BANKINGNEWS: Berufsunfähigkeit hat aktuell an Wichtigkeit gewonnen. Wie schätzen Sie diesbezüglich den Beratungsbedarf ein?
Tanja Sommer: Berufsunfähigkeitsabsicherung sollte in der Kundenberatung einen hohen Stellenwert haben. Das spiegelt auch die Empfehlung des Verbraucherschutzes. Diese sieht nach einer Absicherung gegen Haftpflichtrisiken und der Gesundheitsvorsorge vor allen anderen Themen die Absicherung der Arbeitskraft vor. Hier finden sich in der Beratung jedoch zahlreiche Fallstricke, etwa im Umgang mit Vorerkrankungen. Zudem gibt es einen Dschungel an Lösungsmöglichkeiten, die auch abhängig sind vom berufsbedingten Risiko und der individuellen Einkommenssituation der Kunden. Das sind zwei Faktoren, die häufig konträr zueinander stehen. Daher sehe ich primär die Signalerkennung und Sensibilisierung des Kunden beim Bankberater. Die Beratung an sich sollte durch einen Spezialisten erfolgen.
Oft ist zu lesen, dass der Beratungsbedarf bei jüngeren Kunden hoch ist. Ist die persönliche Beratung im Bereich Vorsorge- und Absicherungslösungen ein großer Hebel, um diese Kundengruppe langfristig zu binden?
Die persönliche Beratung zu Vorsorge- und Absicherung ist in jedem Fall ein wichtiges Instrument für langfristige Kundenbindung, insbesondere junger Kunden. Hier geht es auch um frühzeitiges Erzeugen einer Kompetenzvermutung beim Kunden. Konto, Kredit oder Wertpapiere sind Themen, bei denen Kunden zuerst an die Hausbank denken. Die Hausbank als ganzheitlichen Player in Finanzthemen wahrzunehmen, quasi als Lebenspartner bei allen finanziellen Belangen, dient auch der Abschirmung gegen Mitbewerber. Hier sollten sich Banken in ihrem Wirkungsgrad nicht selbst beschränken.
Finanzberatung speziell für Frauen, besonders im Bereich Altersvorsorge, hat enormen Aufschwung erlebt. Ist Ihnen persönlich der Nachfrageanstieg ebenso aufgefallen?
Das Thema Altersvorsorge gewinnt für Frauen definitiv an Bedeutung. Hier geht es weniger um spezielle Produktlösungen für Frauen. Es gibt vielmehr ein zunehmendes Interesse, sich einen Überblick über die gesetzlichen Rahmenbedingungen und individuelle Vorsorgemöglichkeiten zu verschaffen. Die Erkenntnis, dass ein Mann keine Altersvorsorge darstellt und eine eigene Absicherung der Langlebigkeit in jedem Fall erforderlich ist, setzt sich immer mehr durch. 2021 haben wir interessierte Kundinnen in zwei Webinaren über Trugschlüsse und Vorurteile zur Alters- und Hinterbliebenenversorgung sowie zu Erbschaftsthemen informiert. Auch weiterhin werden wir diesem Thema eine hohe Priorität einräumen.
Einige Banken erkennen „jetzt erst“ das Potenzial der Bancassurance. Volksbanken hingegen arbeiten schon lange mit der R+V zusammen. Ein Erfolgsmodell – aus Bankensicht und aus Kundensicht?
Bancassurance hat im Genossenschaftsbereich tatsächlich eine lange Tradition. Für Banken bietet es bei konsequenter vertrieblicher Umsetzung natürlich die Möglichkeit, Kunden durch Produkte eines vertrauenswürdigen und erfolgreichen Partners noch stärker an das eigene Haus zu binden. Zudem hat das Generieren zinsunabhängiger Erträge im herausfordernden Marktumfeld an Bedeutung gewonnen. Aber auch für Kunden hat es zahlreiche Vorteile, finanzielle Themen in einer Hand zu wissen. Hier sollte man vor allem auch den Leistungsfall betrachten, wo es von Vorteil ist, themenübergreifend nur einen Ansprechpartner zu haben.
Warum fällt es Beratern immer noch schwer, Versicherungsprodukte zu vertreiben oder Kunden in diesem Kontext anzusprechen? Ist es „nur“ ein Problem fehlender Tools?
Nein, es ist sicher nicht nur ein Problem fehlender Tools. Der Kundenbedarf an Absicherung und Vorsorge ist unbestritten. Der Bankenvertrieb hat aufgrund seines Informationsvorsprungs zum Kunden klare Vorteile gegenüber Mitbewerbern anderer Vertriebswege. Jedoch sind die Erfordernisse in der Bankberatung heute vielfältiger denn je und der Themen-Bauchladen der Berater ist ohnehin gut gefüllt. Noch dazu ist Versicherung, anders als Bausparen, kein bankoriginäres Thema und historisch häufig beim Berater negativer belegt als beim Kunden. Rahmenbedingungen für erfolgreichen Bankenvertrieb sind daher Transparenz und Verständlichkeit. Dies gilt für Prozesse und möglichst intuitive Beratungstools ebenso wie für die Produktlösungen. Die Themen beim Kunden anzusprechen, erfordert aber vor allem ein entsprechendes Beraterselbstverständnis. Sieht sich der Kundenberater als Ansprechpartner zu allen finanziellen Themen des Kunden, ist er sich seiner Vertrauensposition beim Kunden bewusst. Er erkennt an, dass der Kunde einen Bedarf in Absicherungs- und Vorsorgethemen hat. So hat der Berater die besten Aussichten, auch in diesem Themenfeld erfolgreich zu agieren.
Auch die Erwartungshaltung und die Informationslage der Kunden haben sich geändert. Müssen Produkte also personalisierter und flexibler werden?
Ich persönlich sehe besonders im Vorsorgebereich den größten Hebel in der Konzeptberatung. Hier liegt der Fokus auch weniger auf besseren und flexibleren Produkten. Die Kunden sind durchaus informierter und kennen Produkte und deren Preise. Was ihnen aber häufig fehlt, sind gesetzliche und steuerliche Rahmenbedingungen und ein möglicher Mehrwert durch das Erstellen eines maßgeschneiderten Konzepts, das neben der heutigen finanziellen Situation auch Themen wie etwa Vermögensnachfolge betrachtet.
Wie lassen sich Vorsorge und Absicherung besser in den Beratungsprozess implementieren?
Hier bieten Versicherungsunternehmen oder Maklerpools unterschiedlichste Lösungen. Dabei sollte aber immer die Sicht des Bankberaters Priorität haben. Allein im Rahmen von Finanzplangesprächen, Anlage- oder Finanzierungsberatungen gibt es zahlreiche Signale und Ansätze rund um Absicherung und Vorsorge. Nichtsdestotrotz bleibt der Bankberater in erster Linie der Bank-Berater! Dem sollte man Rechnung tragen, indem der Fokus immer auf den bankindividuellen Prozessen und Abläufen liegt. Getreu dem Motto: Der Wurm soll dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.
Interview: Laura Kracht
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