BANKINGNEWS: In einem Satz: Wie können Unternehmen den Kunden von heute und morgen an sich binden?
Marcus Enger: Durch ansprechende Interaktion – egal auf welchem Kanal.
Was ist das „nächste große Ding“ in der Kundenkommunikation?
Datengetriebene, echte Personalisierung. Das bedeutet, dass mir Sachverhalte so erklärt werden, wie es ein guter Berater leisten kann, der mich und alle meine Verträge kennt. Neu ist, dass dies kein Mensch mehr sein muss, sondern Chatbots oder Videos, die auf alle verfügbaren Informationen zugreifen und ausschließlich relevante Punkte ansprechen.
„Wir brauchen weiterhin menschliche Kreativität“
Werden wir demnächst nur noch mit Chatbots kommunizieren?
Sie werden zur Regelkommunikation. Als Kunde muss ich mich jedoch darauf verlassen können, dass mir nur das erklärt wird, was in dieser Situation für mich tatsächlich relevant ist. Wenn sich die Konditionen eines Produkts ändern, möchte ich als Kunde kein zwölfseitiges Dokument erhalten, aus dem ich mir die für mich relevanten Punkte heraussuchen muss. Das ist heute jedoch die gängige Praxis. Als Kunde stelle ich mir die Frage: „Die Bank kennt doch all meine Vertragsdetails. Warum schickt sie mir einen ganzen Katalog mit für mich irrelevanten Informationen?“ Wenn es die Unternehmen schaffen, dass die Kunden das Vertrauen zu einem Chatbot oder Video entwickeln, weil sie vollständige, aber nur relevante Informationen erhalten, dann wird ein Großteil über automatisierte Kommunikationskanäle erfolgen.
Welche Rolle werden menschliche Ansprechpartner einnehmen?
Menschen werden die Gestaltung der Inhalte übernehmen. Sie formulieren verständliche Textbausteine für den Bot, entwickeln neue Ideen, gestalten Videosequenzen und nutzen dabei die Fähigkeit, Emotionen zu wecken. Für die Gestaltung von ansprechenden, motivierenden und unterhaltsamen Inhalten brauchen wir menschliche Kreativität und einen „human touch“. Des Weiteren sind sie für die Qualitätskontrolle zuständig, die noch nicht vollständig an Algorithmen und Softwareprogramme übergeben werden kann. Es gibt außerdem immer eine gewisse Anzahl an Sonderfällen, die in kein Schema passen.
„Von ‚echter‘ KI sind wir noch ein Stück weit entfernt“
Wie erkenne ich als Dienstleistungsunternehmen den richtigen Zeitpunkt, um meinem Kunden menschliche Hilfe anzubieten?
Es gibt bereits die Möglichkeit, dass ein Chatbot auf bestimmte Stichworte trainiert wird und an Beleidigungen oder Schimpfworten erkennt, dass die Unzufriedenheit des Kunden steigt. Andere Indikatoren sind Wiederholungen, wenn die Maschine das Anliegen nicht versteht, oder eine lange Verweildauer in einem Chatbot-Gespräch. Diese Alarmsignale legen nahe, dass eine menschliche Übernahme anzuraten ist. Jedoch unterscheidet sich die Sprache je nach Generation oder sozioökonomischem Hintergrund. Daher ist das Ziel, Eskalationsstufen in einem Gespräch so kundenindividuell wie möglich zu identifizieren und entsprechend zu reagieren. Dazu bedarf es einer Analyse, welche Punkte dazu geführt haben, dass das Gespräch schlecht verlaufen ist, sowie einer Anpassung und Optimierung der dargestellten Inhalte durch einen Menschen.
Wäre die Fähigkeit eines Bots, die emotionale Entwicklung eines Gesprächs zu beurteilen, ein Schritt hin zu „echter“ KI?
Die große Frage ist, was wir unter „echter“ KI verstehen. Ich denke, dass wir davon noch ein Stück weit entfernt sind. Bis ein Chatbot auf alle Fragen wie ein Mensch reagieren kann, sind ein enormer Trainingsaufwand und viele Wochen mit Gesprächssimulationen vonnöten. Das können sich nur wenige Unternehmen leisten. Darüber hinaus wird nur die Vergangenheit wiederholt. Doch was ist, wenn die Trainingsfälle nicht von bester Qualität waren oder diese eventuell sogar tendenziös oder gar diskriminierend waren? Wir werden uns auf absehbare Zeit vor allem im Bereich der regelbasierten Systeme bewegen. Und diese Regeln werden von Menschen erstellt und gepflegt. Man kann sich vorstellen, dass auch dies irgendwann automatisiert erfolgt. Allerdings sollte man von diesen Systemen in naher Zukunft nicht zu viel Dynamik erwarten.
Einerseits sprechen wir davon, dass die Bedürfnisse des Kunden individuell befriedigt werden müssen, andererseits sehen wir immer mehr Automatisierung, Chatbots oder Robo Advisor. Wie passt das zusammen?
Früher hat man FAQs erstellt, um dem Kunden etwas zu erklären. Heute haben viele Kunden nicht mehr die Geduld, sich durch Listen zu wühlen und dort nach Antworten zu suchen. Das kann ein Chatbot übernehmen. Wir entwickeln personalisierte, interaktive Videos, die bestimmte Sachverhalte erklären und damit die Grundlage für ein qualitativ hochwertiges zweites Gespräch legen. Der Bankberater kann sehen, welche Fragen bereits im Chat gestellt und welche Sequenzen eines Videos angeschaut wurden. Die grundlegenden Informationen kann der Kunde also auch am Samstagabend nach der Sportschau oder am Sonntagmorgen nach dem Frühstück erhalten. Wenn er dann ein weiterführendes Gespräch sucht, kann der Berater darauf aufbauen. Als Kunde möchte ich für eine triviale Frage nicht unbedingt meinen Berater anrufen. Aber einen Chatbot anzupingen, ist überhaupt kein Problem.
Sie sprechen mit Banken und Versicherungen über Customer-Experience-Management. Was sind deren dringendste Anliegen und Fragen?
Die Verbesserung der harten Faktoren steht weiterhin im Vordergrund: Kostensenkungen im Callcenter, Steigerung der Produktverkäufe pro Kunde etc. Andere Unternehmen haben erkannt, dass die reine Optimierung von Backoffice-Kosten nicht mehr das vorrangige Ziel sein darf, sondern die Kundenzufriedenheit. Das ist allerdings die Ausnahme.
„Banken sind noch sehr funktional ausgerichtet“
Wie sind Finanzdienstleister im Vergleich zu anderen Branchen hinsichtlich Customer Experience aufgestellt?
Im Großen und Ganzen sind Banken und Finanzdienstleister im Bereich des Online-Zugriffs gut aufgestellt. Die meisten Angelegenheiten können die Kunden bereits online erledigen. Das ist in einigen anderen Branchen noch nicht der Fall. Der Spaß und eine ansprechende Gestaltung stehen jedoch selten im Vordergrund. Besonders junge Fintechs legen darauf viel mehr Wert. Im Telekommunikationssektor gehen ebenfalls weniger die Branchenriesen voran, sondern junge, aufstrebende Unternehmen. Der Fokus liegt nicht auf der Geschäftsabwicklung, sondern mehr auf einer Kundenerfahrung, die ich meinen Freunden mit Begeisterung weiterempfehle. Eine exzellente Customer Experience kann dazu führen, dass ich auch mal einen Fehler verzeihe und in Kauf nehme, dass ein Produkt mehr kostet als bei der Konkurrenz. Die Banken sind noch sehr funktional ausgerichtet.
„Die Kunden beschweren sich, ziehen aber keine Konsequenzen“
Gibt es länderspezifische Unterschiede in den Strategien von Banken?
Auf jeden Fall. Gerade in England beobachten wir viel innovativere Projekte. Das liegt unter anderem daran, dass die Kunden dort weit weniger loyal sind und häufiger ihre Bank oder Versicherung wechseln. Das erhöht den Wettbewerbsdruck und somit auch die Anstrengungen der Anbieter. Die Differenzierung geschieht einerseits über den Preis, anderseits besteht die Möglichkeit, mit einer guten Customer Experience hervorzustechen. In anderen Ländern werden viel häufiger neue Lösungen ausprobiert, während die Banken in Deutschland weit weniger experimentierfreudig sind.
Sind die Banken zu ängstlich oder verlangen es die Kunden nicht?
Beides trifft zu. Die Kunden beschweren sich zwar über schlechte Erfahrungen, ziehen aber keine Konsequenzen. Als Unternehmen stelle ich mir dann die Frage: „Lohnt es sich, in Verbesserungen der Customer Experience zu investieren, wenn mir die Kunden ohnehin treu bleiben?“ Aber auch die Besonderheiten der deutschen Bankenlandschaft verhindern teilweise Innovationen, da Genossenschaftsbanken und Sparkassen von ihren verbandseigenen IT-Dienstleistern ausgestattet werden und kaum Möglichkeiten haben, anders zu agieren, als es ihnen vorgegeben wird. Bei den Großbanken stellt man sich hingegen immer wieder die Frage, ob ihnen die Privatkunden wichtig sind oder der Fokus eher auf Firmenkunden liegt. Gepaart mit einem recht konservativen Klientel führt dies dazu, dass der Innovationsdruck nicht sonderlich hoch ist. Wenn ausländische Banken die deutschen Kunden stärker ins Visier nehmen, dann wird etwas mehr Bewegung in den Markt kommen.
Können Sie uns ein Beispiel eines vorbildlichen bzw. erfolgreichen Customer-Experience-Managements nennen?
Die Allianz hat in Österreich eine App gelauncht, die den Kfz-Versicherten die Abwicklung im Schadenfall erleichtert. Zunächst war die Zahl der Downloads sehr gering. Dann hat die Allianz allen Neukunden ein Onboarding-Video geschickt, in dem die App erklärt wurde und aus dem heraus direkt eine Möglichkeit des Downloads bestand. Damit wurde die Schwelle gesenkt, ein Medienbruch vermieden und 45 Prozent dieser Kunden haben die App installiert. Um zu verhindern, dass die App wieder gelöscht wird, sollte der User zu einer regelmäßigen Nutzung bewegt werden, auch wenn kein Unfall stattgefunden hat. Daher hat die Allianz eine Tankstellensuche und andere nützliche Features integriert.
Wer ist der Vorreiter im Bereich Customer Experience?
Hier muss man ganz klar Google und Amazon nennen. Als diese beiden an den Start gingen, war man noch davon überzeugt, dass es „gute“ Unternehmen seien. Der Lack ist längst ab. Vor Kurzem hat sich Google ganz offiziell von seinem Motto „Don’t be evil“ verabschiedet. Von Amazon kennen wir alle die Nachrichten über schlechte Arbeitsbedingungen oder die Umgehung von Steuerzahlungen. Allerdings haben es beide Unternehmen geschafft, ein so hohes Maß an Bequemlichkeit für den Nutzer zu erreichen, dass alle Bedenken und das schlechte Gewissen beiseitegeschoben und die Dienstleistungen genutzt werden.