Die EU – ein Teenager mit Selbstzweifeln

Der Ex-EU-Parlamentarier Martin Schulz will Bundeskanzler werden, der glühende EU-Anhänger Alexander Van der Bellen ist der neue österreichische Bundespräsident. Es scheint, als würde europäischer Föderalismus langsam salonfähig werden. Dabei wird über die Idee schon seit Jahrhunderten diskutiert: Um weltweit stärker auftreten zu können und den Frieden auf dem Kontinent zu gewährleisten, soll sich Europa zu…


Die EU – Ein Teenager mit Selbstzweifeln
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Schon zu Lebzeiten des französischen Schriftstellers Victor Hugo, der als einer der ersten von einem vereinten Europa träumte, galt die Idee eines europäischen Föderalstaats als utopisch – und bis heute hat sich daran wenig geändert. Zwar konnte das sogenannte europäische Projekt mit der Gründung der EU und der Errichtung einer gemeinsamen Währung in der jüngeren Vergangenheit große Erfolge verbuchen, doch die eigene Souveränität für mehr europäische Integration einzuschränken, widerstrebt den Europäern noch immer. Nach ein paar Wirtschaftskrisen und einer Flüchtlingskrise, die das Weiterexistieren der Eurozone und sogar der EU selbst ungewiss machten, scheint die Forderung nach einer engeren politischen Union langsam neuen Aufwind zu bekommen.

Trump – Brexit – Eurokrise

Im Jahr 2017 steht die Europäische Union vor großen Herausforderungen und Unsicherheiten: Donald Trump, der EU-Austritt Großbritanniens und wirtschaftliche Probleme in der Eurozone drohen, die Union zu zerbrechen. In diesem Kontext fällt es schwer, den Brexit und den von der französischen Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen angekündigten „Frexit“ nicht als Flucht von einem sinkenden Schiff zu verstehen. Wieso also soll ausgerechnet jetzt die richtige Zeit sein, die Europäische Integration voranzutreiben? Weil Stagnation plötzlich keine Option mehr ist. Oft führen gerade Krisenzeiten zu wichtigen Veränderungen, die zuvor aufgeschoben wurden.

In einer Spiegelkolumne von 2015 prophezeit Wolfgang Münchau das Kommen einer sogenannten konstruktiven Krise, die, anders als die Euro- oder Flüchtlingskrise, Europa vereinen werde, statt es weiter zu spalten. Könnte die Politik Donald Trumps eine solche Krise auslösen? Seine Position zu NATO und Russland sorgen schon jetzt für erheblichen außenpolitischen und vor allem sicherheitspolitischen Druck auf die EU. Will sich Europa endgültig von der NATO emanzipieren, könnte sogar eine EU-Armee Wirklichkeit werden. Pläne, bei der Verteidigung die Zusammenarbeit der einzelnen EU-Staaten zu verbessern, gibt es bereits. Eine gemeinsame europäische Verteidigungsarmee würde jedoch eine einheitliche Außenpolitik und somit auch eine intensivere Kooperation der einzelnen Regierungen verlangen. So könnte eine militärische Union schnell zu einer engeren politischen Union werden.

Die Optionen sind klar

Einiges deutet darauf hin, dass die Zukunft der EU in den nächsten Jahren entschieden wird. Nach dem Brexit und der US-Wahl sind es nun die französische Präsidentschafts- und die deutsche Bundestagswahl, die die Europapolitik der nächsten Jahre beeinflussen werden. Wie offen die Zukunft Europas noch ist, wird vor allem durch einen Blick nach Paris deutlich. Die Wahl wird voraussichtlich zwischen Pro-EU-Kandidat Emmanuel Macron und der anti-europäischen Marine Le Pen, die bereits den EU-Austritt Frankreichs ankündigte, entschieden werden. Die Optionen sind: entweder mehr Nationalismus oder mehr Integration.

Für welchen Weg man sich auch entscheiden wird, es ist wichtig, dass das politische Establishment nicht ohne Beteiligung der Bürger voranschreitet. Die EU-Bürger zögern beim Treffen dieser Entscheidung; viele haben noch keine klare Position bezogen. Verständlich, denn auch wenn man als Amerikaner abfällig vom „alten Europa“ sprechen mag, ist die EU noch sehr jung – erst im Teenageralter, könnte man sagen. Und wie bei einem echten Teenager ist diese Phase vor allem von Selbstzweifeln und Versuchen der Identitätsfindung geprägt. So schwer es auch ist, die EU muss nun erwachsen werden.