DÜSSELDORF/BONN, 15.5.2008. – Von Stefan Hirschmann – Die staatlichen Institutionen, die für die Stabilität des internationalen Finanzsystems die Hauptverantwortung tragen, haben in schwierigen Situationen große Entscheidungsstärke bewiesen – allen voran die amerikanische Notenbank bei der Rettung der Investmentbank Bear Stearns.
„Wäre Bear Stearns in die Insolvenz geschlittert, hätte niemand die Folgen für das internationale Finanzsystem einschätzen können“, so Jochen Sanio, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), auf der Jahrespressekonferenz der Behörde in Bonn.
Der Fall Bear Stearns habe eine neue Doktrin ins Leben gerufen: „too connected to fail“ – zu stark vernetzt, als dass man das Institut untergehen lassen könnte. „Die dadurch geweckte Erwartung, dass Schlüsselspieler im internationalen Finanzgeschehen aufgefangen werden, hat beruhigend gewirkt“, erklärte Sanio. Der BaFin-Präsident warnte indes vor dem Moral-Hazard-Problem, das sich aus staatlichem Eingreifen ergebe. Jetzt sei es höchste Zeit, von Notfallmedizin auf Prävention umzuschalten. Antworten auf die großen Fragen, die sich angesichts der Subprime-Katastrophe stellten, gebe der Report des Financial Stability Forums über Maßnahmen zur Stärkung der Stabilität der Märkte und Finanzinstitutionen („Report of the Financial Stability Forum on Enhancing Market and Institutional Resilience“ ). Der Report definiert die Etappen für die kommende regulatorische „tour de force“, die dem enormen Handlungsdruck geschuldet ist, den die Subprime-Krise ausgelöst hat. Die systematische Deregulierung der vergangenen Jahre habe sich als gefährlicher Irrweg erwiesen, sagte Sanio.
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Kenngröße systemische Risiken
„Too big to fall“, zu groß, um zu fallen, ist angesichts der Finanzkrise ein gern verwendetes Prädikat für die Bankenriesen. Aber wie groß muss eine Bank sein, um den allgemeinen Risiken des Kreditwesens und des Kapitalmarkts die Stirn bieten zu können? Angesichts der jüngeren Schieflagen und Schließungen von kleinen Kreditinstituten wie DüsselHyp, Falkebank oder Weserbank sind Branchenexperten dazu geneigt, eine Mindestgröße anzusetzen, die der Bank eine Relevanz im Interbankenmarkt verschafft, so dass eine Schließung des Instituts systemische Risiken nach sich ziehen könnte. Größe allein kann nicht die relevante Kennzahl sein, meint dagegen Stefan Pelger von der Compagnie de Banque Privee (CBP) in Luxemburg.
„Leistung hat vor allem dann einen Wert, wenn sie in einem gesunden Verhältnis zu den eingegangenen Risiken steht“, so Pelger, dessen Bank erst seit rund 12 Monaten operativ am Markt tätig ist. Die CBP steht weitgehend im Besitz der Firmengründer, industrieller Anteilseigner sowie der Banque et Caisse d‘Epargne de l‘Etat de Luxembourg und bietet keine hauseigenen Produkte an, sondern öffnet ihren Kunden als Vermögensverwalter einen Zugang zu allen auf dem Markt verfügbaren Anlageprodukten. Dadurch entfällt zwar auf der einen Seite das klassische Emittentenrisiko, auf der anderen Seite konzentrieren sich die Risiken auf die Kapitalanlage. „Deshalb muss das Risikomanagement in allen Ebenen des Investitionsprozesses integriert werden“, so Pelger im Rahmen des Düsseldorfer Finanz Forums. Dabei würden modernste Instrumente eingesetzt, um so das Gesamtrisiko der Kundenportfolios zu senken. Dabei lasse sich das Konzept nicht auf irgendeine mathematische Formel reduzieren, sondern auf das schlichte und dennoch umso konkretere Risiko finanzieller Verluste.
Fall Bear Stearns ruft eine neue Doktrin ins Leben
Hat die Formel „Too big to fall“ somit ihre Gültigkeit verloren? Der Fall Bear Stearns hat eine neue Doktrin ins Leben gerufen: „Too connected to fail“ – zu stark vernetzt, als dass man das Institut untergehen lassen könnte. Die dadurch geweckte Erwartung, dass Schlüsselspieler im internationalen Finanzgeschehen aufgefangen werden, hat beruhigend gewirkt. Die Marktteilnehmer zweifeln nun nicht mehr daran, dass kurzfristig auch Rettungsaktionen der allergrößten Dimension ökonomisch machbar sind. „Auf das von Zynikern geprägte Motto ‚too big to be saved‘ können wir auch gut verzichten“, sagt BaFin-Präsident Sanio. Mit der Feststellung, dass Banken einer bestimmten Größenordnung und Marktstellung offenbar gerettet werden müssen, könne es natürlich nicht sein Bewenden haben. „Damit einher geht nämlich ein Moral-Hazard-Problem, das alles in den Schatten stellt, was wir bisher an gefährlicher Fehlsteuerung menschlichen Verhaltens gekannt haben. Banker, die meinen, sie genössen im Falle eines Falles unbegrenzten Versicherungsschutz, sind permanent der Versuchung ausgesetzt, übersteigerte Risiken einzugehen“, weiß Sanio. Dagegen müssten die Aufseher konsequent angehen, was allerdings „am Rande des Abgrunds“ nur schwer möglich sei. Dort sei „heilen eindeutig besser als vorbeugen“.
Doch jetzt ist es nach Ansicht des obersten Bankenaufsehers höchste Zeit, von Notfallmedizin auf Prävention umzuschalten. „Wir müssen schleunigst die aufsichtlichen Lehren aus den Erfahrungen der Subprime-Krise ziehen und die Schwachstellen beseitigen, die die Stabilität des internationalen Finanzsystems gefährdet haben“, fordert Sanio. Angesichts des Ausmaßes der Krise sei nur zu verständlich, dass die G 7-Finanzminister dazu von den internationalen Aufsehergremien grundlegende Analysen und weitreichende Vorschläge forderten.