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WEF im Zeichen der De-Globalisierung

Das Ende der aufreibenden Corona-Pandemie ist absehbar und doch ist das Weltwirtschaftsforum von Normalität weit entfernt. Neue dunkle Wolken sind über Davos aufgezogen und verbreiten den Schauer längst überwunden geglaubten Zeiten. Ein Kommentar von Milan Herrmann


WEF

Zwischen dem 22. und 26. Mai tagte das alljährliche World Economic Forum (WEF) in Davos. Nach einer pandemiebedingten Unterbrechung wurde erstmals seit 2019 wieder zu einer Präsenzveranstaltung geladen. Doch auch das Ende zwei entbehrungsreicher Jahre kann die Stimmung nicht aufhellen. Der Krieg in der Ukraine und die anhaltenden Komplikationen bei den internationalen Lieferketten bestimmen den Ton der Veranstaltung. 

Im Kern bleibt sich das Forum 2022 treu: Die Gästeliste ist wie gewohnt lang und die Podien sind hochkarätig besetzt. Wenn WEF-Gründer Klaus Schwab ruft, dann folgt die internationale Polit- und Wirtschaftsprominenz. Insgesamt 2500 Teilnehmer fasst der diesjährige Gipfel, die Hälfte davon Topmanager. Hinzu kommen 50 Regierungschefs sowie 310 weitere Regierungs- und Behördenvertreter, zu denen etwa die Präsidentin der Europäischen Zentralbank Christine Lagarde zählt.   

Weit entfernt vom Normalzustand

Die drei wichtigsten Funktionäre bleiben der Veranstaltung allerdings fern. Weder der amerikanische noch der chinesische oder russische Präsident sind vor Ort. Wladimir Putin wird anders als seine beiden Amtskollegen nicht vor die Wahl gestellt. Sein Erscheinen infolge des Einmarschs in die Ukraine ist unerwünscht. 2019 hielt er noch einen 40-minütigen Redebeitrag. Das Russia House, das für seine Vodka- und Kaviartheke bekannt war, weicht dem Russian Warcrime House, in dem russische Kriegsverbrechen dokumentiert werden.  

Das Forum, das im Normalzustand für grenzüberschreitende, übergeordnete und kollektive Ziele steht, wird damit zur Demarkationslinie im Konflikt mit Russland. Unterstrichen wird dies durch die Videoübertragung von Wolodymyr Selenskyj, der den Platz seines russischen Widersachers einnimmt. In seiner Rede bittet der ukrainische Präsident um Solidarität und fordert maximale Sanktionen gegen Russland. Angesichts seiner Lage erscheint das mehr als nachvollziehbar – nur ist dies wirklich der richtige Ort?

Unsicherheit im Gepäck

Der demonstrativen Zurschaustellung der Ablehnungshaltung steht eine fast greifbare Verunsicherung gegenüber. Nach zwei Jahren Corona-Pandemie und hoher staatlicher Neuverschuldung kommen die Moskauer Expansionsbemühungen zur Unzeit. Die Folgen sind beim WEF omnipräsent: Die Gefährdung der globalen Nahrungsmittelversorgung, der Rückgang des internationalen Handels, zusätzliche Folgen für das Klima und die Unwuchten im internationalen Zahlungsverkehr. 

Dass die Situation so verfahren ist, hat natürlich auch mit der Rolle Chinas zu tun. Neben der politischen Nähe zu Russland und seiner Bereitschaft, den Nachbarn zu unterstützen, wirken sich die andauernden Lockdown-Maßnahmen zusehends negativ auf die Konjunkturprognosen aus. Frachtschiffe stecken im Stau, Containerpreise steigen und Zwischenerzeugnisse gelangen nicht an den Ort ihrer Weiterverarbeitung, kurzum: internationale Lieferketten sind weit vom Regelbetrieb entfernt. In der Folge liegt die Inflation wie ein Schleier über den wirtschaftlichen Erwartungen. 

In der westlichen Staatengemeinschaft löst all das eine Rückbesinnung auf vitale Interessen aus. Abhängigkeiten reduzieren lautet das Stichwort, das im Kern eine Regionalisierung beschreibt. Bereits vor dem Krieg war diese Entwicklung im Bereich der Halbleiterproduktion zu beobachten. Unternehmer und Investoren folgen der politischen Weichenstellung. Sie suchen Standorte in der Nähe und ziehen ihre Gelder aus der Ferne ab. 

Während das WEF viele der Probleme zu adressieren weiß, kann es dennoch keine Lösung anbieten. Der Grundkonflikt ist politischer Natur. Im Ergebnis wird das diesjährige Forum zum Sinnbild einer überwunden geglaubten Zeit. Es steht im Zeichen der De-Globalisierung. 

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