Marktkommentar von Thorsten Kramer von der Börsen-Zeitung.
Es gibt dieser Tage immer noch Optimisten, die glauben, dass die Folgen des Streits um die Schuldenobergrenze in den Vereinigten Staaten glimpflich bleiben werden. In der Mehrheit sind diese Marktteilnehmer aber nicht. Spätestens nach dem Brandbrief der amerikanischen Finanzelite an Präsident Barack Obama und den Kongress sowie der ungewöhnlich scharfen Kritik Chinas, Amerikas größten Gläubigers, sollte nun auch dem Letzten klar geworden sein, dass es in den USA fünf vor zwölf ist, und zwar unabhängig davon, ob sich Republikaner und Demokraten zusammenraufen oder nicht. Die Staatsschulden der weltgrößten Volkswirtschaft summieren sich schon bald auf unvorstellbare 15 Bill. Dollar, und die Winkelzüge und politischen Spielereien in Washington haben angesichts dieser Entwicklung enorm viel Vertrauen gekostet. Dies bleibt allerdings nicht auf Amerika begrenzt: Weltweit ist deshalb an den Finanzmärkten die Rede von einer enormen Verunsicherung.
Inzwischen gilt es vielen als sehr wahrscheinlich, dass die USA zumindest bei einer der drei großen Ratingagenturen die Top-Bonitätsnote "AAA" verlieren werden – mit dem Risiko, dass es zu einer regelrechten Verkaufswelle am US-Anleihemarkt kommen kann. Ob es dazu kommen wird, steht dahin. Allein die enorm kontroverse Debatte darüber, die sich in den vielen unterschiedlichen Meinungen von großen Investmentgesellschaften wie Fidelity Investments und Janus Capital International vor dem Wochenende spiegelte, spricht in jedem Fall aber für eines: Die Unsicherheit an den globalen Finanzmärkten wird in den kommenden Wochen zunehmen, und dies rückt in erster Linie verstärkt die Finanzmärkte der aufstrebenden Länder in den Fokus, die sich gerade erst etwas von den starken Mittelabflüssen im Frühjahr erholt hatten, vor allem in Fernost. Eine insgesamt nachlassende Risikobereitschaft wirkt eben vor allem dort, wo die Sicherheit (noch) nicht so ausgeprägt ist wie in (einigen) etablierten Märkten.
Es dürfte allerdings ein Fehler sein, sollten Investoren sich komplett aus Schwellenländern zurückziehen. Sie verschenkten damit gerade dort die Chance auf eine langfristig attraktive Rendite – und die Chancen dürften sich verbessern, sollten die Kurse dort auf kurze Sicht wegen der Entwicklung in den USA unter Verkaufsdruck geraten.
Abseits der großen Namen, die sich mit dem Marketing-Kürzel BRIC zusammenfassen lassen, halten Ökonomen zurzeit beispielsweise ein Engagement in Südkorea oder in Indonesien für interessant. Dort sollte die Wirtschaft trotz einer global nachlassenden Dynamik auch in den kommenden Jahren kräftig weiterwachsen, ebenso wie die Firmengewinne. Indonesien besticht zudem durch eine sehr niedrige Verschuldung in Höhe von etwa 25% des in den zurückliegenden Jahren enorm gewachsenen Bruttoinlandsprodukts. Steigende Löhne und der dadurch wachsende Konsum signalisieren, dass das Land zumindest für die zweite Jahreshälfte über gute Perspektiven verfügt, zumal die dortige Notenbank die Inflation recht gut in den Griff bekommen hat. Mit Verweis auf die stark wachsende Bevölkerung und die damit verbundenen Chancen für den privaten Konsum gehen Volkswirte zudem längst davon aus, dass die überdurchschnittlichen Renditeaussichten in Indonesien und anderen Ländern indes nicht nur für das zweite Halbjahr gelten, sondern sehr langfristig darüber hinaus. Vor negativen Überraschungen auch in den Schwellenländern sind Anleger natürlich nicht gefeit, wie in der abgelaufenen Woche die unerwartet starke Anhebung der Leitzinsen in Indien gezeigt hat.
Neben dem US-Schuldenstreit trägt zur globalen Verunsicherung nun wieder zunehmend die Sorge über die Verfassung der US-Wirtschaft bei. Der Konjunkturbericht der Federal Reserve lieferte bereits den Beleg, dass sich zuletzt in acht Notenbankdistrikten die wirtschaftliche Aktivität abgekühlt hat, und damit in doppelt so vielen wie einen Monat zuvor.
Am Freitag schüttelte dann das US-Handelsministerium die Märkte mit der Mitteilung durch, dass die Wirtschaft im zweiten Quartal lediglich um 1,3% gewachsen sei und damit deutlich die Prognose von 1,8% verfehlte. Zudem korrigierte die Behörde die Wachstumszahl für das erste Quartal von 1,9% auf nur noch 0,4% und für das Schlussquartal 2010 von 3,1% auf 2,3% nach unten. Erste Kommentare von Bankanalysten zu diesen Statistiken fielen ernüchternd aus. Insbesondere vor dem Hintergrund des Schuldenstreits in den Vereinigten Staaten dürften die Sorgen um den Zustand der US-Wirtschaft nun zunehmen – mit entsprechenden Implikationen für risikoreichere Anlageklassen.
Info von Börsen-Zeitung – www.boersen-zeitung.com
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