Die kurze Episode des Überangebots an qualifizierten Talenten in der Finanzbranche ist schnell vorübergegangen. Seit Anfang 2007 markieren zahlreiche Suchanzeigen in den Printmedien und auf den schnell wachsenden elektronischen Marktplätzen die Rückkehr in den Nachfragemarkt. Auch Headhunter berichten wieder über volle Auftragsbücher.
Das Ende der Restrukturierung und des Downsizing der Finanzbranche ist in einigen Spezialmärkten schon längst erreicht. So ist es im Leveraged Finance Markt oder auch im Vertrieb an sehr vermögende Privatkunden kaum noch möglich, den Bedarf an Talenten und an gesuchten Erfahrungen zu decken.
Auf den ersten Blick sind es die zahlreichen Anbieter von Karrieren, die den Druck auf den Arbeitsmarkt steigern. Der zweite Blick offenbart jedoch ein Phänomen, das bislang noch nicht in seinen Ausmaßen als Treiber für die Suche nach Talenten im heimischen Umfeld wahrgenommen wurde. Im Gleichschritt mit den strukturellen Veränderungen, die die Globalisierung mit sich bringt, wächst bei uns der Hunger nach Talenten. Der Markt von Morgen ist schon heute Realität.
Die Nachfrage wird insbesondere durch die Entwicklung und Bedeutung der „Immateriellen Bilanzaktiva“ angefeuert. Nach Analysen amerikanischer Bilanz-Wissenschaftler lässt sich etwa die Hälfte der aktuellen Marktkapitalisierung aller US Aktiengesellschaften auf die Bewertung immaterieller – dafür aber sehr talentintensiver – Aktiva zurückführen. Das reicht von der Bewertung von Wissen, Patenten und Marken bis hin zur Bewertung der besonderen Kompetenz gut ausgebildeter Arbeitnehmer. Der Anteil dieser immateriellen Werte lag in den Bilanzen der Top 500 US Unternehmen noch in den 80er Jahren nur bei rund 20 Prozent.
Eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung McKinsey weist nach, dass in den vergangenen acht Jahren etwa 70 Prozent aller neu geschaffenen Arbeitsplätze in den USA als Brainpower-Jobs bezeichnet werden können. Die Zahl dieser Jobs wächst etwa dreimal so schnell wie der gesamte Arbeitsmarkt und etwa zweieinhalb mal so schnell wie die Kategorie der transaktionalen Jobs mit geringeren Anforderungen an die Talente.
Ein weiterer Treiber liegt in der demographischen Entwicklung: 2007 stehen etwa 50 Prozent weniger 35jährige im Wettbewerb um attraktive Positionen als noch vor fünf Jahren. Der legendäre Pillenknick erreicht die Führungsetagen. Doch nicht nur das. Gleichzeitig bereiten sich die geburtenstarken Jahrgänge auf ihre Verabschiedung in das wohlverdiente Leben nach der Erwerbstätigkeit vor. Die Unternehmen werden in kurzer Zeit sehr viele erfahrene und sehr gut ausgebildete Mitarbeiter und Führungskräfte verlieren.
Auch zeigt sich: Es hat Spuren in den Köpfen der Mitarbeiter hinterlassen, als Banken in den Krisenjahren die traditionelle gegenseitige Loyalität in der Branche gekündigt haben. Im zunehmenden Wettbewerb um die richtigen Talente ist seit einigen Monaten deutlich festzustellen, dass nun auch die bisher gewohnte Loyalität gegenüber den Arbeitgebern – Einsatz und Nibelungentreue gegen (nicht mehr vorhandene) Jobsicherheit – drastisch abnimmt. Die Zahl derjenigen, die sich „mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ oder mit „einiger Sicherheit“ bemühen werden, 2007 eine neue Herausforderung zu suchen, ist nach Wahrnehmung vieler Marktteilnehmer außerordentlich hoch.
Gleichermaßen ist die Zahl der Bewerber sprunghaft gestiegen, die mit einem attraktiven schriftlichen Angebot eines neuen Arbeitgebers in der Hand doch noch dankend ablehnen, um das noch bessere Angebot eines Dritten anzunehmen.
Die raue Wirklichkeit der raschen Marktveränderung kommt in den Köpfen der einsamen Entscheider nur sehr langsam an. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Talent und Führungsnachwuchs wird zum entscheidenden Produktivitätsfaktor. Restrukturierung und Automation sind ausgereizt, das Managen der Talente wird zum Megatrend.
Dieser Artikel wurde uns freundlicher Weise von der BankLounge zur Verfügung gestellt. Dort erfahren Sie auch mehr über den Autoren: Norbert Abraham