ESG in die Kreditvergabe integrieren – das klingt in den zahlreichen Veröffentlichungen rund um Nachhaltigkeit und Banking eigentlich recht simpel. Und tatsächlich: Das Prinzip dahinter ist es auch. Der Kreditzweck wird unter Nachhaltigkeitsaspekten bewertet. Das Ergebnis wird dann in den Konditionen für den Kredit berücksichtigt.
Eine machbare Aufgabe, zumindest auf den ersten Blick. Auf den zweiten ergeben sich allerdings jede Menge Fragen. Vor allem: Was bedeutet Nachhaltigkeit in einer spezifischen Branche? Wie lassen sich konkrete Themen aus den Bereichen Soziales, Umwelt und Governance in Fragen an den Kreditnehmer übersetzen? Geht es nur um den jeweiligen Kreditzweck oder auch um den allgemeinen Geschäftsbetrieb? Und was sind dann eigentlich jeweils „gute“ Antworten auf die Fragen?
Firmenkunden, die in Sachen Nachhaltigkeit berichtspflichtig und deren Daten öffentlich zugänglich sind, können diese Fragen vergleichsweise leicht beantworten. Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ist das Ganze noch einmal wesentlich komplizierter. Der Handwerksbetrieb im Ort, die neue Kita oder das kleine Café in der Einkaufspassage mussten sich den Fragen im Rahmen des ESG Ratings oder der Nachhaltigkeitsberichterstattung bislang nicht stellen. Demnach kennen sie auch einen Großteil ihrer Antworten nicht. Fragen Sie doch einmal im Copyshop um die Ecke nach der Klimabilanz vom Vorjahr.
Herausforderungen für KMU und Banken
Damit stehen besonders die Institute vor einer großen Herausforderung, deren Kernklientel die vielen regionalen Existenzen in Deutschland sind. Dazu gehören besonders die Genossenschaftliche FinanzGruppe und die Sparkassen. Anekdotische Evidenz zeigt, dass Komplexitäten der Aufgabe dann und wann dazu führen, das Thema (vorerst) nicht zu bearbeiten. Das Spektrum reicht von „erst einmal abwarten“ bis hin zur Diffamierung des Vorhabens als utopisch.
Wer zu dieser Schlussfolgerung kommt, unterliegt jedoch einem Irrtum. Denn vor allem wegen der Komplexität bedarf es der frühzeitigen Auseinandersetzung mit den Fragestellungen – auch um sowohl Firmenkunden als auch Mitarbeiter der Bank an das Thema heranzuführen.
Das Spektrum reicht von „erst einmal abwarten“ bis hin zur Diffamierung des Vorhabens als utopisch.
Als erste Anlaufstelle für die selbstständigen Kaufleute des EDEKA-Verbunds vergibt die EDEKABANK vor allem Kredite für Existenzgründungen, Marktübernahmen und -sanierungen. Sie finanziert also überwiegend KMUs. Damit steht das Institut ebenfalls vor den zuvor skizzierten Herausforderungen und begegnet diesen nun in einem dafür eigens initiierten Forschungsprojekt. Das Projekt „Nachhaltiger Lebensmitteleinzelhandel“ wird von der Deutschen Bundesstiftung für Umwelt (DBU) gefördert und von der Leibniz Fachhochschule Hannover wissenschaftlich begleitet.
Hintergrund dieses Engagements ist auch die Klimaschutzselbstverpflichtung der Deutschen Finanzindustrie, die die EDEKABANK bereits 2020 unterzeichnet hatte. Darin verpflichtet sie sich, ihre Investitionen – also auch ihre Kredite – im Einklang mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens auszurichten.
Messkonzept für den Einzelhandel
Im Wesentlichen sind es zwei Fragen, die im Rahmen des Forschungsprojekts beantwortet werden sollen. Zum einen gilt es zu klären, wie Nachhaltigkeit im Lebensmitteleinzelhandel bewertet werden kann. Denn bisher gibt es kein wissenschaftlich anerkanntes Messkonzept für den Einzelhandel. Zwar liegen erste Bewertungsansätze von Branchen- und Umweltverbänden vor, die einzelne Charakteristika eines nachhaltigen Geschäftes beschreiben – etwa die zweifelsohne wichtige Option, verpackungsfrei einzukaufen. Der Bezug zu den Pariser Klimazielen fehlt jedoch in diesen Ansätzen.
Der finanzielle Anreiz über verbesserte Kreditkonditionen für sich genommen könnte nicht ausreichend sein.
Was ebenfalls bislang nicht berücksichtigt wurde, ist die Zukunftsperspektive. Oder anders: Woran kann ein Geschäft erkannt werden, das zwar heute nicht auf einem 1,5°C-Pfad wandelt, sich aber sehr wahrscheinlich auf den Weg begeben wird? Konkret soll daher ein valides sowie praxistaugliches Indikatorenset entwickelt werden, das sowohl die aktuelle als auch die künftige Nachhaltigkeitsleistung eines Lebensmittelmarktes bewertet. Gleichzeitig soll in diese Bewertung unter anderem miteinfließen, inwieweit ein Markt mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens kompatibel ist.
Diese Bewertung folgt jedoch keinem Selbstzweck. Vielmehr ist sie die Voraussetzung, um Verbesserungspotenzial aufzudecken und entsprechend kundenindividuell Maßnahmen zu empfehlen. Und genau darum dreht sich die zweite zentrale Frage, der im Rahmen des Forschungsprojektes nachgegangen werden soll: Welche Voraussetzungen und welche Anreize sind notwendig, damit Kaufleute die empfohlenen Nachhaltigkeitsmaßnahmen auch umsetzen?
Die Forschung im Bereich Umweltpsychologie zeigt, dass einzelne Faktoren oft nicht zum gewünschten Verhalten führen, sondern es spezifischer Kombinationen von Anreizen und Umweltbedingungen bedarf. Ein Beispiel: Die Bewertung eines Marktes ergibt, dass die Installation einer Photovoltaikanlage zielführend wäre und die Bank diese Maßnahme entsprechend empfiehlt. Der finanzielle Anreiz über verbesserte Kreditkonditionen für sich genommen könnte nicht ausreichend sein. Als Angebotsbündel mit Vermittlung an einen passenden Anlagenbauer allerdings schon.
Die Kernfrage lautet also, wie genau diese Angebotsbündel im Kontext des Lebensmitteleinzelhandels aussehen müssen, um Entscheidungsträger für Nachhaltigkeitsmaßnahmen zu gewinnen. Nur so kann sichergestellt werden, dass möglichst zielführende Anreize gesetzt werden.
TIPP: Sie möchten mehr zum Thema Nachhaltigkeit lesen? Dann erfahren Sie hier, was den Banken beim Thema Klimakrise bevor steht oder erfahren Sie hier, ob es die Clean Tech Bubble wirklich gibt.