BANKINGNEWS: Was machen die neuen Anbieter anders als die Sparkasse ums Eck?
Michael B. Heck: Vereinfacht gesagt geht es um das Gefühl, dass Geldthemen lästig sind. Seien es die Steuererklärung, monatliche Rechnungen oder die Altersvorsorge. All das bedeutet Spaßverzicht, entweder weil ich mich damit beschäftigen muss oder weil ich mein Geld statt heute eben erst morgen ausgeben kann.
Ist Mobile Payment aber nicht auch irgendwie cool?
Was soll denn daran cool sein, beim Bezahlen meines Wocheneinkaufs an der Supermarktkasse allen anderen Kunden die Marke meines Mobiltelefons zu zeigen? Bankgeschäfte machen ganz allgemein sicher weniger Spaß als Pokémon Go. Aber das Leistungsversprechen ist auch nicht Coolness, sondern Entlastung. Rechnungen per Foto-App zu bezahlen, spart Zeit und macht damit das Bezahlen weniger lästig. Ein Angebot ist dann erfolgreich, wenn es Unangenehmes angenehm oder zumindest weniger unangenehm macht.
Entlastung statt Coolness
Kritiker sagen, das Soziale kommt durch solche Entwicklungen zu kurz.
Die Kritik greift zu kurz. Beim Banking geht es ja nicht um Soziales. Früher gehörte es zum guten Ton, am Schalter seine Kunden persönlich anzusprechen. Nur weil ich nicht mehr persönlich in eine Filiale gehe, spreche ich aber kein soziales Misstrauensvotum gegen die Angestellten aus. Oder gegen meine Handwerker, die tagsüber in meiner Wohnung Fenster tauschen, damit ich mich damit nicht nach Feierabend beschäftigen muss. Das Soziale findet weiter statt, nur eben jenseits von Aktivitäten, auf die ich sowieso lieber verzichte.
Warum haben das die klassischen Banken und Sparkassen nicht verstanden?
Glauben Sie mir, viele Banken haben das verstanden. Sie hinken nur Anforderungen hinterher, mit denen sich zumindest bisher weder N26 (ehem. Number 26; Anm.) bzw. noch O2 beschäftigen mussten.
Niedrigzins und Regulierung?
Genau. Viele Geschäftsführer kommen gar nicht mehr dazu, das Geschäft zu führen. Sie sind mit Berichten für Wirtschaftsprüfer oder der Einhaltung von Compliance-Vorschriften beschäftigt. Zum eigentlichen Aufgabenkern der Unternehmensentwicklung stoßen viele Verantwortlichen gar nicht mehr vor. Dabei liegt das entscheidende Asset auf der Hand.
Und das wäre?
Vertrauen. Vertrauen ist ein starker emotionaler Treiber, genau wie das gute Gefühl, eine lästige Aufgabe mit etwas Schönem zu verbinden. Das ist wie mit dem guten Nachbarn, den man kennt und dem man vertraut. Die Sparkasse oder Volksbank, die sich vielfältig für die Gemeinschaft engagiert, kann sich dieses Vertrauen verdienen. Durch Finanzierung und Beschäftigung der Wirtschaft vor Ort, aber natürlich auch durch soziale Engagements. Wenn die Menschen dort Bankgeschäfte erledigen, tun sie gleichzeitig etwas für die eigene Nachbarschaft. Das zieht.
Das klingt jetzt doch etwas zu leicht.
Ein passendes Rezept für jede einzelne Sparkasse zu finden, kann hier nicht das Thema sein. Wir müssen grundsätzlich die Mechanismen verstehen, die Bankkunden in die Hände von Nichtbanken treiben, und wir brauchen wieder mehr Zeit, um passende Antworten zu finden. Das wird auch gelingen. Schon mit dem Markteintritt großer Direktbanken vor 20 Jahren haben viele Experten den Untergang der Sparkassen vorausgesagt. Doch das ist nicht eingetreten.
Wie erklären Sie sich das?
Immer noch mit Vertrauen. Das ist wie mit biologisch angebauten Lebensmitteln aus der Region. Man weiß als Käufer, woher Wurst und Spargel kommen. Das kostet etwas mehr, bringt aber auch mehr Sicherheit. Denken Sie an all die Unsicherheit mit ausländischen Tagesgeldkonten während der Finanzkrise. Und nach den jüngsten Ereignissen in der Türkei haben türkische Banken mit EU-Geschäft gleich erklärt, das Geld deutscher Sparer sei sicher. Klar, die Institute sind Mitglied im Sicherungsfonds der Privatbanken. Das zeigt: Vertrauen und die Nähe zum Kunden bleiben ein Thema. Das ist die Trumpfkarte von Sparkassen und Volksbanken.
Vertrauen als entscheidendes Asset
Sind die Sparkassen zu teuer?
Indirekt. Häufig glauben die Manager noch, sie müssten alles selber machten, um sich am Markt zu differenzieren. Ich glaube, die Differenzierung kann erst stattfinden, wenn man das Pflichtenheft abgearbeitet hat. Und da sehe ich keinen Grund, warum man das nicht standardisieren und an eine zentrale Stelle delegieren sollte. Gerade Sparkassen und Genossenschaftsbanken haben ja den Vorteil einer starken Dachorganisation im Hintergrund.
Wollen Sie das Konzept der starken Regionalbank aufgeben?
Nein, mir geht es um die Prozesse. Hier schlägt die Stunde der Bankorganisation. Bewährte Prozessmodelle lassen sich zu eigenen Dienstleistungen bündeln, um Banken ähnlich wie bei einem Franchise gewissermaßen mit der für sie passenden Infrastruktur auszustatten. Den Kunden kennenzulernen und festzuhalten dagegen, das kann sich kein Unternehmen dauerhaft abnehmen lassen.
Haben Sie ein Beispiel?
Das Rating von Krediten ist ein notwendiger Arbeitsschritt für Banken, hochgradig standardisiert und prima auszulagern. Manpower brauchen die Banken eher vor Ort oder am Telefon, vor dem Computer in einer Skype-Konferenz oder beim Kunden im Wohnzimmer, kurz vor dem Familienabendbrot. Einfach muss es sein. Wir erleben aber gerade das genaue Gegenteil. Die Beratung wird gleichgesetzt mit Filiale, Filiale lohnt sich nicht, also lassen wir es. Als würde ein Autobauer allein mit einem Online-Konfigurator mit Bestellformular wachsen wollen. Kaum ein Kunde will aber auf Probefahrt und ein Gespräch mit echten Menschen verzichten. Auf der anderen Seite ist es mir völlig egal, wie der Autobauer das Auto tatsächlich baut.
Was müssen Banken heute überhaupt noch selbst machen?
Alles direkt am Kunden. Banken mit einer ausgeprägten Prozesskultur erkennen das sofort. Falls sie die Prozesse auch noch angemessen überwachen, fällt ein verändertes Kundenverhalten etwa bei einer besonders hohen Nachfrage bestimmter Produkte sofort auf.
Wie steht es um den Gestaltungsspielraum bei den Produkten?
Nach meinem Empfinden gibt es diesen Spielraum für Sparkassen und Genossenschaftsbanken kaum noch. Das Bankprodukt wird ganz wesentlich durch rechtliche und technische Vorgaben bestimmt. Zu dem technisch-bürokratischen Aufwand kommen auch noch die regulatorischen Vorgaben. Soviel kann man gar nicht verkaufen, bis sich das für eine kleine Sparkasse rechnet.
Beratung ist mehr als das reine Finanzinstrument
Das bedeutet das Ende individueller Beratung.
Da widerspreche ich energisch. Die Beratung ist mehr als das reine Finanzinstrument, das der Kunde später kauft. Haferflocken und Trockenobst muss ich für mein morgendliches Frühstück ja auch nicht selbst produzieren. Ursprünglich wollten Sparkassen und Genossenschaftsbanken den Menschen in finanziellen Dingen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Sie waren nie als klassische Produktionsbetriebe gedacht.
Einfach muss es sein
Schon wieder Franchise?
Zumindest bei Haferflocken und Trockenobst. Entscheidend ist aber, ob das Ergebnis der Produktauswahl den gewünschten Nutzen bringt – ob es schmeckt. Und ob etwas schmeckt, hat oft auch mit dem Wissen zu tun, was drin ist. Die meisten Bankkunden kommen beim Sparen und in der Vorsorge hervorragend mit Standardprodukten aus. Nur niemand möchte im Nachhinein erfahren, dass die ersten Beitragsjahre nur Kosten verursachen. Dann verliert man das Vertrauen des Kunden und die Skepsis nimmt zu, ob die Bank wirklich alle Karten auf den Tischt gelegt hat. Hier wieder den Anschluss zu finden, das zählt.