BANKINGNEWS: Die Geschäftsmodelle in Industrie und Handel werden zunehmend digitaler. Welche Auswirkungen hat dies auf die Zahlungsabwicklung?
Eike Maybaum: Die Digitalisierung transformiert auch die Kauf- und Zahlungsprozesse und erfordert neue Payment- und Finanzierungslösungen. Wesentliche Treiber sind hierfür die weiterhin wachsende Bedeutung digitaler Vertriebskanäle sowohl im B2B als auch B2C sowie ein stärkerer Fokus der Unternehmen auf eigene Marktplatz-, Plattform- und Direct-to-Consumer-Strategien — und das auf globalem Level. Nutzungsbezogene Angebote wie Pay-per-Use- und Abo-Modelle sowie autonome Transaktionen in IoT-Umfeldern werden darüber hinaus durch die Digitalisierung der Geschäftsmodelle und die zunehmende Vernetzung überhaupt erst möglich.
Was bedeutet das für Unternehmen konkret?
Diese Veränderungen bewirken aus Payment-Sicht vor allem die Notwendigkeit für Unternehmen, komplexere Prozesse sowohl in Hinblick auf eine internationale Skalierung der Geschäftsmodelle als auch vor dem Hintergrund der Einbeziehung von Drittparteien in den Zahlungsfluss bei Plattformmodellen zu beherrschen. Eine steigende Transaktionsanzahl bei gleichzeitig sinkendem Volumen je Transaktion bei nutzungsbezogenen und stärker einzelabsatzorientierten Geschäftsmodellen rückt zudem die Kosten einzelner Zahlungstransaktionen stärker in den Fokus. Hier kommt es für den Erfolg zukünftig noch stärker auf hohe Effizienz, Automatisierung und Kostenmanagement gegenüber eingebundenen Zahlungsdienstleistern an. Für Unternehmen, die sich zunehmend intensiver mit digitalem Vertrieb und Payment auseinandersetzen, führt dies häufig auch zu umfassenden organisatorischen und prozessualen Anpassungen entlang der gesamten Order-to-Cash Kette. Sowohl die Zahlungsinitiierung, die im Vergleich zum Rechnungskauf an einer früheren Stelle im Prozess stattfindet, als auch die Verarbeitung von Zahlungseingängen intern oder für Drittanbieter auf den eigenen Plattformen erfordert neues Denken und moderne, automatisierte und damit effizientere Prozesse in der Abwicklung.
Und verändert sich hierdurch auch das Bezahlen selbst?
Unsere Art zu zahlen ist in einem fortwährenden Umbruch. B2C-originäre Zahlverfahren gewinnen im B2B-Umfeld, vor allem im digitalen Umfeld, immer mehr an Bedeutung und insgesamt treten neue Zahlmethoden verstärkt in Wettbewerb zu den etablierten. So wird einerseits im B2B-Bereich häufiger auf Kartenzahlungen und alternative Zahlmethoden wie PayPal und Klarna, anstelle von Rechnungskäufen und Lastschriften, zurückgegriffen. Andererseits besteht aber durch moderne Techniken und Abläufe wie beispielsweise Request-to-Pay und Sepa Instant Credit Transfers ebenfalls ein hohes Potenzial für eine steigende Relevanz von Account-to-Account-Zahlungen für digitale Geschäftsmodelle, also in der „klassischen“ Domäne der Banken. So setzt auch das neue EPI Scheme auf Echtzeitzahlungen zwischen Bankkonten. Mit dem digitalen Euro steht darüber hinaus erstmals eine zentralbankgestützte digitale Währung vor einem möglichen Start.
„Banken droht der Verlust wichtiger Grundlagen für eine Geschäftsbeziehung“
Welche Herausforderungen ergeben sich dadurch für Banken?
Durch die Digitalisierung der Geschäftsfelder und den damit einhergehenden geänderten Anforderungen an die Zahlungsabwicklung verändern sich die Bedürfnisse der Firmenkunden nachhaltig. Der klassische Zahlungsverkehr der Banken löst heute oft nur einen zunehmend kleineren Teil der Herausforderungen, mit denen sich die Kunden konfrontiert sehen. Für das ganzheitliche Transaktionsmanagement auf globaler Ebene mit Unterstützung unterschiedlichster Zahlarten sowie Plattform- und nutzungsbasierte Modellen gibt es heute bereits Angebote und Erfolge einer Vielzahl von Zahlungsdienstleistern und Fintechs, die den Unternehmen verschiedenste Dienstleistungen rund um die Zahlungsabwicklung bieten. Waren diese bisher noch auf das Bankkonto der Hausbanken von Unternehmen als zentralen Ankerpunkt des Geldflusses angewiesen, positionieren sie sich strategisch zunehmend als Wettbewerber klassischer Banken um die Kundenbeziehung im Cash Management. Hierfür werden unter Nutzung zunehmend internationaler Netzwerke und Lizenzen der Fintechs Produktpaletten sukzessive in Richtung von Kernleistungen des Transaction Bankings von Banken erweitert und den Unternehmenskunden eine „One-Stop-Shop“-Lösung für alle Zahlungsverkehrsthemen geboten, mit der die klassische Hausbankbeziehung weitgehend ersetzt werden soll. Banken droht also der Verlust wichtiger Grundlagen für eine Geschäftsbeziehung, wenn sie ihre Kunden zukünftig nicht auch ganzheitlicher bedienen können.
Wie sollten Banken auf diese Entwicklungen reagieren?
Banken können die Dynamik des Wandels nutzen und haben die Chance, die Lücke in der Wertschöpfungskette im Zahlungsverkehr zu schließen, indem sie sich selbst wieder als Full-Service-Provider im Bereich Zahlungsakzeptanz platzieren. Dabei ist es wichtig, das eigene Portfolio an Zahlverfahren aktuell und zielgruppenrelevant zu halten sowie Services an den Stellen zu erweitern, welche vom Kunden als wesentliche Unterstützung für digitale Geschäftsmodelle benötigt werden, wie etwa Gateways, Order-to-Cash Lösungen und spezielle Produkte für Plattformen und Marktplätze.
Wie können sich Banken hier von der Konkurrenz abheben?
Bei einem (Wieder-)Einstieg in das Acquiring-Geschäft können Banken vor allem von ihrer bereits bestehenden großen Kundenbasis und -beziehung profitieren und sich wettbewerbsdifferenzierend in der Gesamtbetrachtung der Wirtschaftlichkeit einer Kundenbeziehung möglicherweise flexibler in der Leistungserstellung für den Kunden zeigen als ein hochstandardisierter Zahlungsdienstleister. Banken können dabei auch ihre Marktreputation nutzen und besonders bankenzentrierte Merkmale wie Sicherheit und Vertrauen aktiv an die Händler kommunizieren. Entsprechende Tendenzen sind am Markt in den Angeboten einiger Geschäftsbanken bereits erkennbar. Kompetenzen können dabei selbst aufgebaut oder zum Beispiel durch Kooperationen oder Übernahmen erworben werden. Ob und in welcher konkreten Form das für einzelne Institute sinnvoll ist, sollte in einer entsprechenden Strategie unter anderem unter Berücksichtigung der vorhanden Marktpotenziale und Capabilities, des Ambitionsniveaus sowie einer sorgfältigen Risikoanalyse untersucht werden.
Eike Maybaum
ist Managing Partner bei Thede Consulting. Vor seiner Tätigkeit als Berater bei TC blickt er auf 20 Jahre in Management- und Expertenrollen im Automobil- und Finanzdienstleistungssektor zurück. Mit umfassender Erfahrung zu Geschäftsmodellen, Produkten und Technik im Payment und Banking liefert sein rund 40-köpfiges Team aus Deutschland und der Schweiz innovative Ideen für Entscheider.