BANKINGNEWS: Während der Corona-Pandemie hat die Kartennutzung in Deutschland erheblich zugenommen – dabei galten wir ja lange als die Bargeldnation in Europa. Spiegelt sich dieses Wachstum auch in der Nutzung der girocard wider?
Dr. Joachim Schmalzl: Die girocard ist einer der Gewinner der Digitalisierung im Zahlungsverkehr. Selbst während der Lockdowns, als viele Läden geschlossen waren, ist die Zahl der Transaktionen mit der girocard gestiegen. Und der Aufwärtstrend setzt sich weiter fort, auch weil immer mehr Partner Zahlungen mit der girocard akzeptieren: Mittlerweile sind an Deutschlands Kassen fast eine Millione Terminals installiert.
Vor allem der mobile Handel hat stark zugelegt. War es rückblickend ein Fehler, mit paydirekt eine neue Lösung einzuführen, statt einfach auf die Online-Fähigkeit der etablierten girocard zu setzen?
Paydirekt war der Versuch von Banken und Sparkassen, ihren Kunden – und dem Handel in Deutschland – ein eigenständiges Online-Zahlverfahren anzubieten. Vielleicht haben wir dabei die Bereitschaft der Menschen überschätzt, sich für etwas völlig Neues neu anzumelden und neue Zugangsdaten einzurichten. Deshalb führen wir jetzt paydirekt und giropay zu einem Verfahren zusammen, dem neuen giropay. Kunden können das sehr bequem mit den Credentials fürs Online-Banking nutzen. Auf der Händlerseite nutzen wir die „paydirekt-Welt“, in der wir hohe Anwendungsquoten erreicht haben. Demnächst bringen wir als weitere Möglichkeit, sich zu legitimieren und Zahlungen auszulösen, zusätzlich die digitalisierte girocard ein. Kunden haben damit die Wahl, wie sie online bezahlen: Mit Usernamen und Passwort wie von paydirekt gewohnt, direkt aus dem Online-Banking wie von giropay gewohnt, oder vom Smartphone mit der digitalisierten girocard, die – einmal in der Wallet hinterlegt – einfach per Fingerabdruck für Zahlungen freigegeben werden kann.
Was erhoffen Sie sich von dieser Konsolidierung? Ist es nicht schon zu spät großen Playern wie Klarna oder PayPal im E-Commerce die Marktanteile streitig zu machen?
Es gibt mehr als genug Raum für Zahlverfahren von Banken und Sparkassen, die direkt am Girokonto andocken. Natürlich haben wir einiges aufzuholen – auch weil wir unterschätzt haben, wie wichtig Kunden die Bequemlichkeit ist. Sie wollen auch große Zahlungen allein mit Benutzernamen und Passwort auslösen, sie akzeptieren für ein Plus an Sicherheit nur wenig zusätzlichen Aufwand. Tatsächlich ist es an uns als Anbieter, die bequemsten Wege für unsere Kunden im Hintergrund mit komplexen Verfahren abzusichern. Diesen Weg gehen wir.
„Die EPI-Gemeinschaft erreicht derzeit rund 67 Prozent der Verbraucher in Europa“
Mit der girocard kann man mittlerweile auch über Apple Pay online bezahlen. Hier kriegt Apple sowohl die Daten als auch die Schnittstelle zum Kunden. Ist das wirklich eine sinnvolle Kooperation?
Unsere Kunden können seit Juli 2021 mit der Sparkassen-Card über Apple Pay im E-Commerce zahlen. Es ist das erste Mal, dass deutsche Nutzer die girocard direkt im Online-Shopping einsetzen können. Kunden sehen diese Zahlungen unmittelbar in ihrem Girokonto. Unsere Kunden schätzen es, dass sie mit dem Girokonto der Sparkasse so bezahlen können, wie sie es möchten.
In Europa versuchen Banken, großen US-Unternehmen wie Mastercard und Visa mit EPI ein eigenes Bezahlsystem entgegenzusetzen. EPI könnte dafür die letzte Chance sein. Wieso schafft die Initiative es trotzdem nicht, dass wirklich alle europäischen Länder mitmachen?
Die EPI-Gemeinschaft erreicht derzeit rund 67 Prozent der Verbraucher in Europa. Die großen Länder wie Frankreich, Spanien und Deutschland sind mit einem großen Anteil der dort relevanten Banken dabei. Die EPI ist also alles andere als klein – auch wenn noch nicht aus allen EU-Ländern Banken beteiligt sind.
Aber das ist schon das langfristige Ziel?
Wir wollen die Verfahren, die EPI entwickelt, allen Verbrauchern und allen Händlern in Europa anbieten. Dafür wird EPI weitere Partner aus der Finanzindustrie gewinnen. Allerdings: Bislang sind alle Partner auch Shareholder und Eigentümer des Planungsverfahrens. Sie tragen Verantwortung, stellen Ressourcen zur Verfügung und treffen die Entscheidungen. Künftig wird es auch möglich sein, nur als Nutzer des Zahlverfahrens dabei zu sein. Da ist die Hemmschwelle natürlich viel niedriger. Deshalb bin ich sehr optimistisch, dass EPI sich weiterentwickelt zu einer pan-europäischen Initiative.
Gibt es besondere Gebührenmodelle für die Inhaber?
Die Eigentümer werden bei den Gebührenmodellen selbstverständlich keine privilegierte Position haben können. Aber sie partizipieren natürlich an den Einnahmen von EPI. Zunächst wird es aber darum gehen, die Nutzung unseres neuen Angebots zu intensivieren. Wir wollen Kunden und Händlern eine wettbewerbsfähige, europäische Alternative bieten. Klar ist aber auch: Systeme, die Zahlungsverkehr organisieren, werden an Wert gewinnen, und an diesem Wertzuwachs werden unsere Shareholder teilhaben.
„Wir wollen mit EPI Instant-Payment im E-Commerce möglich machen“
Der Handelsverband hat kritisiert, nicht in die European Payment Initiative (EPI) eingebunden zu sein – obwohl doch die Händler als Bindeglied die Akzeptanzstellen zum Kunden bringen. Wie schätzen Sie diesen Einwand ein?
Banken und Handel wollen gemeinsam Kunden das Bezahlen so einfach wie möglich machen. In der European Payments Initiative prüft die Finanzwirtschaft gerade massive Investitionen in eine neue Infrastruktur – und natürlich auch deren Amortisation. Denn nur, wenn Investitionen sich lohnen, werden sich auch Investoren finden. Selbstverständlich wird EPI intensiv mit dem Handel kooperieren.
Händler zeigen ja durchaus Zahlungsbereitschaft, insbesondere in Hinblick auf Mehrwerte. Wäre es möglich, dass Banken den Händlern eine Art Baukastensystem zur Verfügung stellen?
Kunden wie Händler wünschen sich Mehrwertdienste, die das Einkaufen und das Bezahlen leichter machen. Im E-Commerce wären das zum Beispiel Ratenzahlung, Buy-Now-Pay-Later, Rechnungskauf oder auch die Möglichkeit für Kunden, Belege automatisch abzulegen. Dazu wollen wir gern beitragen und eine entsprechende Infrastruktur zur Verfügung stellen. Deswegen diskutieren wir mit vielen Händlern, welche Mehrwertservices sie gerne im Baukasten hätten. Wir wollen mit EPI ja nicht nur eine zusätzliche Option für den Zahlungsverkehr bieten, sondern auch neue Mehrwerte liefern. Ein ganz entscheidender Mehrwert aus unserer Sicht: Wir wollen mit EPI Instant Payment im E-Commerce möglich machen. Erstmals könnten Kunden und Händler in ganz Europa auf Basis unserer hervorragenden Infrastruktur Transaktionen in Echtzeit abwickeln.
Wo steht das Projekt aktuell?
Die EPI Interim Company hat Business Case, technische Verfahren, Standards, Regeln und ähnliches ausgearbeitet. Jetzt bilden sich die Shareholder ihre Meinung, ob sie investieren wollen in das, was da ausgearbeitet wurde. Sobald eine positive Entscheidung gefallen ist, wandeln wir die gegenwärtige EPI Interim Company in die endgültige EPI-Gesellschaft um und fangen an, das Zahlverfahren zu implementieren. Ich sehe breite Unterstützung für eine wettbewerbsfähige Alternative aus Europa im europäischen Zahlungsverkehrsmarkt. EPI wird Europa sehr guttun.
Welches Zeitfenster ist für die Einführung von EPI geplant?
Wir werden die EPI-Verfahren Zug um Zug einführen: Das europaweit einheitliche Verfahren fürs Bezahlen von Handy zu Handy, also für sogenannte P2P-Zahlungen, wird vergleichsweise einfach umzusetzen sein, deshalb wollen wir damit starten. Der nächste Schritt wird die Lösung für den E-Commerce sein. Und dann ist die Zeit auch reif für die EPI-Verfahren für Kartenzahlungen. Dafür müssen parallel Akzeptanzstellen und Karten aufeinander abgestimmt umgestellt werden. Kunden in Deutschland kennen solche schrittweisen, unkomplizierten Einführungen zum Beispiel von neuen Features bei girocards: Wenn die alte girocard ausläuft, kommt mit der neuen das neue Feature. Das hat mit den Kontaktloszahlungen per NFC so funktioniert, und das wird bei EPI wieder so funktionieren.
„Vor drei Jahren hätten viele in Deutschland nicht gewusst, was sie mit einem QR-Code anfangen sollen“
Deutschland wurde dafür kritisiert, dass die hierzulande sehr dominante girocard bei EPI mit eingebaut werden soll. Wie sind Sie dieser Kritik begegnet?
Ich habe diese Kritik gar nicht so wahrgenommen. Es gibt viele tolle Systeme in vielen europäischen Ländern: Die girocard ist ein ausgesprochen erfolgreiches Kartenprodukt, Bizum aus Spanien ist ein sehr erfolgreiches P2P-Produkt, iDEAL aus Holland ein tolles Produkt für den E-Commerce. Unser Ziel mit EPI ist es, diese Erfolgsmodelle in Einklang zu bringen und auf einer einheitlichen Infrastruktur anzubieten. Der technische Standard dafür wird CPACE sein, der wird heute schon für die girocard genutzt. Für EPI ist das ein Vorteil, so werden schnell große Volumina auf dem EPI-System generiert.
Ist diese Implementierung in eine neue Infrastruktur nicht trotzdem ein sehr mühsamer Weg? Besonders in Europa, wo wir ja nicht nur die drei Säulen haben, sondern eine Vielzahl von Banken unterschiedlicher Länder.
Vor allem ist das Zahlungsverkehrsverhalten der Kunden in Europa sehr unterschiedlich: In Deutschland kaufen im E-Commerce viele auf Rechnung, weil sie erst die Ware sehen und dann entscheiden möchten, was sie behalten und was sie zurückschicken. Das ist zum Beispiel in Frankreich undenkbar. Trotzdem wollen wir mit EPI eine durchgängige Lösung für Europa schaffen, ein gemeinsames Verfahren mit vielen verschiedenen Abwicklungswegen. So werden wir zum Beispiel das Bezahlen mit NFC am Terminal möglich machen, aber auch das Bezahlen mit QR-Code.
Also ich war ja immer ein Fan des QR-Codes. In Deutschland hat er sich aber nie richtig durchgesetzt.
Vor drei Jahren noch hätten viele in Deutschland gar nicht gewusst, was sie mit einem QR-Code anfangen sollen, schon gar nicht an der Ladenkasse. Nicht zuletzt durch die diversen Covid-Apps haben sich viele Menschen jetzt daran gewöhnt, QR-Codes zu scannen. Auch dieses Verfahren werden wir aber niemandem aufdrängen; die Kunden haben jetzt und in Zukunft die Wahl: Mit Karte, Smartphone oder Smartwatch bezahlen, durch Stecken der Karte, kontaktlos oder mit QR-Code, in Echtzeit, mit Mehrwertangeboten oder ohne. Den Wünschen und Gewohnheiten unserer Kunden so umfassend gerecht zu werden, ist schon in Deutschland nicht immer ganz einfach. In Europa ist es natürlich nochmal komplexer. Aber wir stellen uns dieser Aufgabe.
Die EZB prüft die Einführung eines Digitalen Euros. Wie stehen Sie dazu: Ist die Einführung notwendig, damit Europa etwa beim Thema Internet of Things nicht abgehängt wird?
Als Europäer bin ich sehr froh, dass die EZB ein Projekt zum Digitalen Euro gestartet hat. Europa darf nicht abhängig werden von digitalen Währungen der anderen. Die Deutsche Kreditwirtschaft ermutigt die EZB sogar, ihr Projekt noch viel weitreichender anzulegen: Notwendig ist ein ganzes Ökosystem digitaler Währungen. Neben dem Digitalen Euro für Verbraucher braucht Europa digitales Geld für Power-User wie Banken und Börsen. Und zusätzlich – Stichwort „Internet of Things“ – braucht Europa programmierbares Geld, zum Beispiel als sogenannte Giralgeldtoken etwa für Zahlungen von Maschine zu Maschine. Die Kreditwirtschaft steht bereit, mit innovativen Geldformen neue Lösungen für ihre Unternehmenskunden anzubieten. Denn auch wenn der digitale Euro wie Bargeld gesetzliches Zahlungsmittel wird – die Ausgabe von Geld ist und bleibt im bewährten zweistufigen Bankensystem Aufgabe der Banken und Sparkassen.
Interview: Thorsten Hahn und Daniel Fernandez
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