Henne oder Ei?

Guten Morgen, heute ist Donnerstag, der 15. Juli 2010 ! Verlagerung: Europa hat als Krisenherd ausgedient; man blickt jetzt kritisch auf die USA Verwunderung: EUR-USD hat 10 Cents gewonnen und es geht weiter Verabredung: US Inflationszahlen um halb drei ziehen Händler in ihren Bann   Irgendwann werden wir unseren Enkeln die Frage beantworten müssen, was…


Guten Morgen, heute ist Donnerstag, der 15. Juli 2010 !

  • Verlagerung: Europa hat als Krisenherd ausgedient; man blickt jetzt kritisch auf die USA
  • Verwunderung: EUR-USD hat 10 Cents gewonnen und es geht weiter
  • Verabredung: US Inflationszahlen um halb drei ziehen Händler in ihren Bann
 
Irgendwann werden wir unseren Enkeln die Frage beantworten müssen, was denn zuerst da gewesen wäre: Die Staatsschuldenkrise oder die Bankenkrise. Eine ausweichende Antwort à la "Ach Kind, das ist doch wie die Frage nach der Henne und dem Ei!" ist dann nicht mehr drin. Denn diese Frage ist jetzt beantwortet: Erst war da die Henne, dann das Ei, melden britische Forscher, und belegen ihre Behauptung mit zwei Untersuchungsergebnissen. Zunächst wurde festgestellt, dass der Verzehr von zehn harten Eiern innerhalb von einer halben Stunde nicht dazu führt, dass der Konsument gackert. Dann wurde nachgewiesen, dass das für die Eierschalenbildung erforderliche Protein Ovocleddidin-17 von der Henne produziert wird. In einer abschließenden Testreihe soll nun die menschliche Reaktion auf den Verzehr von 500g ovocleddidinhaltigen Eierschalenmüslis untersucht werden…
 
Eine andere Frage könnte lauten: Was war zuerst da, die Finanzinnovation oder Goldman Sachs? Die Antwort hierauf ist freilich ohne jeglichen Eierschalenkonsum offensichtlich. Finanzinnovationen gibt es bereits, seit wir angefangen haben, in einer Tauschwirtschaft zu leben ("Du gibst mir Henne, ich zahle mit jeweils einem Ei die nächsten acht Wochen.") Entscheidend ist lediglich, dass im Kaufvertrag die Details der Bezahlung offengelegt werden ("weiße Eier, Gewichtsklasse L"). Wenn nicht, schimpft die Eieraufsicht. So geschehen mit Goldman Sachs: Das Institut hatte vor Ausbruch der Subprime-Krise ihren Kunden angeblich "bewusst" Details eines komplexen Investmentprodukts vorenthalten ("CDO-Karton mit Eiern unterschiedlicher Größe"). Mit der Börsenaufsicht einigte sich das Haus jetzt auf einen 550 Mio. Dollar schweren Vergleich. Die Anleger hatten wohl mit Schlimmerem gerechnet, weshalb Goldman-Aktien gestern Abend die US Indizes noch zu einem stabilen Handelsschluss trieben.
 
Goldmans eieriger Kompromiss war nicht die einzige positive Nachricht gestern: Nachdem monatelang über die Egg-Punkte verhandelt wurde, hat die Finanzmarktreform in den USA ihre letzte parlamentarische Hürde genommen. Die Slowakei stimmt dem 750 Mrd. schweren Euro-Stützungspaket zu (nicht allerdings dem 110 Mrd. Euro starken Griechenland-Paket). Google steigert Gewinn und Umsatz um ein Viertel (verfehlt die Erwartungen jedoch knapp). JP Morgan halbiert seine Risikovorsorge. AMD ist zurück in der Gewinnzone. Das Öl-Leck ist dicht. Robbie Williams kehrt zu Take That zurück. Und Paul gibt’s für 79 Cent im App-Store.
 
Dennoch mag sich an den Märkten nicht die richtige Begeisterung durchsetzen. Grund ist, dass mal wieder eine neue Henne durchs Dorf gejagt wird: Eben noch hieß es, die Eurozone breche auseinander, nun wird für die USA ein Triple-D befürchtet: Double-Dip & Deflation. Die ersten beiden "Ds" wurden durch abermals unerwartet fallende Konjunkturindikatoren befüttert (Philly Fed und NY Empire Index), das dritte "D" durch einen deutlichen Rückgang der Produzentenpreise. In Kombination mit den als "dovish" empfundenen FOMC-Minutes vom Mittwoch liefern die Daten den Anlegern drei Rückschlüsse: Erstens, Leitzinsanhebungen der Fed sind in weite Ferne gerutscht (aktuell sieht der Markt einen solchen Schritt nicht vor Mitte 2011). Zweitens, die Fed hat wenig Eile, ihre Ausstiegsstrategie (Abzug überschüssiger Liquidität) umzusetzen. Und drittens, sogar die Wiederaufnahme von Maßnahmen umschrieben mit dem Begriff "Quantitative Easing" erscheint nicht mehr ausgeschlossen.
 
Gute Quartalsergebnisse und die Verlagerung des Krisenherdes von Europa in die USA führt dazu, dass die Anleger an den Märkten einen wahren Eiertanz veranstalten: Die US Treasury-Renditen fallen deutlich, während die Aktienmärkte sich behaupten können. Der US Dollar, eben noch das Ei des Kolumbus bei der Suche nach der besten Anlagewährung, wird derzeit gesucht wie Heizstrahler im Englischen Garten. EUR-USD ist mittlerweile bis auf über 1,29 gekrabbelt, und man fragt sich, wann die ersten Beschwerden über eine "zu feste Währung" laut werden. An Daten bekommen wir heute die US Inflationszahlen – normalerweise ein Non-Event, heute vor dem Hintergrund der aufkeimenden Deflationsdiskussion jedoch ein echtes Schlaglicht. An den Aktienmärkten werden die Quartalszahlen von Bank of America, Citigroup und General Electric (alle vorbörslich) mit Spannung erwartet. Was immer zuerst da war, lieber Enkel: Die Bankenkrise war vor der Staatsschuldenkrise wieder vorbei…
 

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Dies ist ein humoristischer Marktkommentar und keine Anlageberatung. Die Einschätzungen des Autors beruhen auf Informationen, die auf öffentlich zugänglichen, als verlässlich eingeschätzten Informationsquellen basieren. Weitere Informationen finden Sie im Disclaimer.
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Kornelius Purps
Fixed Income Strategist
Director
MRE4FI
UniCredit Research

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Kornelius Purps Corporate & Investment Banking
UniCredit Bank AG

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