Gestern im Regionalzug kurz vor Frankfurt. Der Zugführer meldet sich über die knarzende Lautsprecheranlage: „Verehrte Fahrgäste. Wir erreichen in Kürze Frankfurt Hauptbahnhof. Alle Anschlusszüge werden erreicht. Der Ausstieg befindet sich rechts.“ Wenige Sekunden später: Eine computeranimierte Frauenstimme meldet sich über die knarzende Lautsprecheranlage: „Liebe Fahrgäste. Wir erreichen in Kürze Frankfurt Hauptbahnhof. Wir bedanken uns bei Ihnen für die Reise mit der Deutschen Bahn. Der Ausstieg befindet sich links.“ Wenige Sekunden später: Der Zugführer meldet sich über die knarzende Lautsprecheranlage: „Der Ausstieg befindet sich rechts.“ In diesem Moment holten einige Fahrgäste ein Gänseblümchen aus ihrer der Tasche…
Bemerkenswert ist diese Episode insofern, als sie sich ausgerechnet in Frankfurt ereignete. In Frankfurt befindet sich der Sitz der Europäischen Zentralbank. Und der unfreiwillige Dialog zwischen Zugführer und Computerdame hätte in ähnlicher Form auch auf dem Bürgersteig vor der Kaiserstraße 29 stattfinden können: Volkswirt: „Wir erreichen in Kürze Spreadland. Die EZB muss ihre Rolle als Lender of last Resort wahrnehmen und stärker am Markt intervenieren.“ Antwortet des EZB-Fachmanns: „Die EZB wird niemals der Lender of last Resort sein.“ Die Debatte über die Rolle der Europäischen Zentralbank im aktuell immer nervöser werdenden Marktumfeld heizt sich auf. Immer mehr Volkswirte verlangen von der Notenbank ein entschiedeneres Eingreifen. Die EZB solle für die Staatsanleihen der unter Druck stehenden EWU-Länder übergangsweise ein Renditeziel aussprechen, welches sie bereits sei, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen. In der Zwischenzeit trieben die betreffenden Länder ihre Reformanstrengungen voran. Innerhalb der EZB stößt der Vorschlag bislang jedoch auf ungeteilte Ablehnung und es wird ganz klar der Ausstieg links bevorzugt.
Gestern hat die EZB ihre Anleihenkäufe Händlerberichten zufolge intensiviert. Es gelang ihr dadurch, die Situation in den Staatsanleihemärkten halbwegs zu stabilisieren. Eine nachhaltige Stimmungsumkehr konnte die Notenbank damit freilich nicht erzielen. Das ist natürlich auch schwierig bei so viel Gegenwind: Fitch warnt, die Schuldenkrise in Europa könne den Ausblick für die amerikanischen Banken verdüstern. Moody‘s senkt das Rating für zehn staatliche deutsche Banken. Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker bezeichnet die Höhe der Schulden Deutschlands als „Besorgnis erregend“. Der Chef der Fed Boston, Eric Rosengren, philosophiert über mögliche koordinierte Krisenmaßnahmen der amerikanischen und europäischen Notenbank. Der Research-Director der Fed St. Louis, Christopher Waller, meinte, was auch immer die Fed unternehme, die Wirtschaftserholung würde langsam verlaufen. Das alles sind Äußerungen, die nicht gerade geeignet sind, den Anlegern verloren gegangene Zuversicht zurückzugeben. Positive Meldungen wurden in den Hintergrund gedrängt: In Rom hat Mario Monti sein ausschließlich mit Experten besetztes Kabinett beisammen. In Athen sprach das Parlament der Übergangsregierung Papademos das Vertrauen aus. Schön und gut, aber „entscheidend is auf‘m Platz“ beziehungsweise in den Märkten. Und hier warten die Marktteilnehmer heute mit Anspannung auf die Auktionen in Frankreich und Spanien: Frankreich will verschiedene Anleihen mit einer Laufzeit von zwei bis fünf Jahren um 6-7 Mrd. Euro aufstocken. Und Spanien plant, 3-4 Mrd. Euro einer neuen 10jährigen Anleihe zu platzieren. Das Papier mit einem 5,85%-Kupon handelt im Vorfeld der Auktion zu Kursen um 94. Aber natürlich gehen unsere Blicke auch nach Frankfurt. Auf dem European Banking Congress sprechen unter anderem Mario Draghi, Jens Weidmann, Wolfgang Schäuble, John Lipsky, Didier Reynders, Charles Dallara, Thomas Mirow, Josef Ackermann und Martin Blessing. Ein Hinweis für alle von Außerhalb Anreisenden: Der Ausstieg befindet sich rechts…
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