Die Kapitalmärkte haben sich nun endlich in Bewegung gesetzt. Nachdem es in den allerersten Wochen des Jahres noch so aussah, als würde die Geschichte des Börsenaufschwungs eine unendliche werden, haben jetzt die Aktienmärkte etwas empfindlicher korrigiert. Allerdings hat sich die Risk-off Bewegung zunächst wenig auf die Rentenmärkte übertragen. In Europa handelten die Spreads im Peripheriebereich nahezu unverändert und auch bei Unternehmensanleihen haben sich die Risikoaufschläge nur leicht ausgeweitet.
Das Goldilocks-Szenario bekommt erste Risse
So wie Anfang Februar die stärker angestiegenen durchschnittlichen Stundenlöhne als Grund für den Abverkauf herangezogen wurden, waren es in der zweiten Woche die von US-Präsident Trump angekündigten Zollmaßnahmen, begleitet von der aggressiven Handelskrieg-Rhetorik. Die Umsetzung dieser Maßnahmen hängt nur von den Ergebnissen der Grabenkriege innerhalb des Weißen Hauses ab; der Kongress ist bei Maßnahmen, die mit der nationalen Sicherheit begründet werden, gegenüber dem Präsidenten machtlos. Insgesamt sind dies jedoch nur Anzeichen dafür, dass das bisherige Goldilocks-Szenario, also eine Phase von gleichgewichtigem Wachstum bei niedriger Inflation, ohnehin erste Risse bekommen hat.
Wirtschaftliche Abläufe bestehen aus Ungleichgewichten
Die eigentlichen Ursachen liegen natürlich darin, dass die Marktteilnehmer wissen, wie sehr wirtschaftliche Abläufe aus Ungleichgewichten bestehen, und dass solche gleichgewichtigen Phasen endlich sind. Ob die gegenwärtige makroökonomische Sorglosigkeit tatsächlich ihrem Ende entgegengeht, ist damit nicht gesagt. Im Gegenteil: Die makroökonomischen Ampeln stehen immer noch auf grün. Es reicht allerdings schon, wenn das Vertrauen in die bisherigen Verhältnisse abnimmt.
Jahrelang hat die wirtschaftliche Auslastung in den USA und anderen Industrieländern zugenommen, ohne dass es zu einer nennenswerten Beschleunigung der Lohn- und Preisentwicklung gekommen wäre. Es mangelte währenddessen nicht an Erklärungen, die den schwachen Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation auf die Globalisierung, den technischen Fortschritt oder andere strukturelle Veränderungen zurückführten. Anleger gewöhnten sich nur zu gerne an dieses neue Paradigma. Denn wenn die Zentralbanken ihre Inflationsziele auch in Zukunft eher unter- als überschreiten, kann man an den Finanzmärkten das kräftige Wachstum feiern, ohne wegen einer strengeren Geldpolitik Kopfschmerzen befürchten zu müssen.
Angesichts dieser Sorglosigkeit lässt sich leicht nachvollziehen, dass Marktteilnehmer schlagartig nervös werden, wenn plötzlich doch gehäuft Anzeichen für eine nach oben gerichtete Inflation auftreten. In den USA hatte der etwas stärkere Anstieg sowohl der durchschnittlichen Stundenlöhne als auch der Kernrate der Verbraucherpreise zur Folge, dass am Geldmarkt auf einmal vier Zinsschritte der Fed als nicht mehr ausgeschlossen galten. Auch für die EZB und andere Zentralbanken wurden die Leitzinserwartungen tendenziell nach oben korrigiert.
Bis zu einem gewissen Grad ist diese Entwicklung gesund, da die Marktteilnehmer die Möglichkeit langfristig wieder höherer Inflationsraten zuvor systematisch unterschätzt hatten. Aus der makroökonomischen Analyse heraus sollte man auch nicht ins andere Extrem verfallen und aus den vorliegenden Daten bereits auf zu hohe Inflationsraten in kurzer Zeit schließen. Zwar sind die stärkeren Lohnanstiege ein Indiz dafür, dass niedrige Arbeitslosigkeit am Ende doch zu mehr Lohndruck führt. Ein solcher Prozess braucht aber einige Zeit, zumal diese Entwicklung gegenwärtig nur in den USA zu beobachten ist.
Aufschwünge sterben nicht an Altersschwäche
Die zweite Besorgnis der Finanzmarktteilnehmer bezieht sich auf das weltweite Konjunkturgeschehen. Noch ist das Niveau von Aktivität und Produktion hoch. Durch den Schwung aus dem vorangegangenen Jahr ist auch gewährleistet, dass das Gesamtjahr 2018 noch ein gutes Ergebnis hervorbringen wird. Auch hier ist es wie bei der Inflation: Aus makroökonomischer Sicht ist es nicht gesagt, dass der bisherige Trend, also der bereits lang anhaltende Aufschwung, im kommenden Jahr aufhört. Aufschwünge sterben nicht an Altersschwäche, sondern daran dass sie über ein Hindernis stolpern, das plötzlich auftaucht: ein Ölpreisschock, eine geopolitische Krise, ein Finanzmarktschock oder Ähnliches. Aber auch hier reicht es aus, wenn die Marktteilnehmer misstrauischer werden, um Marktreaktionen hervorzurufen.
Notenbanken ziehen sich zurück
Der wichtigste neue Einfluss an den Märkten besteht jedoch im Rückzug der Notenbanken. Die bemerkenswerte Unempfindlichkeit der Kapitalmärkte aus den letzten Jahren gegenüber politischen und wirtschaftlichen Ereignissen beruhte auch darauf, dass die Informationsfunktion von Marktpreisen durch den harten Griff der Notenbanken auf breite Marktsegmente stark eingeschränkt gewesen ist. In dem Ausmaß, in dem sich Fed, EZB & Co mit ihren Ankaufsprogrammen zurückziehen, wachen auch die Kapitalmarktnerven aus ihrer Betäubung auf und leiten wieder Signale weiter.
An den Aktienmärkten lassen sich diese Effekte nur indirekt beobachten, denn diese Märkte sind nicht im Mittelpunkt der Kaufprogramme von Fed und EZB gewesen. Viel mehr im Fokus stehen hier die Anleihemärkte, die in den ersten beiden Wellen von Volatilität noch wenig betroffen gewesen sind. Es ist wahrscheinlich, dass in dieser Korrekturphase auch die Kurse von Risikoanleihen noch einmal mit einbezogen werden, bevor dann wieder nachhaltige Gegenkräfte spürbar werden.
Aktuell wieder stärkerer Seegang an den Kapitalmärkten
In der mittleren Sicht wird das Börsengeschehen dadurch entschieden werden, ob das makroökonomische Bild von Konjunktur und Inflation korrigiert werden muss. Gegenwärtig sieht es nicht danach aus. Doch muss die Konjunktur zunächst zeigen, dass die Rückschläge an den Kapitalmärkten keinen entscheidenden Schock darstellen. Hierfür sind einige Monate an Beobachtungszeit einzuplanen. Dass in solchen Phasen das Geschehen besonders empfindlich gegen weitere unvorhergesehene Ereignisse wie politische Wirren oder große Branchenthemen ist, versteht sich von selbst. Nach einer Beruhigung des stärkeren Seegangs an den Kapitalmärkten sieht es daher erst in der zweiten Jahreshälfte aus.