Der Popanz ist zurück

Vor nicht allzu langer Zeit war es vor allem in der mittelständischen deutschen Wirtschaft ein weit verbreiteter Reflex, für alle Missstände und drohenden Änderungen in der Unternehmensfinanzierung ein Schlagwort zu bemühen: Basel II. Basel II war schließlich an allem Schuld – und das damit verbundene Ratingverfahren wurde gleich mit verteufelt. Immer fand sich jemand, der…


Vor nicht allzu langer Zeit war es vor allem in der mittelständischen deutschen Wirtschaft ein weit verbreiteter Reflex, für alle Missstände und drohenden Änderungen in der Unternehmensfinanzierung ein Schlagwort zu bemühen: Basel II.

Basel II war schließlich an allem Schuld – und das damit verbundene Ratingverfahren wurde gleich mit verteufelt. Immer fand sich jemand, der die neuesten Entwicklungen kommentierte – selbst wenn dieser keine einzige Seite des über 800 Randnummern umfassenden Basel-II-Textes gelesen hatte. Es war ein bisschen wie beim Fußball: Hier können alle mitreden. Eigentlich glaubte man diese Phase bereits überwunden, Sachlichkeit verdrängte mittlerweile Polemik. Der Popanz Basel II wurde erfolgreich vertrieben. Zu Recht, denn die deutschen Banken haben sich intensiv auf Basel II vorbereitet, sie haben den Dialog zu ihren Firmenkunden gesucht und umfangreiche Investitionen in verbesserte Risikomanagement-Systeme getätigt. Wahr ist, sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Finanzmarktstabilität. Die Ratings der Kreditinstitute haben einen echten Innovationsschub im Risikomanagement der Banken ausgelöst. Und moderne Unternehmen schockt heute längst kein bankinternes Ratingverfahren mehr. Im Gegenteil, sie schätzen die damit verbundene Stärken-/Schwächenanalyse.

Doch jetzt ist der Popanz zurück. Die US-Hypothekenkrise hat dem Schreckgespenst die Hintertür geöffnet. Und umgehend verfallen sie wieder in den Chor der Zweifler, der Stimmungsmacher, der Modernisierungsgegner, jene, die nichts verstanden haben. Rating sei das unsägliche Zauberwort, mit dem man seit der Einführung von Basel II den Mittelstand drangsaliere und geschäftlich ausboote, schreibt der Präsident des Bundesverbands der Dienstleistungswirtschaft (BDWi), Werner Küsters, allen Ernstes in einem offenen Brief an die Banken. Das gepriesene Ratingverfahren habe völlig versagt. "Eine solche Krise, wie von Basel II ausgelöst, hat es zuvor nie gegeben", glaubt Küsters. Mit solchen markanten Worten lässt sich im Mittelstand eben Stimmung machen. "Während die Banken unter dem Schlagwort Basel II kleinen und mittleren Unternehmen die Kreditvergabe weitgehend verwehren, beteiligt man sich an milliardenschweren faulen Krediten aus dem Ausland", setzt Küsters noch einen drauf. Christoph Leitl, der Präsident der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), will Basel II sogar gleich ganz abschaffen. Wegen der Verwerfungen am internationalen Kapitalmarkt lässt er prüfen, ob man Basel II wegen Erfolglosigkeit nicht kündigen kann. Empört geriert er sich, wie sorglos die Amerikaner, die ja auf die schärferen Basel-II-Richtlinien für den Finanzsektor gedrängt hätten, bei Kreditvergaben umgegangen seien und sozusagen selbst die Auslöser der Krise wären.
Es ist zum verzweifeln. Einmal mehr soll der Überbringer der schlechten Botschaft gehängt, soll der Bock zum Gärtner gemacht werden.

Der betriebs-, ja volkswirtschaftliche Nutzen von Risikomanagement hat sich manchen Lobbyisten noch immer nicht erschlossen. Oder der Eindruck drängt sich auf, dass hier wider besseren Wissens die Unterschiede zwischen Kreditrisikomanagement auf der einen Seite und misslungenem Eigenhandel auf der anderen Seite bewusst verwischt werden sollen. Basel II eignet sich halt so schön als Sündenbock. Doch jetzt ist es an der Zeit, den Popanz wieder zu verjagen. Die Stimmung zugunsten eines effizienten Risikomanagements darf nicht kippen!