert ist. In der Regel sind es nicht die regulativen Auflagen, die ein Haus kompliziert machen, sondern Menschen. Aber wenn Sie Freiraum im Kopf der Mitarbeiter:innen schaffen und diese lernen zu hinterfragen, dann gibt es einen Lernprozess.

Also fängt es in den Köpfen an, die müssen zuerst den Prozess bereinigen, verbessern, automatisieren und dann technologisch umsetzen. Das gibt einen richtigen Schub für die Organisation. Für diese organisatorische und prozessuale Veränderung müssen Sie gar kein Tech-Experte sein. Es genügt ein gesunder, bodenständiger Menschenverstand der vom Kunden her denkt.

Vorstände im Gespräch: Sie möchten weitere interessante Interviews lesen? Hier sprechen wir mit Andreas Zeiselmaier von der Rheingauer Volksbank.

Interview: Ronja Wildberger und Thorsten Hahn