„Das Damoklesschwert schwebt über den Banken“

Die Bundesbank warnt im Finanzstabilitätsbericht 2018 davor, dass die Marktteilnehmer nach einer Zeit des Wachstums Kreditrisiken unterschätzen könnten. Wir haben Sebastian Seibold von creditshelf nach seiner Einschätzung der Marktlage im Kreditgeschäft gefragt. Außerdem erläutert er, warum er eine automatisierte Kreditvergabe an Firmenkunden für nicht praktikabel hält, äußert sich zu Kooperationsmodellen mit Banken und blickt in…


BANKINGNEWS: Wie beurteilen Sie den Status quo des Kreditmarktes in Deutschland?

Sebastian Seibold: Für Firmenkunden herrschen aktuell goldene Zeiten. Die Fremdkapitalzinsen sind auf einem historisch niedrigen Niveau. Das merken wir im Kundenverhalten ganz deutlich: Trotz schlechter Bilanz oder schlechter Ratings kommen sie mit Vorstellungen durch die Tür, die absolut nicht marktgerecht sind.

„Zu viel Lending, zu wenig Ertrag “

Für die Finanzindustrie stellt sich die Situation gänzlich anders dar. Sie steht im Firmenkundengeschäft vor massiven Problemen, da sich die Institute hohe Risiken in die Bilanzen schreiben und vergleichsweise wenig daran verdienen. Diverse Studien kommen zu dem Ergebnis, dass kaum eine deutsche Bank im Firmenkundengeschäft ihre Kapitalkosten verdient.

Teilen Sie die Ansicht der Bundesbank, die im Finanzstabilitätsbericht auf die Gefahren der Marktsituation hingewiesen hat?

Absolut, ich sehe ebenfalls große Gefahren. Viele Experten sagen, dass die Zukunft nicht so schwarzgemalt werden sollte, weil die Banken nach dem großen Crash massiv Eigenkapital aufbauen mussten und die Stabilität der Bilanzen gewährleistet sein sollte. Aber marktseitig haben wir das Problem „zu viel Lending, zu wenig Ertrag“. Dieses Damoklesschwert schwebt über den Banken. Für sie gibt es nur eine Möglichkeit, sich aus der Ertragsfalle zu retten und wieder wettbewerbsfähig zu werden: indem sie konsequent Prozesse vereinfachen – sowohl im Frontend für den Kunden als auch im Backend.

„In diesem Segment ist eine vollautomatisierte Kreditvergabe nicht möglich“

Automatisierte Kreditvergabe wird in diesem Zusammenhang oft als mögliche Lösung angesehen. Wer entscheidet bei Ihnen über die Kreditanträge – ein Algorithmus oder ein Analyst?

Wir haben einen sogenannten Second-step-review-Prozess. Am Anfang steht die Maschine, eine von uns entwickelte technologiebasierte, datengetriebene Kredit-Scoring-Maschine. Sie ersetzt den Menschen, indem sie Unterlagen analysiert und auswertet und die enthaltenen Informationen mit Intelligenz versieht. Der „human touch“ kommt im zweiten Schritt. Dann unterziehen Firmenkundenbetreuer und Risikomanager die Unterlagen einer qualitativen Analyse. Die Summe dieser Informationen bedingt die Entscheidung. Wir vergeben Kredite zwischen 100.000 und fünf Millionen Euro. In diesem Segment ist eine vollautomatisierte Kreditvergabe nicht möglich. Der Mensch muss entscheiden, er wird aber durch eine maschinelle Erstanalyse sehr stark unterstützt, die ihm viel Arbeit abnimmt und ihm die Zeit für eine fundierte Zweitanalyse schenkt.

Sie arbeiten mit der MHB-Bank als Fronting-Bank zusammen, sprechen aktuell aber auch mit anderen Banken über eine Kooperation. Welche Strategie verfolgen Sie dabei?

Wir setzen in unseren Wachstumsplänen – mittelfristiges Ziel ist ein Kreditvolumen von 500 Millionen Euro pro Jahr – sehr stark auf Kooperationen mit Banken und haben drei Ansatzpunkte. Erstens das Vermittlungs- bzw. Referenzierungsgeschäft: Viele Banken möchten und können bestimmte Kunden aufgrund geringen Eigenkapitals oder hoher Risikoaversion nicht bedienen. In diesen Fällen sind wir Lösungspartner. Die Bank verliert den Kunden nicht an einen Wettbewerber, sondern bedient das Kundenbedürfnis, indem sie ihm eine alternative Lösung anbietet. Und wir generieren zusätzlich Provisionen für die Bank. Die zweite Ausbaustufe ist Lending-as-a-Service: Für eine ganze Reihe von Banken ist die Kreditvergabe nicht das Kerngeschäft. Nun könnte der Geschäftsbereich gänzlich aufgegeben werden oder aber er wird vollständig über unsere Technologie abgewickelt. Somit ist die Bank weiterhin in der Lage, Kredite anzubieten. Der dritte Ansatz richtet sich an ausländische Banken, die Kreditgeschäft in Deutschland betreiben möchten, für die sich der Aufbau einer eigenen Einheit aber nicht lohnen würde. Ein Beispiel ist die portugiesische Banco BNI, welche bereits unsere Plattform und unsere Kreditprojekte in Deutschland nutzt.

Könnten die großen Vergleichsplattformen wie Check24 bald auch die Firmenkunden für sich entdecken oder werden sie sich weiterhin auf das Retail-Geschäft fokussieren?

Es gibt Plattformen wie Compeon und FinCompare, die sich auf die Vermittlung von KMU-Finanzierung spezialisiert haben und mit denen wir eng zusammenarbeiten. Wir unterscheiden uns von diesen Plattformen, da sie als Verteiler agieren und wir die technologische Wertschöpfung des gesamten Kreditprozesses erbringen. Ich glaube, dass sich die großen Vergleichsplattformen, die heute schon Konsumentenkredite vermitteln, in Richtung Gewerbefinanzierung und kleiner Mittelstand erweitern. Vor allem bei den Themen Lead-Generierung und Performance-Marketing sind sie sehr stark. Ob die Zielgruppe KMU auf diesen Plattformen eine Finanzierung suchen wird, bleibt abzuwarten. Ich würde mich über einen großen Partner freuen, der für uns Leads generiert.