Wir stehen bei der Finanzbildung noch ganz am Anfang. Während in den meisten anderen OECD-Staaten bereits nationale Finanzbildungsstrategien implementiert wurden, hat Deutschland auf diesem Feld Nachholbedarf. Das gilt ebenso für den schulischen Bereich. Nur durch eine Verankerung in der Schule kann quantitativ – und durch eine systematische Lehrkräfteausbildung auch qualitativ – eine hinreichende Finanzbildung erreicht werden. Nun muss es allerdings zunächst darum gehen, die vielversprechenden Pläne einer nationalen Finanzbildungsstrategie solide umzusetzen und damit die Basis einer ebenso soliden Finanzbildung zu schaffen. 2024 kann und sollte zum Jahr der Finanzbildung in Deutschland werden.
Wer die Diskussion zur finanziellen Bildung in Deutschland in der Vergangenheit verfolgt hat, dürfte angesichts der Dynamik, die das Thema im Laufe des vergangenen Jahres gewonnen hat, mehr als überrascht gewesen sein. Über Jahrzehnte hinweg wurde Finanzbildung von der Politik ziemlich stiefmütterlich behandelt. Fortschritte bei der Vermittlung von Finanz- und Wirtschaftswissen in Schulen gab es in den meisten Bundesländern nur in Trippelschritten, und wer sich für eine grundlegende Finanz- und Wirtschaftsbildung stark machte, war oft gar dem Verdacht ausgesetzt, Schülerinnen und Schüler mit „neoliberalen“ Inhalten indoktrinieren zu wollen.
Doch die Beharrlichkeit, mit der sich viele gesellschaftliche Akteure, darunter seit mehr als drei Jahrzehnten auch der Bundesverband deutscher Banken (BdB), für mehr Finanz- und Wirtschaftsbildung engagieren, ist nicht vergebens. Schon in den letzten Jahren setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, wie wichtig Finanzbildung in der Breite der Bevölkerung ist: für das Individuum, um selbstbestimmt am Wirtschaftsleben teilnehmen zu können, und für die Chancengerechtigkeit in der Gesellschaft insgesamt.
Die Politik wird aktiv
Im Frühjahr 2023 kam dann auch auf der politischen Ebene die Wende. Obwohl der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung finanzielle Bildung nicht ausdrücklich erwähnt, wurden Finanzminister Christian Lindner und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger aktiv und starteten unter Federführung ihrer Ministerien die „Initiative Finanzielle Bildung“. Mit den drei Zielen vor Augen, eine nationale Finanzbildungsstrategie zu entwickeln, ein Finanzbildungsportal zu errichten und die Forschung im Bereich der Finanzbildung voranzutreiben, gab es seitdem eine Auftaktveranstaltung im März sowie eine Erhebung unter den Projektträgern und Anbietern von Lern- und Lehrmaterialien zur finanziellen Bildung.
Darüber hinaus wurde ein „Stakeholder“-Workshop in Zusammenarbeit mit der OECD im Oktober angesetzt und Anfang Dezember schließlich eine zweitägige Konferenz, die Impulse und Inhalte für die Finanzbildungsstrategie zusammenführte und Startpunkt einer Basisversion der geplanten Finanzbildungsplattform war. Diese Aktivitäten haben unter den einbezogenen Finanzbildungsakteuren bereits eine beachtliche Aufbruchstimmung erzeugt. Trotz dieser Entwicklungen bleibt die Etablierung einer nationalen Finanzbildungsstrategie bislang eher skizzenhaft.
Finanzbildung nur Randthema in Nebenfächern
Aus den regelmäßigen Jugendstudien des Bankenverbands wie auch aus zahlreichen Umfragen anderer Institute wissen wir, dass es um das Wissen zu Finanzthemen in Deutschland nicht gut bestellt ist. Das gilt besonders für junge Leute, aber auch für die Bevölkerung insgesamt. Lediglich vier von zehn Deutschen beschäftigen sich regelmäßig mit ihren Finanzen. Nur die Hälfte weiß, was nachhaltige Geldanlagen sind und neun von zehn der 14- bis 24-Jährigen kennen nicht einmal die ungefähre Höhe der zum Befragungszeitpunkt aktuellen Inflationsrate. Dabei ist völlig klar, dass Unkenntnis über Höhe und Wirkung der Geldentwertung fatale Auswirkungen auf fast alle Spar- und Anlageentscheidungen, einschließlich der Altersvorsorge, haben kann.
Ökonomische und finanzielle Bildung ist an deutschen Schulen seit Jahrzehnten zu wenig bis gar nicht präsent. Im Gros der Länder taucht ökonomische und finanzielle Bildung allenfalls als Minimalvariante in Form der Integration in anderen Nebenfächern auf. Da überrascht es wenig, dass in der Jugendstudie 2021 des Bankenverbands zwei Drittel der Jugendlichen und jungen Erwachsenen angeben, dass sie in der Schule „nicht so viel“ bis „so gut wie nichts“ über Wirtschaft und Finanzen lernen beziehungsweise gelernt haben. Gleichzeitig gibt es jedoch den Wunsch nach mehr Finanz- und Wirtschaftswissen unter Schülerinnen und Schülern. 72 Prozent wollen mehr Informationen über wirtschaftliche Zusammenhänge in der Schule.
Warum ist Finanzbildung so relevant?
Laut OECD-Definition ist unter Finanzbildung „eine Kombination aus Bewusstsein, Wissen, Fähigkeiten, Einstellungen und Verhaltensweisen“ zu verstehen, „die erforderlich ist, um solide finanzielle Entscheidungen zu treffen und letztlich individuelles finanzielles Wohlergehen zu erreichen“. Notwendiges Finanzwissen in diesem Sinne umfasst unter anderem die Fähigkeit zur Kontrolle der eigenen Einnahmen und Ausgaben, den Umgang mit Taschengeld und Fremdwährungen, Kenntnis der Möglichkeiten des Sparens, der Geldanlage und der (Alters-) Vorsorge sowie die Vermeidung von übermäßigem Risikoverhalten und Überschuldung.
Solche grundlegenden Kenntnisse befähigen zu eigenständigen, selbstbestimmten Finanzentscheidungen. Sie helfen dabei, Risiken richtig einzuschätzen und möglicherweise folgenschwere Fehlentscheidungen zu vermeiden. Sie gehören als Teil der Allgemeinbildung in die Breite der Bevölkerung, wozu die Grundlagen schon früh in der Schule gelegt werden sollten. So kann bei jungen Menschen Orientierungswissen entstehen, das es ihnen in späteren Lebenslagen ermöglicht, sich das dann notwendige Spezialwissen anzueignen, um für alle wichtigen Geldfragen gerüstet zu sein. Die Finanzbildungsangebote des Bankenverbands sind auf diese Bedürfnisse abgestimmt.
Mit analogen und digitalen Materialien werden beispielsweise Lehrkräfte unterstützt, finanzielle Themen sowie Wirtschaft einfach und sachgerecht im Unterricht zu behandeln. Entsprechende, fachdidaktisch geprüfte und mit pädagogischen Leitfäden unterlegte Angebote gibt es auch für Mitarbeiter unserer Mitgliedsbanken, die damit an Schulen konkretes und praktisches Finanzwissen vermitteln können. In Schülerwettbewerben wie dem Bankenplanspiel SCHULBANKER führen Jugendliche spielerisch eine Bank und lernen dabei die Hintergründe von unternehmerischen Finanzentscheidungen ebenso wie die grundlegenden Funktionen unserer Wirtschaft kennen.
Der Bankenverband erreicht damit jährlich rund 3.000 Schülerinnen und Schüler – seit Bestehen des Wettbewerbs über 95.000 junge Menschen aus Deutschland und deutschsprachigen Schulen in Europa. Der Bankenverband ist auch auf Social-Media-Kanälen vertreten. Neben einem SCHULBANKER-Account, der das Planspiel begleitet, werden auf Instagram auch mit den „Finanzfritzen“ alle Fragen rund um Grundlagenwissen, Geldanlage, Familie, Kredite und Sparen adressiert. Die Themen sind zielgruppengerecht, insbesondere für junge Erwachsene ab 25 Jahren aufbereitet, leicht verständlich und authentisch.
Mehr Finanzbildung – auch eine Chance für Banken
Ein möglichst hohes Niveau an Finanzbildung in der Bevölkerung liegt im Interesse der Banken. Nur wenn die Menschen die Vorteile und Risken von Geldgeschäften jeder Art kennen und in der Lage sind, die für sie interessanten Finanzprodukte sicher zu managen, kann das Grundvertrauen in unsere Finanz- und Wirtschaftsverfassung gestärkt werden. Davon profitieren alle Marktteilnehmer. Banken wünschen sich daher eine souveräne Kundschaft auf Augenhöhe. Kein Geldinstitut hat ein Interesse daran, dass sich ihre Kunden aufgrund fehlender Finanzkompetenz übervorteilt fühlen oder gar in finanzielle Schwierigkeiten bis hin zu einer Überschuldung geraten.
Banken, die langfristig erfolgreich sein wollen, erreichen dies nur auf der Grundlage einer partnerschaftlichen Kunde-Bank-Beziehung. Im Einsatz der Banken für mehr Finanzbildung liegt zudem die Chance, in der Rolle als „Unternehmensbürger“ Vertrauen und Sympathie für die Branche (wieder) aufzubauen. In der Praxis findet das bereits in beachtlichem Maße statt, indem beispielsweise Mitarbeiter von Banken an die Schulen gehen, um jungen Menschen grundlegendes Finanzwissen zu vermitteln, selbstverständlich neutral und ohne damit einen werblichen Zweck zu verfolgen. Denn das sollte klar sein: Dort, wo Finanzbildung vermittelt wird, hat Produktmarketing nichts verloren.
Andrea Grabner
ist Associate Director und Leiterin der Themengruppe Finanzbildung beim Bundesverband deutscher Banken.
Christian Jung
ist Director und Mitarbeiter der Themengruppe Finanzbildung, ebenfalls beim Bundesverband deutscher Banken tätig.
Tipp: Sie möchten gerne weitere Fachartikel aus der aktuellen BANKINGNEWS 297 lesen? Dann lesen Sie hier den aktuellen Leitartikel zum Thema DORA und warum sich die Banken mit den kommenden Regelungen zur Verbesserung der Informationssicherheit arrangiert haben.