Der Diplom-Volkswirt ist als freier Autor tätig und veröffentlichte unter anderem die Titel „Ethik des Kapitalismus“ und „Ethik der Banken“. Seit 2004 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie an der Freien Universität Amsterdam, außerdem Vorsitzender des Forums für Wirtschaftsethik und Wirtschaftskultur der Deutschen Gesellschaft für Philosophie.
Herr Prof. Dr. Koslowski ein Ende der Finanzkrise ist noch nicht absehbar, aber es wird natürlich viel über die Auslöser diskutiert. Worin sehen Sie die Hauptgründe für das beinahe Zusammenbrechen ganzer Finanzsysteme und Volkswirtschaften?
Für diese Krise gibt es eine Vielzahl von Gründen. Es muss eindeutig zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft getrennt werden. Realwirtschaftlich war durch die Ausdehnung des Konsumentenkredits und der Staatsverschuldung eine überhöhte Kreditnachfrage entstanden, die mit fantasiereichen Bankprodukten befriedigt wurden. Von der finanzwirtschaftlichen Seite her nenne ich zwei Auslöser auf der Seite der Banken.
Zum einen sind es die rücksichtslosen Finanzkonstrukte, die in Umlauf gebracht wurden. Da waren Instrumente, die selbst die Emittenten nicht mehr kontrollieren konnten. Ein solches Verhalten ist verantwortungslos. Der andere Grund ist ein historisches Phänomen. Wegen der Wiedervereinigung wurden in Deutschland und wegen des Irakkrieges in den USA die Kreditlinien für die Staatsverschuldung stark ausgeweitet. Die Kreditnachfrage der staatlichen und der Privathaushalte war sehr hoch. Die Banken haben gute Geschäfte gewittert und mit gewagten Maßnahmen die gesetzlichen Auflagen für die Mindestreserveanforderungen unterlaufen. Dadurch wurde die Haftungsgrundlage verwässert, und Lücken sind entstanden. Diese treten heute nach und nach ans Tageslicht.
Brauchen wir mehr staatliche Vorgaben und Kontrollen oder gibt es andere Mechanismen, die den Markt in Zukunft regulieren werden?
Es ist deprimierend, dass die öffentlichen Institute noch schlechter abschneiden als die Privatbanken. Gerade diese werden doch von Politikern in den Verwaltungsräten beaufsichtigt. Da die Banker aus dieser Krise wenig gelernt zu haben scheinen, muss man überlegen, welche anderen Mittel zur Verfügung stehen. Von mehr Vorgaben, Bestimmungen und Gesetzen halte ich nichts, diese werden doch wieder umgangen. Die Kontrollmechanismen bringen, wie man sieht, auch nichts. Ihre Ausweitung scheint ebenfalls sinnlos. Da wir ein Oligopol im Finanzsektor haben, bringt nur der Ausbau des Wettbewerbs unter den Banken etwas.
Die öffentlichen Banken müssen gestärkt werden. Diese dürfen sich nur auf Kernaufgabe der Kontrolle und Verwahrung des Geldes und des Kredits beschränken. Die Fusionen zu Großbanken treiben den Markt nur weiter in Richtung Angebotsoligopole. Diese nützen niemandem. Wir brauchen mehr Wettbewerb auf dem Bankensektor und klare Aufgaben.
Die Vorgabe aus dem Management nach höherer Eigenkapitalrendite steht im Raum, zum Beispiel Herr Ackermann fordert 25 Prozent, ist das realistisch?
Die Absicht, eine hohe Rendite zu erreichen, ist nicht immer schlecht, aber dauerhaft 25 Prozent zu erreichen ist eine Utopie. Die Vorstellungen von Herr Ackermann sind so nicht realisierbar. Der Wettbewerb drückt in einer funktionierenden Volkswirtschaft die Rendite nach unten. Wenn es also der Bankenbranche gelingt, dauerhaft Jahresrenditen von 20 Prozent zu erreichen, kann nur der fehlende Wettbewerb in der deutschen Bankenbranche schuld sein. Ein Unternehmen, das dieses Renditeziel erreicht, hat eine marktbeherrschende Stellung inne. Hier muss der Staat eingreifen, um einen funktionierenden Wettbewerb zu sichern.
Nicht nur Banken handeln mit spekulativen Wertpapieren, auch einzelne Wirtschaftsunternehmen, verdienen mit riskanten Optionen Geld. Wie schätzen Sie deren Einfluss auf die Finanzkrise ein?
Dieses Verhalten hat enorme Auswirkungen auf die Finanzkrise gehabt. Gerade die Firma Porsche, die einmal mehr Gewinn als Umsatz ausgewiesen hatte, ist hier zu nennen. Da hat das Management durch Finanztransaktionen mehr erwirtschaftet als durch die Verarbeitung von Blech zu Autos. Hier wurden die Grenzen des Möglichen ausgetestet. Es ist eine Verfehlung der Managementaufgabe, wenn Manager sich als Spekulanten aufführen. Man sieht ja, was passiert ist. Es konnte nur schief gehen.
Welche Auswirkungen hat die Finanzkrise auf die Beziehung und das Vertrauen zwischen Kunde und Bank?
Die Beziehung hat schon lange gelitten. Banken wollen schon seit Jahren die persönliche Kundenbeziehung durch das Onlinebanking ersetzen, ihnen papierlose Kontoauszüge einreden und Geld nur noch am Automaten abheben lassen. Eigentlich wollen die Kunden aber persönliche Beratung und einen festen Ansprechpartner. Das kostet und drückt auf die Rendite der Banken, daher die Verlagerung des Service auf Automaten. Warum wird etwas gemacht, was der andere Vertragspartner eigentlich nicht will? Die Servicereduktion geht klar gegen den Willen der Kunden. Hier geht Vertrauen, aber auch Schuldner-Monitoring verloren.
Haben die Banken aus dem Geschehenen gelernt oder hält sich die Branche nur kurz zurück, um morgen wieder die gleichen Produkte und Handlungsweisen ans Tageslicht zu bringen?
Um ehrlich zu sein, meiner Ansicht nach haben die Banken nicht viel gelernt! Die Renditeziele sind wieder hochgeschraubt, die Finanzinstrumente sind nur umbenannt worden und werden weiterhin verkauft. Es hat kein wirklicher Lernprozess stattgefunden. 25 Prozent Rendite sind ein absolutes Missverständnis der Aufgabe einer Bank. Die eigentliche Kernfunktion von Banken liegt darin, das Geld der Kunden zu sichern und gemeinsam mit dem Staat die Geld- und Kreditschöpfung zu kontrollieren. Sich selbst an den Finanzen des Staates, der Kunden und somit an dem Kapital der Öffentlichkeit übermäßig zu bereichern, kann nicht die Aufgabe der Banken sein. Ein Arzt kann auch nicht sagen „Ich behandele nur wenn ich 20 Prozent + x per annum erwirtschafte!“. Das Bankwesen ist eine Angelegenheit mit öffentlicher Funktion. Die Banken sollten vor allem Kontrolleur und Verwalter des Geldes und des Kredits sein. Zurück zur Kernaufgabe also.