Seit einigen Wochen hat sie wieder begonnen: Die Spargelsaison, sozusagen die fünfte Jahreszeit der Hollandaise-Fetischisten. Ich erinnere mich noch gut an vergangenes Jahr. Da sah ich draußen auf dem freien Feld ein studentenbudengroßes frei stehendes Ein-Zimmer-Appartment in Erdbeerform – und oben drüber stand in metergroßen Lettern: „Spargel“. Untrügliches Zeichen für den Spargelhype: Vor unserer Kantine wird ein Spargelverkaufsstand mit spargeldünnen Spargelverkäuferinnen eröffnet. Also ich kann die ganze Aufregung respektive Begeisterung um diese weißgelbe Erdstange nicht verstehen. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass mir Spargel nicht sonderlich gut schmeckt. Aber so eine Aussage ist ja nicht salonfähig, das ist ja, als wenn man zugeben würde, man wäre FDP-Wähler: Damit stellt man sich an den Rand der Gesellschaft.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass unser Finanzminister Wolfgang Schäuble ebenfalls kein Spargelfreund ist. Dennoch begegnet er mir dieser Tage hier am Rand der Gesellschaft, allerdings aus einem vollkommen anderen Grund: Herr Schäuble wird nicht müde, für Griechenland eine Schuldenrestrukturierung anzumahnen. Nicht, dass er eine solche explizit einfordern würde, aber fast jeden Tag liest man von ihm in irgendeiner Zeitung, dass unter irgendwelchen Bedingungen eine Umstrukturierung der griechischen Schuldenlast in erforderlich sein könnte. Es ist nicht die Meinung an und für sich, mit welcher Schäuble überrascht, da befindet sich der Minister unter Analysten und wahrscheinlich auch den meisten Politikern in bester Gesellschaft. Was stört ist, dass Schäuble sich nicht an den europäischen Politikkodex hält, wonach in offiziellen Verlautbarungen ein Schuldenschnitt, welcher Art auch immer, für Griechenland „nicht erforderlich“ sei und eine solche „Option“ nicht einmal im Ansatz diskutiert würde. Mit dem Antrag Portugals auf Unterstützung haben wir in der Eurozone endlich so etwas wie ein „stabiles Ungleichgewicht“ hergestellt: Drei Länder befinden sich unter der Knute der EU Kommission und des IWF, und bezüglich der anderen Staaten herrscht Ruhe im Karton. Mit einer solchen Konstellation können vermutlich alle Marktteilnehmer erstmal gut leben. Jetzt gilt es, mit großem Einsatz die nationalen „Hausaufgaben“ zu machen. Und wenn wir dann in zwei, drei Jahren feststellen, dass ein Schuldenschnitt für Griechenland unumgänglich erscheint, dann können wir das machen – aber erst, wenn wir sicher sein können, dass ein solcher Schritt nicht zu unkontrollierbaren Dominoeffekten in der Eurozone führt. Also: Lieber Herr Schäuble, bitte bitte hören Sie auf mit dem Gerede um eine griechische Schuldenrestrukturierung. Im Gegenzug verspreche ich Ihnen auch ein Kilo Spargel, jeden Sonntag frisch auf den Tisch. Heute übrigens wird Griechenland neue Sparmaßnahmen und die ersten Schritte im Rahmen des von ihm zugesagten 50-Mrd.-Euro-Privatisierungsprogramms bekannt geben.
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Was Griechenland helfen würde, wäre eine Prise Singapur: Dort wuchs die Wirtschaft im ersten Quartal um 23,5%, in der Jahresrate waren das immerhin noch 8,5%. China überbot diesen Wert und lieferte vergangene Nacht ein 9,7%. Im Reich der Mitte wuchs zuletzt alles schneller als erwartet: BIP, Währungsreserven, Kredite – und Inflation. Mit einer Rate von 5,4% wurde ein neues zyklisches Hoch erreicht. Anleger fürchten neue Straffungsmaßnahmen, weshalb nahezu sämtliche asiatischen Aktienindizes heute im roten Bereich liegen. Weitere Inflationszahlen gibt es heute für die Eurozone (CPI, 2.6%, vielleicht sogar 2,7%) und die USA (CPI, 2.6%, vielleicht sogar 2,7%…). Anschließend geht‘s für alle Spargelfans nach Washington zur Frühjahrstagung des Internationalen Weltspargel-Ferbands (IWF). Und am Sonntag interessieren wir uns alle – vermutlich das erste Mal in unserem Leben – für den Ausgang der Parlamentswahlen in Finnland. Bei ungünstigem Wahlausgang könnte es nämlich sein, dass Schäuble für seine Restrukturierungsdebatte einen unterstützenden Diskussionspartner an die Seite bekommt…
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