Benötigen wir im digitalen Zeitalter noch Filialen? „Ja, auf jeden Fall. Wenn es eine Sache gibt, die sich nicht eins zu eins digitalisieren lässt, dann ist es eine menschliche Beziehung.“ Dieser Meinung ist Sérgio Magalhães von Millennium bcp, der größten Privatbank Portugals. Und seine Aussage fasst sehr gut zusammen, welche Stoßrichtung die Vorträge und Gespräche auf der Branch Transformation 2017 hatten. Die Fachmesse und -konferenz wurde am 28. und 29. November in London vom Research- und Consulting-Unternehmen RBR ausgerichtet und beschäftigte sich mit den aktuellen Entwicklungen, die zu einer besseren Customer Experience in Bankfilialen führen können. Nicht nur die Banken, sondern auch deren Zulieferer sind vom enormen Potenzial und Wert der Filialen überzeugt: „Das größte Asset einer Bank sind ihre Kunden. Und der beste Kontaktpunkt zu diesen Kunden ist die Filiale“, konstatierte Vincenzo Fiore, CEO des Software-Herstellers Auriga.
„Niemand wird eine Filiale betreten, wenn sie schick aussieht, aber im Innern alles beim Alten geblieben ist“
Den Aspekt der Kundenzentrierung stellten Ivan Dubovsky, Managing Director und Head of Business Transformation bei Barclays, und Steve Lidbury von Eight Inc. in den Vordergrund ihres gemeinsamen Vortrags. Lidbury betonte, dass Kunden – anders als Vertriebs- und Marketingabteilungen – nicht in Kategorien wie Touchpoints, Sales Funnel oder Kanälen denken. Daher sei es für eine Bank notwendig, einen „radikal kundenzentrierten Blick“ einzunehmen. Die Adaptierung digitaler Strategien bzw. einzelner Maßnahmen von erfolgreichen Unternehmen aus anderen Branchen sei zwar in bestimmten Fällen sinnvoll. Darüber dürfe jedoch nicht vergessen werden, dass Banken ein Differenzierungsmerkmal aufweisen, dass globale Player wie booking.com oder Facebook nicht besitzen: eine enge, persönliche und zuweilen emotionale Verbindung zwischen Kunde und Mitarbeiter. Während bei rein digitalen Plattformen lediglich anonyme Ansprechpartner zur Verfügung stehen, sollten Banken die Face-to-face-Kommunikation in der Filiale auch künftig als USP ansehen und ihr einen besonderen Stellenwert beimessen. Dubovsky zitierte in diesem Zusammenhang eine Umfrage unter den Generationen Y und Z – also derjenigen Kundengruppe, die ca. zwischen 1980 und 2010 geboren wurde und eine enorm hohe Affinität zu digitalen Medien besitzt. Das Ergebnis: Auch diese Personen möchten, vor allem bei wichtigen finanziellen Entscheidungen, am liebsten persönlich mit einem Menschen sprechen. Dies liege nicht zuletzt daran, dass auch in einer Zeit omnipräsenter Vergleichsportale und einer scheinbar vollumfänglichen Informationslage im Internet bei vielen Menschen eine große Unsicherheit im Umgang mit Finanzprodukten bestehe. Nichtsdestotrotz sei es laut Dubovsky nötig, die Filialkonzepte an den Bedürfnissen der heutigen Kunden sowie den gewohnten Standards anderer Einzelhandelsfilialen auszurichten, um als moderner und kompetenter Dienstleister wahrgenommen zu werden. Aber: „It’s not about fancy buildings“, ergänzte der Barclays-Manager. Niemand wird seiner Meinung nach eine Filiale betreten, wenn sie schick aussieht, aber im Innern alles beim Alten geblieben ist.
Ähnlicher Meinung ist Joe Gallagher von NCR: Eine Bankfiliale müsse zwar nicht zwangsläufig wie ein Apple Store aussehen, aber es sei wichtig, dass die persönliche Beziehung zum Kunden als Basis dafür diene, den Anstieg an Technologie vor Ort in positive Kundenerlebnisse zu verwandeln. Als Beispiel brachte er das Beispiel von Capital One an, welches in den USA mit der Kombination von Café und Bankfiliale gezeigt habe, wie ein Relationship-basierter Ansatz aussehen kann. „Die Mitarbeiter dort lassen die Kunden mit der Technik nicht alleine, sondern zeigen ihnen, wie sie die Services mit ihrem eigenen Endgerät am besten nutzen können. Wenn eine Bank den Vertrieb teilweise auf kosteneffizientere digitale Kanäle verlagern will, muss das Beziehungsmanagement aus den Filialen dabei ebenfalls übertragen werden. Denjenigen Kunden, die persönlich mit einem Berater sprechen möchten, aber nicht in die Filiale kommen können, kann dies etwa über Video-Call-Center ermöglicht werden“, so Gallagher.
Vincenzo Fiore griff diesen Aspekt auf und teilte in einem Gespräch im Rahmen der Veranstaltung seine Vision von der Filiale der Zukunft mit uns: „In meiner Vorstellung ist die Filiale eine Komfortzone für den Kunden, in der er sich willkommen fühlt und alle seine Anliegen bearbeitet werden. In der Vergangenheit haben wir vielleicht etwas zu sehr über Self-Service gesprochen. Dies hat eine Barriere zwischen die Bank und den Kunden gezogen. In unseren Projekten folgen wir daher dem Konzept des „Assisted Self-Service“. Alle SB-Prozesse sind mit dem Filialleiter und seinen Mitarbeitern verknüpft. Wir verstehen die Filiale als eine Art „Agora“ [zentraler Versammlungsort der griechischen Polis; Anm. d. Red.].“ Sein Unternehmen Auriga habe daher individuell auf die Bedürfnisse der jeweiligen Bank, der einzelnen Filiale sowie des speziellen Automaten ausgerichtete Tools entwickelt. Mit diesen sei der Bankmitarbeiter beispielsweise in der Lage, über ein Tablet den Kunden, der gerade einen SB-Automaten bedient, zu identifizieren, seine Historie und Kundendaten einzusehen, und live zu verfolgen, ob er unter Umständen eine Hilfestellung oder eine Legitimation durch einen Mitarbeiter benötigt. Theoretisch funktioniert dies nicht nur während der Öffnungszeiten der Filiale, sondern auch über einen 24/7-Video-Chat, insofern die Bank einen solchen Service anbietet.
„Ein Filialleiter ist sowohl Trainer als auch Spieler“
Scott McLennan ist bei der der Santander UK verantwortlich für 17 Filialen in Schottland, die sich über ein Gebiet von der Größe Belgiens erstrecken und in der Mitarbeiterzahl zwischen vier bis 25 Personen variieren. Er stellte in seinem Vortrag fest, dass ein wertvolles Gut der Banken immer mehr verloren gehe: die Kenntnis und tiefe Verbundenheit des Filialleiters zur örtlichen Gemeinschaft. Daher habe er vor einiger Zeit Maßnahmen eingeleitet, um die Bank und deren Mitarbeiter wieder stärker im lokalen Netzwerk zu verankern. Mit Workshops für Firmenkunden und Selbstständige, die Nutzung der Filiale für Marketingaktionen der ortsansässigen Betriebe, Networking-Events oder die Vermittlung von Business-Coaches biete das Institut Mehrwerte, die über reine Bankdienstleistungen hinausgingen. Das Wichtigste sei dabei die Identifikation und das Engagement des jeweiligen Filialleiters, der sich entwickeln müsse „from a branch manager to someone who cares.“
Die Bedeutung der Mitarbeiter und vor allem jene des Filialleiters stellte auch Sérgio Magalhães, Head of the Branch of the Future Departement bei der portugiesischen Millennium bcp, besonders heraus. In einem kurzen Interview erläuterte er uns, dass im Rahmen eines einheitlichen Gesamtkonzeptes jede Filiale dennoch ein individueller Fall sei, der etwa in Bezug auf die vorhandene Hardware auf die Bedürfnisse der Kunden vor Ort ausgerichtet werde. Um möglichst die Präferenzen aller Kunden abbilden zu können, setzt die Millennium bcp Automaten mehrerer Hersteller mit unterschiedlichen Funktionen ein. Auf all diesen Geräten ist jedoch das Tool eines einzelnen Software-Herstellers installiert, um die Bearbeitung und Auswertung voll integrierbar und konsistent über alle Filialen der Bank hinweg steuern zu können. Die Relevanz der Filiale für den Vertrieb bleibe derweil ungebrochen: „Die Filiale ist heute mit ca. 75 Prozent immer noch der wichtigste Vertriebskanal. Bei unserer Bank können die Kunden mittlerweile einen Kredit vollständig online abschließen. Weiterhin kommen die meisten Kreditverträge aber in der Filiale zustande.“ Und für diesen Kontaktpunkt setzte die Bank ein neues Konzept auf, welches nun sukzessive über die Filialen ausgerollt wird: „Beim Umbau unseres Filialmodells war die Customer Journey ein entscheidender Kernaspekt. Dies fängt damit an, dass wir eine Umgebung geschaffen haben, in der die Kunden während Wartezeit und Beratung bequeme Sitzgelegenheiten vorfinden. Die Konzepte orientieren sich an erfolgreich praktizierten Elementen des Einzelhandels: z.B. Hintergrundmusik, ein charakteristischer, eigens für unsere Bank kreierter Duft oder die persönliche Begrüßung jedes Kunden an einem beleuchteten Empfangspunkt. Die Kunden empfinden dies als gesteigerte Wertschätzung ihnen gegenüber.“ An diesem Punkt sei es besonders wichtig gewesen, die Mitarbeiter mit den neuen Konzepten vertraut zu machen und sie entsprechend zu trainieren, was von nahezu allen Mitarbeitern sehr positiv angenommen worden sei: „Wir werten auf diese Weise die Position eines jeden Mitarbeiters im Unternehmen auf. Dies ist eine logische Fortsetzung eines Wandels, den wir im Jahr 2012 begonnen haben und als „from service to sales“ bezeichnen. Alle Mitarbeiter sind universell ausgebildet und nehmen Vertriebsaufgaben wahr. Dies beginnt beim Filialleiter, der sowohl Trainer als auch Spieler sein muss, und endet beim ehemaligen Schaltermitarbeiter, der zuvor nur standardisierten Service leisten konnte.“
Customer Experience ist Pflichtaufgabe
So unterschiedlich die anwesenden Banken strukturell aufgestellt und so verschieden die Präferenzen der Kunden in den jeweiligen Ländern und Regionen auch sein mögen, der Grundtenor auf der Branch Transformation 2017 in London war eindeutig: Filialen werden auch im digitalen Zeitalter einen entscheidende Rolle spielen. Die Konzepte müssen dazu an die vorherrschenden Ansprüche angepasst werden, welche Kunden heute an Dienstleister aller Branchen und Industrien stellen. Gleichzeitig ist eine Integration der physischen und digitalen Kanäle eine Pflichtaufgabe für die Banken. Diese Kombination muss darauf abzielen, dass die Filiale ein Ort wird, der dem persönlichen Kontakt einen hohen Stellenwert beimisst sowie medienbruchfreie und nutzerfreundliche digitale Services bietet. Customer Experience ist kein Modewort, sondern Kernaspekt einer erfolgreichen Zukunft der Bankfiliale.