Sparschweine – Rettungsschwimmer – Stimmungskanone

Guten Morgen, heute ist Dienstag, der 8. Juni 2010 ! Sparschweine: Deutschland bringt ein kurioses 80-Mrd.-Euro-Sparpaket auf den Weg Rettungsschwimmer: 440-Mrd.-Euro-Rettungsschirm für strauchelnde Mitgliesdstaaten gegründet Stimmungskanone: Bernanke hebt mit harmlosen Kommentaren die Marktstimmung Probstzella 2.0 fing vielversprechend an. Die Reise in meine eigene Vergangenheit erfolgte anstatt wie geplant mit einem hypermodernen InterCityExpress mit einem klapprigen,…


Guten Morgen, heute ist Dienstag, der 8. Juni 2010 !

  • Sparschweine: Deutschland bringt ein kurioses 80-Mrd.-Euro-Sparpaket auf den Weg
  • Rettungsschwimmer: 440-Mrd.-Euro-Rettungsschirm für strauchelnde Mitgliesdstaaten gegründet
  • Stimmungskanone: Bernanke hebt mit harmlosen Kommentaren die Marktstimmung

Probstzella 2.0 fing vielversprechend an. Die Reise in meine eigene Vergangenheit erfolgte anstatt wie geplant mit einem hypermodernen InterCityExpress mit einem klapprigen, modrig-miefigen InterCity, geschätztes Baujahr 1968. Aufgrund der zu erwartenden fünfeinhalb Stunden Fahrtzeit buchte ich zum ersten (!) Mal 1. Klasse. Dabei verzichtete ich auf circa eine Milliarde Bonuspunkte auf meier 2.-Klasse-Bahncard. Im Ersatzzug erfuhr ich dann: ausnahmsweise hätte ein 2.-Klasse-Ticket für den Besuch der 1. Klasse gereicht. Tolle Wurst. Im Großraumabteil wurde ich dann zum wiederholten Male für einen Schaffner gehalten, was zeigt, dass man mir in der Öffentlichkeit auch nach mehr als zehn Jahren Bankertum noch so etwas wie Vertrauen entgegen bringt. Kurz nach 15 Uhr dann der Showdown: Gemähchlichen Tempos, offensichtlich unter großen Schmerzen, quälte sich der Zug durch das thüringische Schiefergebirge. Würden wir Probstzella erfolgreich passieren oder wie seinerzeit im Stau steckenbleiben? Ich muss Sie enttäuschen: wir fuhren einfach vorbei. Haltlos, fast würdelos. Ein kurzer Gruß aus dem Fenster, dann setzte ich meine Fahrkartenkontrollen fort…
Mit vergleichbarer Geschmeidigkeit brachten gestern Deutschland und die Europäische Union zwei ihrer heroischsten Projekte aller Zeiten auf den Weg: Deutschland spart in den nächsten vier Jahren 80 Mrd. Euro, um damit seinen Beitrag für den Rettungsschirm der Europäischen Währungsunion zu finanzieren. Nach eingehenden Konsultationen mit zahlreichen Paradiesvögeln der Londoner City beschloss die EWU, im Finanzzentrum Luxemburg ein Special Purps Vehicle zu gründen, welches finanziell gestrandeten Mitgliedsstaaten mit bis zu 440 Mrd. Euro unter die Arme greifen soll. Das Projekt soll auf drei Jahre befristet sein – aber ich fresse meine gestern getragenen Socken, sollte dieses Vehicle zum Anpfiff der nächsten WM in Brasilien nicht mehr existieren. Von diesem SPV emittierte Anleihen tragen eine von den Mitgliedsstaaten entsprechend ihrer EZB-Anteile gewichtete Garantie. Jeweils 120 Prozent Überdeckung sollen ein AAA-Rating garantieren. Letztendlich hoffen sie in Brüssel und ganz besonders in Berlin und Paris jedoch weiterhin, dass es niemals überhaupt zu einer Bondplatzierung durch das SPV wird kommen müssen.
Und sollte es doch soweit kommen, dann ist Deutschland gerüstet: Die Pullunderträger der Währungsunion verabschiedeten per Handstreich ein 80 Mrd. Euro schweres Sparprogramm für die kommenden vier Jahre. Also ich weiß nicht wie Sie es empfunden haben, aber ich habe das Gefühl, dass das ziemlich einfach ging: Ein wenig Einsparen bei den Schwächsten, ein wenig Banker- und Atomlobby-Bashing, und schon spuckt der Goldesel seine Dukaten. Ich führe ein stinknormales bürgerliches Leben, wie vielleicht 80 Prozent von Ihnen auch. Nach meinen bisherigen Informationen muss ich keinen einzigen Euro direkt zu dieser Haushatskonsolidierung beitragen. Das finde ich erfreulich, ungerecht und unglaubwürdig zugleich. Also warte ich auf das böse Erwachen. Vielleicht ja gleich heute, sollte ich bei Probstzella mit einer kurtaxeähnlichen Schieferabgabe belangt werden…
Das böse Erwachen haben die Finanzmärkte längst hinter sich. Heute früh gibt es sogar mal ein freudiges Erwachen. Ben Bernanke hat des Nachts in einem Interview die Erholung der US-Wirtschaft als "moderately-paced" bezeichnet. Ein InterCity, der sich durch’s Schiefergebirge schlängelt, fährt auch moderately-paced. Sei’s drum, die Anleger erfreut es, nach Wochen des Stillhaltens mal wieder so etwas wie eine Standortbestimmung vom obersten Währungshüter der USA bekommen zu haben. Aktien, Euro und Renditen erholen sich. Aber nehmen Sie es mir nicht übel, das ist jetzt nicht der Berufspessimismus eines verkappten Bahnschaffners: irgendwie habe ich nicht das Gefühl, dass sich auf Grundlage jener Aussagen eine breit angelegte Markterholung erwarten lässt. Wir hören Bernenke übrigens morgen ausführlich, wenn er vor dem Haushaltsausschuss des US Kongresses spricht. Für den Moment erfreuen wir uns einfach an der Marktstabilisierung, an einem 30%igen Auftragsplus für deutsche Unternehmen und an einem 15%igen Anstieg der deutschen Exporte. Ich wünsche Ihnen (und mir…) eine gute Reise durch den Tag!

Kornelius Purps
Fixed Income Strategist – Director
UniCredit Research

Corporate & Investment Banking
UniCredit Bank AG

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