Magnete für Ganoven: Geldautomaten in Deutschland

Die Zahl der Geldautomatensprengungen ist im vergangenen Jahr leicht gesunken. Grund zum Durchatmen? Nein. Es geht um mehr, als nur die Scheine zu wahren. Die Täter bedrohen mit ihrem Handeln skrupellos Menschenleben. Eine Betrachtung.


Zerstörte Geschäftsstelle nach einem Sprengstoffanschlag in Bundenthal, Rheinland-Pfalz (VR-Bank Südliche Weinstraße-Wasgau eG)

Verschmortes Plastik, ein Meer aus Glasscherben, verrußtes Gemäuer und dazu ein beißender Gestank: Als sich der Rauch an diesem Silvestermorgen gelegt hatte und der Brand gelöscht war, wurde das Ausmaß der Zerstörung deutlich. Feuerwehrleute in voller Montur schritten vorsichtig durch die Überreste der Geschäftsstelle der VR Bank Südliche Weinstraße im pfälzischen Bundenthal. Sie suchten nach letzten Feuernestern. Zuvor mussten sie brachial das Dach und die PV-Anlage zertrümmern, um zum Brandherd zu gelangen. Schnell wurde klar, zu retten ist hier nichts mehr. Neben einem Millionenschaden bleiben nur der Totalabriss und ein zutiefst beunruhigter Vorstand zurück, für den das nicht die erste Attacke war.

„Drei Geldautomatensprengungen (GS) in unseren Filialen in den letzten zehn Monaten und zahlreiche weitere bei benachbarten Banken – in meinen 40 Jahren Zugehörigkeit zur VR Bank habe ich ein solches Ausmaß an kriminellen Angriffen auf unsere Filialen noch nicht erlebt“, klagte Bernd Lehmann zu Jahresbeginn. Gleichzeitig kündigte er an, die technischen Sicherheitsvorkehrungen weiter verschärfen zu wollen, die nach eigenen Angaben ohnehin schon weit über dem üblichen Maß liegen. Um die Bargeldversorgung lokal aufrechtzuerhalten, fährt nun seit Januar einmal wöchentlich ein „Bargeldbus“ eines kooperierenden Geldinstituts durch von Sprengungen betroffene Orte wie Bundenthal.

Der maximale Auszahlungsbetrag pro Kunde beträgt 500 Euro. Wie knapp wird Bargeld durch die die Häufung von Taten wie diese? Eine grundsätzliche Bedrohung für die Bargeldversorgung durch die zunehmenden Sprengattacken im ländlichen Raum bestehe laut Bundesbank derzeit nicht, wie Vorstandsmitglied Burkhard Balz auf Anfrage mitteilt: „Sofern Geldautomaten im ländlichen Raum gesprengt werden, entsteht dadurch erstmal nur eine temporäre und lokal begrenzte Störung der Bargeldversorgung.

Zahl der Geldautomaten sinkt

Richtet der Betreiber den gesprengten Geldautomaten an gleicher Stelle wieder ein, im Idealfall besser gesichert, dann ist die Störung damit behoben.“ Geschehe dies nicht, hänge es von verschiedenen Faktoren ab, ob die Bargeldversorgung gefährdet sei, etwa von der Anzahl weiterer Geldautomaten in leicht erreichbarer Entfernung oder von der Möglichkeit von Cashback-Abhebungen, so Balz. Insgesamt gab es laut Europäischer Zentralbank in Deutschland Ende 2022 offiziell 52.600 Geldautomaten. Andere Experten schätzen ihre Zahl inzwischen auf weniger als 50.000 Geräte, Tendenz weiter abnehmend. Leicht gesunken ist auch die Zahl der GS selbst. Sie liegt mit 462 Taten im Vergleich zum Rekordjahr 2022 mit 496 etwas geringer, aber immer noch auf einem bedenklichen Niveau. Wie die Täter dabei vorgehen?

Das „Bundeslagebild Angriffe auf Geldautomaten 2022“ des Bundeskriminalamts dazu: „In den vergangenen Jahren hat sich der Trend zur Sprengung von Geldautomaten mithilfe fester Explosivstoffe verfestigt. Dabei kommen insbesondere pyrotechnische Sätze und Selbstlaborate zum Einsatz. Daneben ist weiterhin die Sprengung durch Einleitung eines Gases bzw. Gasgemischs und dessen anschließender Zündung gängiger Modus Operandi.” Schwacher Trost: Dafür stirbt der klassische Banküberfall am Schalter mit Sturmhaube und Pistole aus. Die Zahl der polizeilich erfassten Banküberfälle, wie sie die Älteren noch aus „XY ungelöst“ oder „Tatort“ kennen, lag im Jahr 2022 bei 42. Zwei Jahrzehnte zuvor registrierte man noch 718 Fälle. Das könnte am Trend zur Auslagerung der Bargeldausgabe weg von den Geschäftsstellen, hin zu externen Automatenstandorten sowie an der generell weiter sinkenden Zahl der stationären Bankfilialen liegen. Letzten Sommer gab die Bundesbank bekannt, dass deren Zahl nur noch bei etwas über 20.000 lag (2018: 27.887).

Kollateralschäden übertreffen Bargeldverlust bei Weitem

Die Schäden durch GS beziffert der Gesamtverband der Versicherer (GDV) auf circa 110 Millionen Euro. Das gestohlene Bargeld ist dabei nur ein kleinerer Posten. Zwischen 50.000 und 100.000 Euro liegen durchschnittlich in einem Geldautomaten. „Jedem gestohlenen Euro Bargeld stehen zwei bis drei Euro für Kollateralschäden an Gebäude und sonstiger Infrastruktur gegenüber“, sagt die stellvertretende GDV-Hauptgeschäftsführerin Anja Käfer-Rohrbach. Dafür sorgen die immer häufiger eingesetzten Festsprengstoffe. Selbst schwere Tresortüren sind durch diese Sprengkraft bereits über 30 Meter bei Explosionen durch die Gegend geschleudert worden. Damit verwüsten sie ganze Häuser und Straßen.

Viele Bankfilialen liegen im Erdgeschoss von Wohnhäusern, in denen zur Tatzeit – meist nachts – Menschen schlafen. Zu einem Todesfall kam es bisher nicht. Das sei aber nur eine Frage der Zeit, sagen Experten. 128 Tatverdächtige konnte die Polizei deutschlandweit 2022 festnehmen. 87 davon reisten eigens aus dem Ausland ein, davon hatten 75 Personen ihren Lebensmittelpunkt in den Niederlanden. Viele davon werden nach ihrer Verhaftung zum Fall für Christoph Pawlowski. Die Arbeit des Rechtsanwaltes dreht sich seit Jahren nur noch um das eine Thema. Der Aachener verteidigt Geldautomatensprenger.

Und das bereits in über 120 Fällen. Das Alleinstellungsmerkmal des Strafrechtlers: Er spricht fließend niederländisch. Das ist die Sprache, die seine Mandanten verstehen. Bei den meisten Tätern handelt es um Niederländer mit marokkanischen Wurzeln. Sie kommen überwiegend aus der Stadt Utrecht. Laut Pawlowski existierten keine organisierten Strukturen oder eine große Organisation, die das Geschehen kontrolliert. „Es handelt sich um eine große Gruppe von Menschen, innerhalb derer das Knowhow verfügbar ist und in der man alles Erforderliche irgendwoher bekommen kann.

Christoph Pawlowski, Rechtsanwalt aus Aachen

Alles fluktuiert sehr stark“, beschreibt der Insider die Szene. Es gebe einen losen Pool von Leuten, die bestimmte Kenntnisse besitzen, und die sich von Fall zu Fall zusammentäten. Der Preis kann hoch sein, trotzdem scheuen nur wenige das Risiko. „Wenn wir es mit Leuten zu tun haben, die relativ jung und nicht vorbestraft sind, dann liegen wir normalerweise mit Geständnis meistens zwischen vier bis fünf Jahren Gefängnis“, erläutert der Anwalt das übliche Strafmaß. Zugleich kritisiert er die Banken in Deutschland und ihre Sicherheitsvorkehrungen für die Geldautomaten. Da gebe es nämlich erhebliche Defizite, wie er bei Zeugenbefragungen herausbekommen haben will.

Unmut in der Politik

„Ich bekomme bei den Verhandlungen von den Bankverantwortlichen oft zu hören, dass das Gerät standardmäßig nach Norm soundso gesichert sei. Wenn ich dann gezielter nachfrage, welche Mittel darüber hinaus noch zusätzlich eingesetzt worden sind, sehe ich meistens nur Fragezeichen in den Gesichtern. Gesagt kriege ich dann, dass der Automat in dem Zustand gewesen wäre, in dem er mal irgendwann ausgeliefert wurde“, so Pawlowski. Manches Mal bekomme er auch zu hören, dass die Schutzmöglichkeiten bekannt seien, aber man aus Kostengründen sich gegen sie entschieden habe, zumal die Versicherungen die entstandenen Schäden am Ende tragen und die alten Geräte gegen neue ausgetauscht würden.

Der Unmut über mutmaßlich fehlendes Engagement der Banken kommt allmählich auch in der deutschen Politik an. So forderte im vergangenen Jahr beispielsweise Baden-Württembergs Innenminister Strobl eine gesetzliche Pflicht für Hersteller und Betreiber von Geldautomaten, geeignete Schutzmaßnahmen einzuführen, was Bundesinnenministerin Faeser bislang noch ebenso ablehnt wie die Geldinstitute. Sie rief Ende 2022 gemeinsam mit der Deutschen Kreditwirtschaft (DK) einen Runden Tisch ins Leben, um Maßnahmen gegen diese Form der Kriminalität zu koordinieren – bisher auf freiwilliger Basis.

Diese Initiative des Bundes genügt einigen Landesinnenministerien jedoch nicht mehr, da ihrer Ansicht nach noch immer noch zu wenig seitens der Banken unternommen werde. Sie fordern unter anderem verpflichtende Maßnahmen wie Nachtschließungen, Einbruchmeldetechnik und Videoüberwachung sowie im Automaten selbst eingebaute Schutzmaßnahmen wie Farb-Kleb-Patronen. So eine gesetzliche Verpflichtung gibt es im Nachbarland seit 2019. Zwischen Maas und IJssel arbeiten Banken und Behörden dadurch eng bei der Prävention zusammen. Fanden in den Niederlanden 2013 noch 129 Sprengungen statt, ging die Zahl 2022 auf 15 zurück.

Müssen neue Gesetze her?

Aber auch Faeser mahnt inzwischen an, dass die Banken in der Verantwortung stünden, die besprochenen Maßnahmen schnell und konsequent umzusetzen, damit eine gesetzliche Regelung noch abgewendet werden kann. Sie strebt zudem höhere Strafen für die Täter an. Die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) weist diese Mahnung von sich. „Eine gesetzliche Regelung ist aus unserer Sicht der falsche Ansatz und wird der grundsätzlichen Aufgabenverteilung in unserem staatlichen Gemeinwesen nicht gerecht“, ließ der Interessenverband durch das Handelsblatt verlautbaren. Der DK wünscht sich kurzfristig eine verstärkte Polizeipräsenz an Risikostandorten sowie langfristig einen verbesserten Informationsaustausch zwischen Instituten, Polizeibehörden und internationalen Behörden, da viele Täter grenzüberschreitend aktiv sind.

An die Politik adressiert, befürwortet der DK zudem härtere Strafen für Täter und fordert, die Strafverfolgung zu erleichtern. Hierbei könnten neue, speziell auf Geldautomatensprengungen zugeschnittene Gesetze helfen, so der DK in einer Stellungnahme. Der Schutz der Bargeldversorgungsinfrastruktur könne laut des Interessenverbandes nur gemeinsam mit Politik und Strafverfolgungsbehörden gelingen, und es sei schwer nachzuvollziehen, dass die alleinige Verantwortung für die Verhinderung von Sprengungen bei Banken und Sparkassen liegen solle.

Neue Wege in NRW

Ähnlich sieht das auch Christa Lübbers. Die Kriminalbeamtin leitet seit Mai 2022 die „SoKo BEGAS” (Bekämpfung und Ermittlung von Geldautomaten-Sprengungen) in NRW. In Düsseldorf ist das Thema Chefsache, die Sonderkommission direkt Innenminister Herbert Reul unterstellt. Ihre Vorgabe: landesweit eine einheitliche Strategie in die Polizeistrukturen bei der Prävention und Verfolgung von GS zu implementieren. Von einer gesetzlichen Verpflichtung der Geldinstitute hält die frühere Leiterin des Düsseldorfer Staatsschutzes ebenso wenig, wie den Banken den Schwarzen Peter für das Phänomen zuzuschieben. In NRW suche die Polizei aktiv den Schulterschluss mit ihnen und setze auf Kooperation, so Lübbers.

„Jede Filiale weist so individuelle Rahmenbedingungen auf, dass wir mit einer gesetzlichen Regelung jeden innovativen Lösungsansatz kaputtmachen. Viele Banken erstellen schon individuelle Konzepte für ihre Standorte. Das kriegen wir mit keinem Gesetz hin.” Auch die These, die Geldinstitute seien nicht am Schutz ihrer Geldautomaten interessiert, hält die erfahrene Polizistin für zynisch und weist das zumindest für ihren Zuständigkeitsbereich NRW zurück. Dabei handele es sich um ein veraltetes Vorurteil, das sich auch innerhalb der Polizei teilweise noch hartnäckig halte. „Aus meinen vielen Gesprächen mit Banken vor Ort weiß ich: Keine will aus Kalkül Ziel einer Straftat werden und dass Menschenleben bei Sprengungen riskiert werden.”

Christa Lübbers, Leiterin der SoKo BEGAS. Foto: IM NRW/Bernd Thissen

Der falsche Ansatz sei es, wenn Sicherheitsbehörde sich zurücklehnen und die Schuld dem Verbrechensopfer zuschieben, anstatt sich innovative Strategien zu überlegen, das Phänomen in den Griff zu bekommen. NRW legt dabei eine erstaunliche Kreativität an den Tag. So wertet man dort seismografische Daten aus. Dafür schaffte das Innenministerium sogenannte „Raspberry-Shakes” an, mit denen es die von Sprengungen ausgehenden Erschütterungen innerhalb kürzester Zeit erfasst und auswertet. Der NRW-Weg zeitigt offenbar erste Erfolge. Die Zahl der Taten ist im vergangenen Jahr zurückgegangen. Durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit den niederländischen Behörden steigt die Aufklärungsrate auch länger zurückliegender Taten. Und im Nachbarland selbst konnte – auch dank Ermittlungsergebnisse aus Deutschland – ein großes Netzwerk mitsamt Hintermännern ausgehoben werden.

Eine Form der organisierten Kriminalität

Das gängige Narrativ, dass es sich bei den Sprengern nicht um eine Form der organisierten Kriminalität handelt, sieht Lübbers längst widerlegt. „Es gibt eine dahinterliegende Organisation, die Sprengstoffe testet und einkauft, Fluchtfahrzeuge besorgt, Tatorte auskundschaftet, die Teams zusammenstellt und vieles mehr unternimmt, um zum Erfolg zu kommen”, so Lübbers. Die Logistik hinter den Taten sei viel zu aufwendig, als dass man von einem „fluiden Netzwerk” zufällig zusammenkommender Leute sprechen könne. Fazit: Geldautomaten bieten aufgrund des eingelagerten Bargelds für Täter einen erheblichen Anreiz, dieses zu entwenden. Angriffe auf Geldautomaten bedeuten für Banken nicht nur eine vorübergehende Unterbrechung des Betriebs: Sie können auch drastische Imageschäden verursachen.

Direkt gefährdet sind bei Sprengungen nicht nur angrenzende Räume und die Menschen, die sich darin aufhalten, sondern auch Feuerwehrleute durch Sprengstoffe, die verspätet detonieren. Gewiss bleibt: Trotz präventiver Maßnahmen ist es Betreibern nicht möglich, alle Risiken auszuschließen. Um höchstmögliche Sicherheit und ein vertretbares Restrisiko zu gewährleisten, müssen individuelle Sicherungskonzepte entwickelt und regelmäßig an die aktuellen Gegebenheiten angepasst werden. Aber nicht nur Banken sind in der Bringschuld. Auch die Politik ist gefragt, Verfolgung und Sanktionierung von Taten wie Tätern zu intensivieren und dabei neue Wege gehen. Das kann nur effektiv funktionieren, wenn Geldinstitute, Strafverfolgungsbehörden, Justiz und Politik ihre Zusammenarbeit konstruktiv aufeinander abstimmen.

Tipp: Sie möchten weitere interessante BANKINGNEWS-Artikel lesen? Hier beschreibt Dr. Florian Toncar, parlamentarischer Staatsekretär beim Bundesminister der Finanzen, wie die Bundesregierung den Finanzstandort Deutschland stärken will.

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