Unternehmen aus dem Fintech-Sektor stellen das Geschäftsmodell klassischer Retailbanken fundamental in Frage. In anderen Märkten zeigt sich schon jetzt das Ausmaß des bevorstehenden Wandels. Banken verfolgen verschiedene Ansätze, um Schritt zu halten.
„Uns stehen radikale Veränderungen bevor. Denk an meine Worte.” Mit diesen Worten verabschiedet mich CEO Mike Cagney aus dem Office in San Francisco. Seine Firma Social Finance, mittlerweile mehr als 1 Milliarde Dollar wert, vergibt Kredite an Amerikaner – ähnlich wie Lending Club, OnDeck oder Prosper: jedoch ohne klassische Banklizenz. Im Jahr 2014 wuchs diese Form der Kreditvergabe um stolze 223%. Ein amerikanisches Phänomen oder Vorbote einer strukturell veränderten Finanzwelt? Und was bedeutet das Ganze für Deutschland?
Im Rahmen der Initiative „Future of Fintech“ diskutierte ich für das Davoser Weltwirtschaftsforum über die letzten Monaten hinweg mit zahlreichen Fintechs, Technologieunternehmen, Risikokapitalgebern und Banken. Das Fazit ist überall dasselbe: Der Bankenlandschaft stehen dramatische Umwälzungen bevor. Und ja, auch in Deutschland.
Retailbanking ohne Banken?
Klassischerweise sehen Banken ihre Aufgabe darin, Geld zu verwahren, anzulegen, zu verleihen und von A nach B zu senden. Mehr und mehr wird ihnen ein Feld nach dem anderen jedoch von den neuen Herausforderern („Fintechs“) abgenommen.
Bei der Kreditvergabe rüttelt nicht nur Social Finance an der unangefochtenen Vormachtstellung von Banken. Firmen wie Zopa, Kreditech oder Lendico stellen mittlerweile eine ernstzunehmende Alternative dar. Kredit per Klick statt Papierkrieg lautet deren Devise. Die Verfügbarkeit gigantischer Datenmengen und künstliche Intelligenz soll dies ermöglichen. Mutige Quellen schätzen, dass bis 2025 die Hälfte aller Konsumentenkredite von solch alternativen Plattformen vergeben wird.
Zahlungsverkehr und Geldanlage der Zukunft anderswo schon Realität
In China zeigt sich schon jetzt, wie der Zahlungsverkehr in Zukunft aussehen kann. Mittels WeChat, der dortigen Whatsapp-Variante, bezahlen mehr als 200 Millionen Nutzer seit knapp einem Jahr ihre Rechnungen mobil oder schicken sich gegenseitig Geld. Und das Geld ist schneller beim Empfänger, als wir das Wort „Überweisungsträger“ aussprechen können.
Auch bei der Geldanlage wächst die Konkurrenz. Mithilfe intelligenter Software können Firmen wie Betterment, Nutmeg oder vaamo individuelle Spar- und Anlagepläne generieren und direkt umsetzen. Die Zeit für margenträchtige Bankfonds und gebührenreiche Wertpapierdepots neigt sich womöglich bald dem Ende zu.
Konsequenzen des Wandels sind nicht zu unterschätzen
Sicherlich, es ist nicht alles Gold was in Fintech so glänzt. Risiken, sowohl für den einzelnen Kunden als auch für das Finanzsystem als Ganzes, sollen nicht unerwähnt bleiben. Regulierungsbehörden beginnen sich des Phänomens genauer anzunehmen. Dennoch: das momentane Momentum scheint bis auf weiteres kaum aufzuhalten.
Alles in allem, wie schlimm könnte es für Banken kommen? Die Antwort: für manche möglicherweise existenzbedrohend. Die Beratungsfirma Accenture schätzt, dass mehr als ein Drittel der Umsätze von US-Vollbanken an alternative Anbieter abwandern könnte – binnen gerade mal zehn Jahren.
Einige Banken haben den Trend erkannt
Eine interessante Beobachtung aus meinen Gesprächen der letzten Monate: Große Banken sind sich der Veränderung durchaus bewusst. Von Santander über Citibank hin zu J.P. Morgan und Wells Fargo – zahlreiche Banken haben bereits weitreichende Initiativen ergriffen.
Doch was können Banken wirklich tun, im Angesicht risikofreudiger Startups, schlagkräftiger Giganten wie Google und Apple und der geballten Technologiekompetenz des Silicon Valley? Rund um den Finanzglobus experimentieren Banken derzeit mit verschiedenen Ansätzen:
Fünf Maßnahmen
1. Interne Innovation: Schon immer leisteten sich Banken interne Strategieabteilungen und investierten Millionenbeträge in IT-Updates. Das Hauptproblem dabei ist der begrenzter Mut zum Risiko und langwierige Prozessstrukturen in großen Konzernen, die Innovationen schnell an ihre Grenzen bringen.
2. Zukäufe: Schlagzeilen machten die Akquisitionen von Simple durch BBVA, Symphony durch Goldman Sachs oder Payone durch die Sparkassen-Finanzgruppe. Die Prognose: In Zukunft werden wir mehr und mehr solcher Investitionen sehen.
3. Inkubatoren: Banken wie Wells Fargo, Capital One oder die Commerzbank bieten jungen Fintechs eine Plattform und Ressourcen für „betreute Innovation“. Ein interessantes Konzept – wenn es Banken auch wirklich gelingt, die besten Gründer für solch einen Ansatz zu begeistern.
4. Bankeigene Investmentfonds: Banken wie Santander, Sberbank oder Citibank setzen auf hauseigene Corporate Venture-Capital Fonds. Diese investieren in zukunftsträchtige Fintech-Unternehmen, die ihrerseits einen Teil der Unabhängigkeit und Flexibilität bewahren. Banken sind so am Puls der Zeit und können von innovativen Unternehmen lernen.
5. Partnerschaften: Ob Funding Circle mit der Royal Bank of Scotland oder Lending Club und ein Verband amerikanischer Volksbanken (BancAlliance) – Banken und Fintechs finden sich immer öfter im Rahmen von Partnerschaften zusammen, statt sich im Wettstreit gegenseitig zu bekämpfen. Ein Ansatz, der erfolgversprechend zu sein scheint.
Welche Variante schlussendlich die besten Resultate bringt, wird einzig und allein die Zeit zeigen. Fakt ist: Ein einfaches „Weiter so“ wird für Banken nicht mehr ausreichen. Ob regional, ob global – Banken sind wohlberaten, jetzt ihre Antwort auf den bevorstehenden Wandel zu formulieren. Andere nehmen ihnen sonst womöglich bald das Scheckheft des Handelns aus der Hand.