- Kreisverkehr: Bürger, Anleger und Politiker im Dickicht der Ratschläge verschiedener Ökonomen
- Wegweiser: Ben Bernanke spricht vor dem Kongress zum Ausblick für die US Wirtschaft
Ein Volkswirt ist unzufrieden mit den Beschlüssen des letzten EU Gipfels. Er verfasst ein Schriftstück, in welchem er seinen Unmut über die möglicherweise auf Deutschland zukommenden Lasten zum Ausdruck bringt. Diesen Artikel lässt er kursieren und findet innerhalb kurzer Zeit rund 200 Gleichgesinnte, welche alle bereit sind, das Papier mit ihrem Namenszug zu vergolden. Es dauert nur Minuten, und eine unbestimmte Zahl anderer diplomierter, promovierter und habilitierter Volkswirte begehrt gegen jenes Schriftstück auf. Man kann sich nicht entsinnen, dass es in Deutschland jemals einen quantitativ und qualitativ so hoch besetzten Diskurs über ökonomische und finanzpolitische Folgen einer Politikentscheidung gegeben hätte. Günther Jauch, Frank Plasberg & Co. könnten derzeit mittelgroße Zweitligastadien anmieten, um alle ihre Studiogäste unterzubringen.
Am Wochenende ging es weiter: Ein Volkswirt echauffiert sich, dass aus den Universitäten „nichts Gehaltvolles zur Krise“ kommen würde. Ein weiterer verlangt nach einer „Auszeit“ bei der Euro-Rettung, was im selben Interview Widerspruch eines dritten Volkswirts provoziert. Der nächste Wirtschaftsprofessor fordert, schlechte Banken nicht zu rekapitalisieren, sondern zuzusperren. Weitere Vertreter ihrer Zunft erwarten, dass Italien unter den Rettungsschirm müsse, dass soziale Unruhen über unser Land kommen werden oder dass Deutschland die D-Mark wieder einführen solle.
Auf wessen Rat sollen die Politiker hören? Welcher Empfehlung soll das Volk Gehör schenken? Was uns fehlt, ist ein Popstar der Ökonomie, einer, der zwar vielleicht auch nicht die Eier legende Wollmilchsaulösung parat hat, der aber das Vertrauen der Politik, der Marktteilnehmer und des Volkes gleichermaßen erobert und uns alle durch die Fährnisse des 21. Jahrhunderts führt. Alan Greenspan war so einer, ein Ökonom mit Kultcharakter, der, hätte es damals schon Facebook gegeben, bestimmt mehr Follower gehabt hätte als Paris Hilton und Justin Biber zusammen. Greenspans Stern funkelt nicht mehr. Ein Nachfolger ist noch nicht gefunden.
Ben Bernanke, Greenspans Nachfolger als Präsident der amerikanischen Notenbank, hat (noch) keinen Kultcharakter erworben. Bernanke hält diese Woche das, was früher mal unter „Humphrey Hawkins Testimony“ firmierte: eine Rede zur Lage der Wirtschaftsnation vor dem Kongress in Washington. Vielleicht spricht ja auch Mario Draghi irgendwann diese Woche. Die EZB, so berichtet das Wall Street Journal, befürworte nämlich angeblich plötzlich das Bail-In, also die Beteiligung von Senior-Anleihenbesitzern bei der Abwicklung von Banken – eine Maßnahme, welche bislang von der Notenbank aufgrund unkalkulierbarer Nebenwirkungen vehement abgelehnt wurde.
Sprechen werden auch Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, wenn der Bundestag am Donnerstag seine Urlaubspause unterbricht und über das Stützungspaket für Spanien abstimmt. Und sprechen wird auch Olivier Blanchart, wenn der Internationale Währungsfonds heute seine aufgefrischten Wachstumsprognosen präsentieren wird. Blanchard ist Volkswirt. Er trägt einen PhD in Ökonomie des Massachusetts Institute of Technology. Mehr geht eigentlich nicht. Aber ein Popstar der Volkswirtschaftslehre ist der 63jährige Blanchard in den Augen und Ohren der Beobachter deshalb auch nicht…
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