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Keine Zeit zum Ausruhen: Die Wirtschaft auf dem Weg zur Klimaneutralität

Wo steht die deutsche Wirtschaft bei der nachhaltigen Transformation? Eine Studie des LBBW Research ermöglicht hierzu erstmalig einen branchenübergreifenden Vergleich einzelner Wirtschaftszweige. Die Analysten Bettina Deuscher und Gerold Deppisch berichten, in welchen Phasen sich die einzelnen Branchen beim Umbau der Geschäftsmodelle zur Klimaneutralität aktuell befinden.


Co2, Klimaneutralität

Klima- und Umweltschutz gehen alle Wirtschaftsbereiche etwas an. Das LBBW Research geht in einer Untersuchung der Frage nach, wo einzelne Branchen beim Nachhaltigkeitswandel stehen und welcher Klimabeitrag bereits geleistet wurde.

Dafür wurden börsennotierte europäische Unternehmen herangezogen. Auch wurde ein Modell erstellt, das Entwicklungsschritte eines typischen Prozessverlaufs für Klimaschutzmaßnahmen in Unternehmen in vier Phasen einteilt: Initialisierung, Konzeptionierung, Transformation und Optimierung (siehe Abbildung).

In dieses fließen acht Kriterien über zwei Dimensionen ein. Die erste beleuchtet relevante Klimakennzahlen, das Scoring des Umweltreportings sowie das Ausmaß selbstverpflichtender Klimaziele inklusive der Ist-Situation.

Darüber hinaus findet das Teilergebnis der LBBW ScoreCard in der Kategorie „Eigentümer & ESG“ Anwendung. Die zweite Dimension dient der Einschätzung der Transformationsfähigkeit und basiert auf fundierten Einschätzungen der Analysten mit den Schwerpunkten Markt/Wettbewerb, Regulatorik und Technologie. Dies gewährleistet eine ganzheitliche Betrachtung von Umweltthemen in Abhängigkeit der Branchenspezifika.

Umsetzung unter Hochdruck

Dabei ergeben sich differenzierte Bilder. So ist etwa die Automobilbranche spürbar im Umbruch und hat die Transformationsphase erreicht. Sie weist eine hohe Dynamik bei klimabezogenen Anpassungen auf. Nahezu alle Hersteller und Zulieferer verfügen über Konzepte zur strategischen Neuausrichtung in Richtung Elektro-Mobilität und passen ihre Prozesse und Produkte an. An der Umsetzung wird mit Hochdruck gearbeitet, aber das Tempo der Unternehmen variiert.

Klimaneutralität

Bei der CO2-Reduktion werden zwar gute Fortschritte verbucht. Doch bei der Transparenz der Umweltreportings schneiden Branchen wie Nahrung, Telekommunikation und Versorger aktuell besser ab. Hinzukommen die Selbstverpflichtungen, bei denen in der Automobilbranche noch Luft nach oben ist. Durch neue Klimagesetze und die Nachfrageseite bleibt der Handlungsdruck konstant hoch.

Ebenso in der Transformationsphase, aber in einer weit fortgeschritteneren Positionierung befindet sich die Konsumgüterbranche. Ihren CO2-Ausstoß reduzierten die Unternehmen in den vergangenen Jahren gleich drei Mal so stark, wie es für die Erreichung der Klimaziele bis jetzt notwendig gewesen wäre. Bei anderen Kriterien des Modells belegen sie zumindest die vorderen Plätze.

Ganz anders steht derzeit die Chemiebranche da. Sie befindet sich auf dem Weg in die Konzeptionierungsphase. Der Druck für erforderliche klimabezogene Umbauten entlang der Wertschöpfungsketten ist bei Chemieunternehmen so hoch wie noch nie.

Das liegt nicht zuletzt an der zunehmenden Wahrnehmung der Öffentlichkeit sowie an neuen und strengeren Umweltgesetzen. Dabei müssen auch die Einflüsse auf nachgelagerte Wertschöpfungsketten berücksichtigt werden. Die Uhr tickt und der Weg zu nachhaltigen Produkten und Prozessen scheint noch weit. Bei den Klimaindikatoren CO2Ausstoß, Wasserverbrauch und produzierte Müllmenge ist die Chemie die schwächste Branche.

Versorger und Telekommunikation mit besonderer Rolle

Eine bemerkenswerte Position nehmen Versorger und Telekommunikation ein. Die Versorgerbranche befindet sich in der Konzeptionierungsphase. Sie steht vor gewaltigen Herausforderungen, besonders infolge der Regulierung und verschärfter Dekarbonisierungsmaßnahmen für eine Energiewende und Klimaneutralität bis 2050.

Die Umstellung auf erneuerbare Rohstoffe erfordert einen tiefgreifenden Umbau der Geschäftsmodelle. Gleichzeitig greifen zahlreiche neue EU-Regelungen des Fit-for-55-Maßnahmenpakets schon während der Übergangszeit. Das Modellergebnis ist vor allem von schwachen Werten aufgrund überdurchschnittlich hoher Verbrauchsintensitäten von CO2 und Wasser geprägt, wenngleich die Branche bei der jährlichen CO2-Reduktion bereits gute Fortschritte verbucht.

Die Telekommunikationsbranche ist in der Initialisierungsphase. Hier sind die klimabezogenen Anpassungen viel weiter fortgeschritten als in anderen Branchen. Bei den rasant zunehmenden Datenmengen macht sich auch der Umweltvorteil neuer Technologien bemerkbar, wie etwa der Glasfaser-Technologie. Sie sichert auch für künftige Anforderungen die maximale Übertragungsgeschwindigkeit und ist um ein Vielfaches energieeffizienter als Kupferkabel.

Gleichwohl verfehlt die Branche aktuell die CO2-Reduktion. Anstatt einer Verringerung des schädlichen Treibhausgas-Ausstoßes ist sogar ein Anstieg festzustellen. Das resultiert aus dem Breitbandnetz-Ausbau für zunehmende Digitalisierungsvorhaben in nahezu allen Wirtschaftszweigen. Langfristig dürfte der Klimabeitrag aber zum Tragen kommen, wenn unter anderem vernetzte Sensoren und automatisierte Steuerungen zum Beispiel in der Energie-, Landwirtschaft-, Nahrungsmittel- oder Logistikindustrie deutliche CO2-Verringerungen und andere positive Klimabeiträge ermöglichen.

Grundsätzlich spielen Nachfrage, nachhaltige Technologien und Regulatorik eine zentrale Rolle für das Erreichen von Klimaneutralität. In einzelnen Branchen hängt das Tempo bei der Verringerung des CO2-Ausstoßes maßgeblich vom technologischen Fortschritt ab. Auf der anderen Seite können regulatorische Maßnahmen zum Teil nur durch den Einsatz erheblicher Investitionen umgesetzt werden. Dabei variiert die Betroffenheit zwischen den unterschiedlichen Branchen stark. Es bleibt keine Zeit zum Ausruhen.

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