Banken sind schon seit Jahren einer Flut von neuen regulatorischen Anforderungen ausgesetzt. BANKINGNEWS sprach mit Dr. Stefan Wilke, Partner bei der Basycon Unternehmensberatung GmbH, über Erfolgsfaktoren bei der Umsetzung.
BANKINGNEWS: Der Strom regulatorischer Anforderungen und damit Projekte reißt nicht ab. Was bedeutet das Thema für die Branche?
Wilke: Tatsächlich kommt der „regulatorische Tsunami“ für die Branche zur Unzeit. Er bindet finanzielle und personelle Ressourcen, die beim vielerorts anstehenden Umbau von Geschäftsmodellen – Stichwort Digitalisierung – dringend benötigt würden. Eine effizientere Umsetzung wäre also wichtig – hier sehen wir aber noch großes Verbesserungspotenzial.
Wie äußern sich die Defizite konkret?
Bei Anforderungen mit umfassenden fachlichen und technischen Auswirkungen wie BCBS 239, IFRS 9 oder AnaCredit ist es naturgemäß schwer, den Überblick über die Umsetzung zu behalten. Dem Vorstand fehlt daher oft die Übersicht über die aktuellen Kernthemen und den Status der Compliance. Die operative Ebene dagegen ist meist geprägt durch einen Stau von fachlichen und technischen Entscheidungen und permanente Planänderungen wegen neuer Anforderungen. Hinzu kommt die teils massive Überlast durch die Projektarbeit. Weder neue Software noch neue Organisationen kürzen dabei den Weg ab, auch wenn manche Dienstleister dies suggerieren wollen. Dennoch kann man es sich auch unnötig schwer machen, nämlich durch schlecht aufgesetzte Projekte oder nachlässige Durchführung.
Was können Banken tun, um diese Schwierigkeiten zu vermeiden?
Ein großer Hebel liegt im richtigen Aufsetzen der Projekte. Anstatt einfach die übliche „Gap-Liste“ als Projektplan zu verwenden, empfiehlt sich hier ein Top-Down-Vorgehen: Was ist gefordert, und welche Intention steht dahinter? Was soll das Institut strukturell ändern? Beim stumpfen Abarbeiten von hunderten Einzelpunkten kann man sich leicht verzetteln. Idealerweise sollten sich auch komplexe, weitreichende Anforderungen auf wenige, greifbare Ziele reduzieren lassen. Damit hat man ein kommunizierbares Arbeitsprogramm, die Vollständigkeit prüft man dann laufend mit der besagten Gap-Liste.
Wie findet man das richtige Maß für den Projektumfang?
Tatsächlich ist die Abgrenzung in der Praxis ein schwieriger Punkt. Es oft wird pauschal der große Wurf geplant, ohne die Leistungsfähigkeit der eigenen Organisation realistisch einzuschätzen: Wie sieht der „Track Record“ bei Großprojekten aus? Was kann und möchte man sich zumuten? Nach meiner Meinung schätzen sich viele Institute hier zu optimistisch ein. Kommt man zu einer vorsichtigeren Einschätzung, sollte man vorhandene Systeme und Prozesse optimal ausnutzen, und wenn möglich vom Ist-Zustand her denken. Aufbauend auf diesem „Mindestumfang“ für das Projekt kann man immer noch nach sinnvollen, fachlichen oder technischen Innovationen suchen. In der Praxis ist diese Beschränkung auf den Mindestumfang nicht einfach, da die Unterscheidung von Muss- und Kann-Anforderungen schwer zu beurteilen ist. Eine unabhängige Validierung des Projektumfangs und der Aufwandsschätzung kann hier helfen.
Angenommen, das Ziel ist definiert, wie lässt sich ein regulatorisches Großprojekt dann managen?
Ein Punkt vorab: Die Verantwortlichkeit für das Projekt muss in einer Hand liegen. Mehrere Verantwortliche können zu massiven Reibungsverlusten führen, und das kann sich bei regulatorischen Pflicht-Themen kein Institut leisten. Im Zweifel können die anderen Stakeholder über einen Lenkungskreis eingebunden werden. Darüber hinaus hängt der Erfolg nach meiner Meinung vor allem mit handwerklich solider Projektarbeit zusammen. Diese zeigt sich in der Praxis daran, wie schnell die Knackpunkte des Projekts identifiziert und gelöst werden können. Hier ist eine Projektleitung gefragt, die punktuell auch in die fachliche oder technische Tiefe gehen kann und eine Problemlösung katalysiert. Bei großen externen Budgets oder mehreren, verzahnten Projekten empfiehlt sich zudem immer ein unabhängiges Projektcontrolling. Eine wesentliche Rolle spielen schließlich die Führungsqualitäten der handelnden Personen, egal in welcher organisatorischen Konstellation. Allerdings ist insbesondere die beschriebene Projektleitung ein sehr herausforderndes Rollenprofil. Geeignete Führungskräfte sind rar und auch an anderer Stelle gefragt.
Was ist die größte Herausforderung in der Projektdurchführung?
Bei regulatorischen Projekten sind dies meist die Parallelität der zahlreichen Projekte und der kontinuierliche Strom an neuen Anforderungen und Konkretisierungen. Diese sind zwar im Detail nicht planbar, aber systematisch vorbereiten kann man sich darauf: Wie sieht unser Prozess für neue Anforderungen aus? Wie stelle ich Change Requests an laufende Projekte? Habe ich noch Ressourcen für Ad-hoc-Anfragen? Hier können Banken viel von anderen Industrien lernen. Beispielsweise sind Innovationsprozesse in der Konsumgüterindustrie ebenso von laufenden Änderungen durch veränderte Kundenwünsche und massiver Parallelität geprägt.
Ihr Ausblick?
Die Arbeitslast durch die Regulatorik wird sich zunächst auf hohem Niveau stabilisieren. Es ist also nicht zu spät, über das Thema Effizienz nachzudenken. Viele der regulatorischen Anforderungen sind zudem wie Hausaufgaben in der Schule – kurzfristig erfordern Sie Arbeit und Nerven, aber langfristig sind sie sinnvoll und hilfreich.