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Data Analytics: „Andere Branchen sind deutlich weiter“

Die Industrialisierung von Prozessen steht weit oben auf der Agenda von Banken. Process Mining kann dafür sorgen, ein Abbild der Realität zu erzeugen, wie Alexander Bethke-Jaenicke von Horn & Company erläutert. Gleichzeitig kann es dabei helfen, die Mitarbeiter von notwendigen Veränderungen zu überzeugen.


Dr. Alexander Bethke-Jaenicke, Gründer und geschäftsführender Partner von Horn & Company
Dr. Alexander Bethke-Jaenicke, Gründer und geschäftsführender Partner von Horn & Company

BANKINGNEWS: Wie gut sind Banken im Vergleich zu anderen Branchen hinsichtlich Prozessoptimierung und Automatisierung aufgestellt?

Alexander Bethke-Jaenicke: Der eigentliche USP von Banken ist, dass sie die Kundenschnittstellen besetzt haben. Sie waren bisher aber wenig kreativ, wie sie beispielsweise Ansatzpunkte der Plattformökonomie an diesen Schnittstellen nutzen können. Was Open Architecture oder Customer Journey angeht, können sie durchaus noch etwas lernen. Andere Branchen, wie etwa der Handel, sind hier oft deutlich weiter. Sie schaffen es, den Kunden mithilfe von Data Analytics viel besser zu verstehen. Es gibt heute viel mehr Möglichkeiten, die „DNA“ eines Kunden zu entschlüsseln und seine Daten anzureichern, als lediglich nach Einkommen oder Vermögen zu segmentieren. Aber auch bei der Industrialisierung von Prozessen sind andere Brachen den Banken und Versicherungen weit voraus, weil sie bereits Analytics-Instrumente nutzen.

„Wir können ein Abbild der Wirklichkeit erzeugen“

Nutzen Banken die falschen Werkzeuge?

Es existieren neue Werkzeuge. Vor einigen Jahren schaute man sich alle Prozesse mit Multimomentaufnahmen an. Damit wurden idealtypische Modellsituationen geschaffen, welche die Realität aber nicht widerspiegeln. Dann ging man zu Top-down-Ansätzen über, die auf Expertenschätzungen beruhten. Das funktionierte zwar besser, aber wenn diese sich irrten, war die Analyse fehlerhaft. Heute erübrigen sich zeitaufwendige Befragungen. Wir schließen uns einfach an die Systeme der Bank an und nutzen die Spuren, die durch die digitale Prozessbearbeitung dort entstehen. Wir nennen das Process Mining. Wo wir früher nur eine anekdotische Evidenz hatten, schaffen wir heute ein Abbild der Prozesswirklichkeit einer Bank – und zwar von dem Moment an, in dem der Berater mit dem Kunden ins Gespräch einsteigt.

Wie werden nicht-digitale Prozesse, wie etwa persönliche Gespräche oder Telefonate, eingebunden?

Nur sehr wenige Prozessstrecken bewegen sich außerhalb des Systems. Beratungsprotokolle zwingen die Mitarbeiter dazu, Einträge in das System vorzunehmen. Darüber hinaus bleibt Process Mining nicht auf ein System beschränkt, sondern kann für die gesamte IT-Infrastruktur genutzt werden. Bestehende Lücken im Datenbestand können so geschlossen werden. Im Ergebnis werden die Datenmodelle weiter optimiert.

Sind Banken zu zurückhaltend, was die Auswertung der Kundendaten angeht?

Banken haben die Hürde des Datenschutzes, die richtigerweise vorhanden ist. Nichtsdestotrotz können sie über eine Datennutzungserklärung vereinbaren, welche Daten zu welchen Zwecken genutzt werden dürfen. Wenn für den Kunden ersichtlich ist, dass aus der Analyse ein Mehrwert entsteht, hat er ein originäres Interesse daran. Mir wäre es doch lieber, wenn z.B. meine Sparkasse etwas Sinnvolles mit meinen Daten tut als ein amerikanischer Internetkonzern. Wenn sich der Berater viel konkreter mit der Lebenssituation und Bedürfnisstruktur des Kunden auseinandersetzen kann, dann kann er sich professioneller auf das Beratungsgespräch vorbereiten.

„Banken haben Handlungsbedarf bei IT-Strukturen“

Alte Strukturen werden oft als Schwachstelle in der Transformation von Banken angeführt. Welche „Legacy“ ist größer – die in den IT-Systemen oder die in den Köpfen der Mitarbeiter?

Banken haben Handlungsbedarf bei ihren IT-Systemstrukturen, insbesondere auch um den „Data Lake“ für Data-Analytics-Anwendungen überhaupt nutzbar zu machen. Auch Gewohnheiten der Mitarbeiter sind als Hürde nicht zu unterschätzen. Die gute Nachricht lautet aber: Mit Data Analytics verändern sich die Diskussionen grundlegend. Früher konnte die Schuld dafür, dass eine Schnittstelle nicht funktioniert, zwischen den Handelnden hin- und hergeschoben werden. Heute können wir anhand von Process Mining genau sagen, wo das Problem liegt, wie oft und aus welchen Gründen es auftaucht. Gleiches gilt auch in Bezug auf die Kundenseite: Kundenbedarfe werden objektiviert, Vertriebschancen werden erkennbar und messbar. Auf einer faktenbasierten Grundlage ist es viel einfacher, einen Change-Prozess voranzutreiben. Dann sind die Mitarbeiter dazu bereit, eine Veränderung mitzutragen.