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Die Filiale online einbetten

Strategy& hat in einer in dieser Woche veröffentlichten Studie „Retail Banking Monitor 2021“ die Herausforderungen des europäischen Bankensektors skizziert. Im Umbruch: die Filiale.


Dr. Lisa Schöler, Director bei Strategy& Deutschland

Mit Blick auf die Kapitalmärkte scheint es, als ob Covid-19 bereits verarbeitet wäre. Doch der Eindruck täuscht: Ohne staatliche Interventionen hätte sich die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Europa 2020 verdoppelt, so das National Bureau of Economic Research. Für 2021 prognostiziert das Institut deutlich höhere Insolvenzraten, besonders bei kleineren Unternehmen in stark betroffenen Branchen.

Strategy&, die globale Strategieberatung von PricewaterhouseCoopers / PwC, verweist in der aktuellen Studie „Retail Banking Monitor 2021“ auf die Eurokrise. Sie habe gezeigt, wie stark Wirtschaft und Banken verflochten sind. Bislang ist die Risikovorsorge für Kreditausfälle noch nicht betroffen, für 2021 erwartet die Unternehmensberatung jedoch Auswirkungen auf die Ergebnisse der Europäischen Banken. Damit einher gehen drastische Veränderungen – auch im Filialnetz.

Aktuelle Situation

Für 2020 hat Strategy& einen Umsatzrückgang von 4 Prozent ermittelt. Die Strategieberater führen dies auf weniger internationale Transaktionen und Kreditkartenzahlungen sowie weniger Konsumentenkredite zurück. Damit einher geht ein Einlagenplus von 9 Prozent und ein Minus bei den Betriebskosten von 2 Prozent. Hier wirken Kostensenkungsprogramme, die bereits vor der Krise begonnen wurden. Die Risikovorsorge wurde um 110 Prozent hochgeschraubt.

Retail-Banken planen aktuell massive Restrukturierungsprogramme, deren Ergebnisse PricewaterhouseCoopers in zwei bis drei Jahren erwartet. Die Transformation der Branche wird vor allem im Filialnetz sichtbar.

Konvergenz der Modelle

Unabhängig vom Filialnetz benötigen Banken digitale Angebote und Vertriebsmodelle. PwC nennt es die „Umkehrung des Trichters“: Statt in der Filiale auf Kunden zu warten, brauchen Banken eine neue Rolle für ihre Filialen. Damit einher geht ein neues Filialbetriebsmodell mit weniger Filialen. Kreditinstitute sollen ihre physischen Filialen in ein digital getriebenes Outbound-Vertriebsmodell einbetten. Somit können Sie Challenger-Banken die Stirn bieten und gleichzeitig die Konversion in den Filialen fördern.

„Im Bankmodell der Zukunft wird die Kundenansprache umgekehrt: Anstatt durch die besten Standorte möglichst viele Kunden in die Filialen zu locken, werden zukünftig durch gezieltes Online-Marketing Kundenkontakte gewonnen. Diese müssen dann mithilfe einer dezentralen Kundenansprache konsequent in Verkaufsabschlüsse umgewandelt werden – wie es bereits Baufinanzierungsvermittler erfolgreich tun“, kommentiert Andreas Pratz, Partner bei Strategy& und Autor der Studie.

Bis zu 40 Prozent der Geschäftsstellen in Europa stellt Strategy& bis 2023 infrage. Dazu passt die Nachricht der Sparkasse Aachen (Aachener Zeitung, WDR), die trotz guter Zahlen ihr Filialnetz um gut ein Drittel ausdünnen möchte. In den nächsten vier Jahren sollen 32 von 86 Geschäftsstellen schließen bzw. zu Selbstbedienungsstandorten werden – vor allem im ländlichen Umkreis, aber auch im Stadtgebiet. Grund sei das geänderte Kundenverhalten und die Kosten – Begründungen im Einklang mit der Studie.

Neue Rolle für die Segmentierung

Strategy& empfiehlt Banken, statt auf Flächendeckung zukünftig auf Gewinnkohorten der Zukunft zu setzen. Digitale Banken sollen auf Content Marketing und digitale Targeting-Techniken setzen. Berater interagieren dann digital und persönlich. Die Erfahrungen gehen sofort in die Bedarfsermittlung und die Kundenzufriedenheit ein. Leads klassifizieren automatisch verschiedene Follow-ups. Berater können wie bei Online-Hypotheken eine entscheidende Rolle bei der Aufnahme von Leads und der Konvertierung spielen.

In der Folge werden sich die Geschäftsmodelle von Filial- und Direktbanken immer ähnlicher. Dr. Lisa Schöler, Director bei Strategy& Deutschland, sie bei beiden Modellen Handlungsbedarf: „Traditionelle Banken sollten ihre Filialen als zentrale Anlaufstelle in ein digitalisiertes Vertriebsmodell einbetten, um nicht vom Wettbewerb der Direkt- und Neobanken abgehängt zu werden. Diese sind hingegen gefragt, ihr Angebot an profitablen und individualisierten Dienstleistungen weiter auszubauen, anstatt nur auf grenzenloses Kundenwachstum zu setzen.“

Produkt- und Preisexzellenz

Auch in der Produktpalette und Preispolitik sehen die Berater noch Spielraum nach oben. Dazu gehören das Ausspielen des gesamten Spektrums von Bündeln über Abo-Services bis hin zu fortschrittlichen Preistaktiken und regelmäßiger Überprüfung der Modelle.

Deutschland und die Schweiz zeigen laut PwC den größten Trägheitsgrad in der europäischen Bankenszene. Es bleibt spannend zu sehen, wie sich die hiesigen Banken in der Aufholjagd bewähren.

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