„Halunken, Gauner, Betrüger“, brüllte die Menge, die sich vor dem Portal des Kölner Bankenhauses I. D. Herstatt versammelt hatte. Die Kunden wollten ihr Geld abheben, aber an der Glastür hing ein Schild „Geschlossen“. Der zweitgrößten Privatbank der Bundesrepublik Deutschland war 1974 wegen ruinöser Devisengeschäfte die Geschäftserlaubnis entzogen worden. Auf 480 Millionen Mark wurden die Verluste geschätzt. Der grandiose Aufstieg, den I. D. Herstatt nach dem Wegfall fester Wechselkurse dank hochriskanter Devisengeschäfte erlebte, endete mit der damals größten Bankenpleite der deutschen Geschichte. „Iwan der Große“, wie der verstorbene Bankengründer und Bonvivant Iwan David Herstatt nicht nur wegen seiner Körperlänge von fast zwei Metern im Volksmund genannt wurde, war angeblich selbst von der Pleite überrascht – ebenso wie sein Jugendfreund, der Versicherungsmagnat Hans Gerling, der Hauptaktionär des Bankenhauses und Aufsichtsratsvorsitzender. Die mächtigen Herren sahen sich als Opfer des Chefdevisenhändlers: eines jungen Mannes mit dem fantastischen Namen Dany Dattel. Dabei hatte Bankchef Herstatt Dattel zunächst als „Goldjunge“ gepriesen. Händler anderer Banken dagegen argwöhnten, bei Herstatt werde „ein zu großes Rad“ gedreht. Der Spruch hat die Herstatt-Pleite überdauert. Als Konsequenz des Debakels wurden die Bankenaufsicht verschärft und der Einlagensicherungsfonds zum Schutz von Sparern gegründet. Die strafrechtliche Aufarbeitung war dagegen ein Fiasko. Gerling wurde gar nicht erst angeklagt. Der Prozess gegen Herstatt endete nach mehr als einem Jahrzehnt mit einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren.
Das Verfahren gegen Dany Dattel wurde aus gesundheitlichen Gründen eingestellt. Wegen eines „frühkindlichen Verfolgungsschicksals im KZ Auschwitz“ attestieren ihm Ärzte dauernde Verhandlungsunfähigkeit. Werden wir Ähnliches erleben, wenn es in der aktuellen Finanzkrise um die strafrechtliche Aufarbeitung des Beinahekollapses von Banken wegen hochriskanter Wertpapierspekulationen geht? Werden Prozesse abermals zur Posse? Werden Banker sich wieder erfolgreich als ahnungslose Opfer stilisieren? Wird es am Ende so sein, dass Hauptakteure nicht zur Rechenschaft gezogen werden können, weil sie mittlerweile zu krank oder zu labil sind? Ein kurzer Hinweis auf den Fall Herstatt findet sich in der Strafanzeige, die der Hamburger Rechtsanwalt Gerhard Strate im vergangenen Frühjahr gegen Verantwortliche der HSH Nordbank wie den Vorstandsvorsitzenden Dirk Jens Nonnenmacher wegen des Verdachts der Untreue in einem besonders schweren Fall erstattete. Mittlerweile bietet der Fall der norddeutschen Landesbank genügend Stoff für einen Wirtschaftsthriller. Es geht um bankinterne Machtkämpfe und Intrigen, Abhöraktionen und andere illegale Vorgänge. Selbst ein fingierter Kinderpornoskandal soll Managern der HSH Nordbank angeblich nicht zu schmutzig gewesen sein, um einen unliebsamen Kollegen los zu werden. Die Untersuchungen dieser Machenschaften haben zwar unmittelbar nichts mit den staatsanwaltlichen Ermittlungen wegen der Milliardenverluste der HSH Nordbank durch riskante Derivategeschäfte zu tun. Aber „atmosphärischen Einfluss“ auf das Verfahren, sagt Anzeigenerstatter Strate, habe es schon, wenn der Eindruck entstehe, die HSH Nordbank sei ein Augiasstall. Der Rechtsanwalt bezichtigt die Manager, die Landesbanken durch Wertpapierspekulationen an den Rand des Ruins brachten, sie hätten „nach dem Motto ,too big to fail‘ agiert“. Aber wo verlaufen die Grenzen zwischen riskantem, unmoralischem, unverantwortlichem und kriminellem Verhalten? Strate selbst bekommt von Kollegen zu hören, er habe die Seiten gewechselt und setze sich nun als Gutmensch in Szene. Denn der Hamburger Anwalt beriet auch schon Unternehmer, Millionenerben und Manager. Ein typischer Verteidiger für die „White-Collar- Crime“-Klientel ist er jedoch nie gewesen.
Zu Strates Mandanten gehörten auch Terrorverdächtige, Mafiosi und die verurteilte Kindsmörderin Monika Böttcher. Nun sieht er sich mit seinem juristischen Feldzug gegen Vertreter des Kapitals auf der „rechtsstaatlich richtigen Seite“. Der Rechtsstaat lebe davon, dass „persönliche Verantwortlichkeiten bezeichnet werden“. Seine Strafanzeige richtet sich auch gegen mehrere Aufsichtsratsmitglieder der HSH Nordbank. Anklagen gegen sie hält Strate jedoch für unwahrscheinlich. Schließlich sitzt in den Aufsichtsräten viel regionale Prominenz mit eher geringem Wissen über Kapitalmärkte. „Denen wird man wahrscheinlich zugutehalten, dass sie keine Fachleute sind.“ Nicht nur in Hamburg sind ehemalige und amtierende Bankvorstände ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten. Zu den wichtigsten Fällen bei der strafrechtlichen Aufarbeitung der Bankenkrise gehören Verfahren in München, Stuttgart, Düsseldorf und Leipzig.
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Text by Katja Gelinsky – www.cicero.de