Ende der Bescheidenheit

Gastartikel von Jan Hoffmann. Fahren Sie mit der Bahn zur Arbeit? Dann fahren Sie womöglich gerade gar nicht, sondern warten. In Deutschland wird gestreikt, derzeit organisiert Verdi seine Mitglieder für einen Arbeitskampf, der länger nicht mehr in dieser Schärfe zu sehen war. 6,5% Lohnzuwachs, mindestens 200 Euro, werden aufgerufen. Dem Verhandlungsführer der Arbeitgeberseite, Innenminister Friedrich,…


Gastartikel von Jan Hoffmann.

Fahren Sie mit der Bahn zur Arbeit? Dann fahren Sie womöglich gerade gar nicht, sondern warten. In Deutschland wird gestreikt, derzeit organisiert Verdi seine Mitglieder für einen Arbeitskampf, der länger nicht mehr in dieser Schärfe zu sehen war. 6,5% Lohnzuwachs, mindestens 200 Euro, werden aufgerufen. Dem Verhandlungsführer der Arbeitgeberseite, Innenminister Friedrich, hat es dermaßen die Sprache verschlagen, dass er ganz vergessen hat, ein Gegenangebot vorzulegen. Dabei folgt Verdi dem derzeitigen Trend. Chemiegewerkschaft BCE fordert 6%, die IG Metall wie Verdi 6,5%, VW zahlt direkt 7.500 Euro Erfolgsprämie für 2011 an jeden Mitarbeiter.

Nach Jahren der Lohnzurückhaltung haben die Arbeitnehmer das Geld im wahrsten Sinne des Wortes verdient. Verdient nämlich für ihre Arbeitgeber. Laut statistischem Bundesamt sind die Unternehmer- und Vermögenseinkommen von 2002 bis 2011 um knapp 200 Mrd. oder aber 42% gestiegen. Das Arbeitnehmerentgelt ist lediglich um 16% gestiegen. Für diesen Verzicht haben wir international viel Lob bekommen, die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschlandes wurde deutlich gestärkt. Kritiker entgegnen, dies sei zu Lasten der Handelspartner geschehen, die gegenüber Deutschland ein deutliches Leistungsbilanzdefizit aufweisen. Auch der IWF hat Deutschland ermahnt, das Land müsse die Inlandsnachfrage stärken. Lohnsteigerung sind also von höchster internationaler Ebene gefordert und werden wohl auch in einem für Deutschland deutlichem Maße durchgesetzt werden.

Was bedeutet das nun für den Wirtschaftsstandort Deutschland?
Die Inlandsnachfrage wird für einen Wachstumsimpuls sorgen. Dies ist wichtig, da, trotz globaler Ausrichtung selbst vieler deutscher Mittelständler, der Großteil deutscher Exporte ins europäische Ausland stattfindet (über 60% gehen in die EU-Länder). Viele dieser Länder werden aber auf Jahre hinaus mit einer straffen Haushaltskonsolidierung und Entschuldung, auch des privaten Sektors, konfrontiert sein. Die Nachfrage wird hier voraussichtlich nachhaltig schwach beleiben. Wir halten fest: Konjunktureffekt positiv.

Stichwort Wettbewerbsfähigkeit: das ist schwer zu beurteilen. Die Lohnstückkosten in den Euro-Peripheriestaaten sinken deutlich, der Konkurrenzdruck steigt. Da viele deutsche Unternehmen zeitig auch den dynamischen asiatischen Markt im Blick hatten und sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren, während Randgeschäftsteile abgestoßen werden, stehen die Chancen gut, dass dieser Effekt kompensiert werden kann.

Zuletzt und von vielen gefürchtet: die Inflationsrate in Deutschland könnte dauerhaft über 2% verharren, was von der EZB nicht gewollt ist. Auf Grund der schwachen wirtschaftlichen Verfassung vieler anderer Euroländer kann die Geldpolitik wahrscheinlich nicht in dem Maße gestrafft werden, wie es für Deutschland erforderlich wäre – ein Teil der Lohnerhöhung geht somit direkt durch den Inflations-Kamin.

Dazu kommt: In Deutschland werden 2012 nur ca. ein drittel der abhängig Beschäftigten von der Lohnrunde profitieren. Für die Mehrheit existieren noch gültige Tarifverträge, die Neuverhandlungen könnten daher zukünftig in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten stattfinden. Daneben gibt es nach wie vor die Gruppe derjenigen, für die selbst eine Bezahlung nach aktuellem Tariflohn schon ein Fortschritt wäre. Diese Gruppe wird wohl auch diesmal wieder nicht laut genug mit einer Stimme sprechen können, um im verdienten Maße zu profitieren.