Netzwerke sind ein Erfolgsfaktor – insbesondere für den B2B-Vertrieb. Auch Soziale Netzwerke spielen folglich eine immer größere Rolle, damit eng verknüpft ist das Thema „Social Selling”. Initial bereits im Jahr 2015 mit einem Dutzend Testusern begonnen, nehmen bei Allianz Global Investors heute in Europa über 170 Kollegen an einem entsprechenden Programm teil.
Obwohl das Thema also nicht völlig neu ist, scheinen Kenntnisstand und Adaptionsgrad generell und speziell in der Finanzdienstleistung noch immer stark unterschiedlich zu sein. Dies gilt sowohl für die Unternehmen als auch für die im Mittelpunkt stehenden Mitarbeiter, vor allem aus dem Vertrieb.
Dabei ist im Übrigen die Vermutung „Jüngere kennen und können es, Ältere nicht“ nicht einmal im Ansatz zutreffend. Was zunächst überraschend wirken mag, leuchtet spätestens dann ein, wenn man sich klar macht, was Social Selling eigentlich ausmacht. Denn es geht in erster Linie nicht darum, permanent Content zu publizieren.
Definieren könnte man es wie folgt:
- ein Netzwerk auf- und auszubauen und dieses zu nutzen,
- Informationen zu sammeln,
- vertrauensvolle Beziehungen zu kreieren, zu stärken und Einfluss zu gewinnen,
- damit eine solide persönliche Marke zu schaffen und
- letztendlich einen besseren Job zu machen.“
Das klingt vermeintlich komplex. Wenn man jedoch den Eingangssatz nur leicht verändert und wie folgt neu fasst, sollte diese Komplexität schnell verfliegen: „Verkaufen ist eine Strategie, die Gespräche / Lunchtermine / Events / Messen / Telefonate / Mails… nutzt, um ein Netzwerk […].“
Social Selling = Sales Intelligence
Derart de-mystifiziert wird offenbar, dass Social Selling nichts anderes ist als die Ausweitung von Aktivitäten durch Menschen hinein in die digitale Welt, indes weiterhin durch Menschen. Es löst nichts ab, es ergänzt. Dabei funktioniert nicht alles, manches hingegen sogar besser, beispielsweise Recherche, womit ein optimiertes Niveau von Sales Intelligence ermöglicht wird.
Die Älteren mögen sich noch an Zeiten erinnern, in denen Adresslisten für teures Geld eingekauft wurden – und die schon veraltet waren, wenn sie letztlich auf dem Schreibtisch lagen. Heute bekommt man die Namen nebst korrespondierenden Daten und Insights relevanter Personen quasi auf dem Silbertablett serviert, wenn man möchte direkt ins CRM gespiegelt. Der gesamte Prozess des Lead-Management dankt es. Social Selling beginnt mit dem aufmerksamen Zuhören. Nie hatte man leichter Zugang zu Informationen, nie konnte man schneller potenzielle Kunden erkennen.
Vertriebler, die die Chancen eines sozialen Netzwerks und einer sich selbst aktualisierenden Datenbank negieren, sind ergo unter Umständen weniger effizient und weniger „upto-date“ als die Kollegen des Wettbewerbes. Es ist absehbar: In ein paar Jahren wird es den Begriff in dieser Form wahrscheinlich nicht mehr geben. Das Nutzen von Plattformen wie LinkedIn wird zur alltäglichen Arbeit und folglich DNA eines Vertriebsprofis gehören. Algorithmen, die Vernetzung verschiedener Systeme und Künstliche Intelligenz werden beim Verkauf helfen, übrigens auch dem Einkauf.
Investments eingehen. Oder eingehen
Social Selling ist nicht der heilige Gral. Wenn ein Unternehmen jedoch in einem Markt tätig ist, in welchem eine modern agierende, aktive Vertriebsorganisation maßgeblich ist, kann das Ignorieren fahrlässig sein. Der Vergleich mag vielleicht ein Regal zu hoch gegriffen sein, dennoch sei er gestattet: Ehemals erfolgreiche Unternehmen des stationären Handels, welche die Digitalisierung entweder „verschlafen“ haben oder nach anfänglichen Verlusten bei der Einführung eines digitalen Vertriebskonzeptes nicht den erforderlichen langen Atem hatten, sehen sich heute mit zum Teil existenzbedrohenden Problemen konfrontiert.
Und dennoch: Viele Unternehmen scheuen sich beharrlich, das Thema anzugehen, und das mitunter aus nachvollziehbaren Gründen. Es ist vielschichtiger als es zunächst den Anschein hat und bedarf einer umsichtigen Vorbereitung. Dies gilt umso mehr in einer regulierten Industrie wie der Finanzdienstleistung. „Mach es einfach“, der bekannte Slogan einer Sportartikelmarke, ist hier nicht wirklich eine gute Idee.
Klare Regeln inklusive „Dos und Don’ts“ und die Einordnung eines solchen Programmes von Beginn an bilden die Basis, wobei sich diese Rahmenbedingungen auf Grundlage verschiedener Parameter dynamisch entwickeln. In diesem Zusammenhang ist ebenso wichtig, ab Tag eins die wichtigen Stakeholder zu involvieren, sei es zum Beispiel Compliance, die Datenschutzbeauftragten, IT Security oder auch – in Deutschland nicht ganz unwichtig – den Betriebsrat.
Denn nicht zuletzt durch den privaten Charakter der Mitarbeiterprofile kann die Teilnahme an einem Social-Selling Programm stets nur freiwillig und intrinsisch motiviert sein. Und eine Erfolgsmessung und Überwachung erfordert ebenso zwingend einen transparenten Ordnungsrahmen.
Die Sales und Marketing-Beziehung: Liebesheirat oder Vernunftsehe?
Es ist keine neue Erkenntnis, dass – obwohl man im Deutschen beides unter dem Begriff Absatzwirtschaft subsummieren kann – Marketing und Vertrieb oft im Silo arbeiten, häufig sogar aneinander vorbei operieren. Bei Social Selling agiert man indes interdisziplinär „Hand-in-Hand“, das Verständnis füreinander kann steigen, Ziele werden fast zwangsläufig harmonisiert. So gesehen kann Social Selling ein „Liebesbote“ sein.
Am Ende sollten die absatzwirtschaftlichen Ergebnisse und/oder die Effizienz profitieren können. Aus Vorgesagtem ergibt sich auch, dass ein Social Selling Programm Manager signifikant andere Aufgaben und Schwerpunkte hat als etwa ein Social Media Manager. Der Social Selling Programm Manager ist Coach und Consultant, Sparringspartner und Enabler, Motivator und Controller, Trend-Scout und Social Police. Und zwar idealerweise für Vertrieb und Marketing.
Die weit verbreitete Fehlannahme, dass Social Selling und Social Media Marketing „etwas Ähnliches ist“, führt zudem dazu, dass Unternehmen oft dazu tendieren, den Erfolg von Social Selling mit inadäquaten Messgrößen abbilden zu wollen. So führt zum Beispiel ein Zählen von Impressions hier am Ende meist zu Enttäuschungen und zum vorschnellen Abbruch solcher Initiativen. Jeder Social Seller fokussiert sich auf andere Elemente und nutzt individuelle Techniken, die an die jeweiligen Gesamtziele anknüpfen.
Somit muss man auch konstatieren, dass eine isolierte Messung auf Unternehmensebene wenig sinnvoll ist – das Risiko von Missinterpretation und darauf basierenden Fehlentscheidungen ist immens. Will man ergebnisrelevanten Erfolg mit Social Selling haben, muss man aktiv eine entsprechende Vertriebskultur entstehen lassen. Diese ist dynamisch zu gestalten, sodass sie einen holistischen Zugang zum Thema Kommunikation und auch datengestützten Vertrieb ebnet. Mit welcher sich die Denkweise ändert und die Sinne für das Kommunizieren und Diskutieren sowie das Netzwerken insgesamt neu geschärft werden.
Wie sieht die Zukunft im Vertrieb aus?
Möglicherweise wird sich die Anzahl der Vertriebsmitarbeiter über die kommenden Jahre reduzieren. Ziemlich sicher wird sich die Arbeitsmethodik verändern. Die Digitalisierung wird sich weiter fortsetzen und vor dem Hintergrund der Diskussionen um ChatGPT und Co.: Warum sollten im B2BBereich nicht KI-basierte Systeme die Geschäfte zwischen Einkäufer und Verkäufer abschließen? Doch noch wird es eine ganze Weile ein „people‘s business“ bleiben – und damit werden auch Grundregeln für nachhaltigen und menschbasiertem Vertrieb nach wie vor gelten. „Der Vertrieb gehört auf die Straße!“, so hieß es früher. Und der Grundsatz ist auch nicht falsch. Im Jahr 2023 gehören Vertriebler aber eben auch auf Social-Media-Plattformen.
Oliver S. Bauer
Allianz Global Investors
Oliver S. Bauer ist Social Selling Program Manager für die EMEA Region bei Allianz Global Investors in Frankfurt am Main.