Bei aller Schönheit Venedigs muss man doch einräumen, dass – wie kann man es möglichst neutral ausdrücken – sich der lokale Einzelhandel primär an den Bedürfnissen der Touristen orientiert. Vor einem Geschäft mit immerhin künstlerisch ansprechenden Holzskulpturen konnte ich dem Gespräch eines amerikanischen Rentnerpaares lauschen. Sie: „It’s nice, darling, isn’t it?“ Er: „Well, but it’s useless, honey, isn’t it?” Dieser Herr dürfte einen einigermaßen frustrierenden Uraubsaufenthalt in Venedig durchleben. Je nach Interpretation der Produkte und Auslegung des Begriffs, dürften nämlich gefühlt 99% der Schaufensterauslagen dem useless-Kriterium zuzuordnen sein. Sie: „I like it anyway…“
Sie: „It’s cheap, darling, isn’t it?“ Er: „Well, but it’s risky, honey, isn’t it?“ Sie: “I like it anyway…” Dies wiederum war ein gestern zufällig aufgezeichneter Dialog zwischen zwei Rentenhändlern. Objekt der Auseinandersetzung war erneut ein Produkt Made in Italy, hier jedoch ein vom Staat begebener Schuldschein. Italienische Staatspapiere kamen in den vergangenen Tagen erheblich unter Druck. Dazu beigetragen haben dürften eine ganze Reihe von Faktoren: die generelle Marktunsicherheit im Zuge der Ereignisse in Griechenland; die Vertrauenskrise um Italiens Regierungschef Berlusconi; aber auch marktspezifische Faktoren wie die Neubewertung von CDS, die Marktbewertung von Staatsanleihen im jüngsten EBA Stresstest oder die Furcht vor Marginerhöhungen.
Kreditausfallversicherungen, oder Credit Default Swaps (CDS), auf Staatsanleihen sollten eigentlich ein Absicherungsinstrument gegen Kredit- und Kursrisiken für Besitzer eben jener Staatsanleihen sein. Im Zuge des Rettungspakets II für Griechenland ist jedoch davon auszugehen, dass der freiwillige Forderungsverzicht der Privatinvestoren im Umfang von 50 Prozent nicht als versicherungsauslösendes Ereignis gewertet wird. Viele Anleger sehen nun die Versicherungseigenschaften von CDS deutlich kritischer. Sie entscheiden sich gegen den Erwerb von CDS Kontrakten und stattdessen für den Verkauf der Staatsanleihen. Folge: Druck auf die Kurse, steigende Renditen.
Im jüngsten Blitz-Stresstest der europäischen Bankenaufsicht (EBA) wurden die Bestände an Staatsanleihen in den Bankbüchern zu Marktkursen bewertet. Für die Institute wird der Besitz von Staatspapieren damit teurer, da hierfür mehr Eigenkapital vorgehalten werden muss. Bei gleichzeitig verschärften Anforderungen an die Kernkapitalquote steigt der Anreiz, die Staatsanleihebestände abzustoßen. Folge: Druck auf die Kurse, steigende Renditen.
Im Handel mit Derivaten über LCH Clearnet sind Sicherheitsleistungen (Margins) zu erbringen. Dies erfolgt üblicherweise in Form von Staatsanleihen. In der Vergangenenheit hat LCH die Margins für hinterlegte Staatsanleihen dann erhöht, wenn die Rendite der entsprechenden 10J-Anleihe des referenzierten Staates um mehr als 450 Basispunkte über der Rendite eines Benchmark AAA-Korbes lag. Im Falle Italiens stieg der entsprechende Renditeaufschlag gestern auf rund 425 Bp. Mithin nimmt die Furcht vor baldigen Marginanhebungen zu. Folge: Druck auf die Kurse, steigende Renditen.
Der Druck auf die EWU Bondmärkte ist also nicht nur Folge der Marktstimmung, sondern auch Resultat marktspezifischer Entwicklungen. Bestes Gegenmittel: glaubwürdigende Regierungen und überzeugende Haushaltskonzepte. Hieran wird gearbeitet: In Griechenland dürfte heute der Leiter der Übergangsregierung ernannt werden. In Italien wird sich am Nachmittag bei einer Abstimmung über den (inhaltlich vergleichsweise unbedeutenden) Rechenschaftsbericht für den Haushalt 2010 zeigen, ob die Regierung Berlusconi noch ausreichend Rückendeckung im Parlament genießt. Und Frankreich hat ein Sparprogramm vorgestellt, welches den Haushalt bis 2016 um mehr als 60 Mrd. Euro entlasten soll. Tendenziös positive Tendenzen also, nicht wahr, Honey? Eine dauerhafte Entspannung an den Märkten dürfte innerhalb der kommenden Tage dennoch schwer zu erzielen sein – if you like it, or not.
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