BANKINGNEWS: Herr Balz, Sie saßen für die CDU im Europäischen Parlament und waren finanzpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Ausschuss für Wirtschaft und Währung. Wo liegen die Unterscheide zu Ihrem heutigen Job als Vorstandsmitglied der Bundesbank?
Burkhard Balz: Als Politiker im Europäischen Parlament müssen sie eine große Bandbreite von Themen bearbeiten. Diese Vielfalt hat mich immer fasziniert. Zugleich habe ich es aber oft bedauert, mich mit verschiedenen Fragestellungen nicht tief genug beschäftigen zu können. In der Bundesbank kann ich mich stärker auf einzelne Themen konzentrieren.
„Hier haben die Big-Techs mit ihren Plattformen echte Vorteile“
Sie sind im Vorstand für Zahlungsverkehr zuständig und haben sich wiederholt für „europäische Lösungen“ ausgesprochen. Was meinen Sie konkret?
Wir haben mit SEPA europäische Standards und einen gemeinsamen Rechtsrahmen, auf dem die europäische Finanzindustrie aufbauen kann. Es ist gut, dass Lastschrift und Überweisung, seit 2017 auch die Echtzeitüberweisung, SEPA-weit akzeptiert und einheitlich abgewickelt werden. Dennoch ist der Markt für Zahlungsverkehrslösungen in Europa weiterhin stark fragmentiert. Bezahlverfahren wie die Girocard sind meist für nationale Märkte konzipiert. Was uns fehlt, sind europaweit akzeptierte Anwendungen für verschiedene Bezahlsituationen, die dem europäischen Verbraucher einen Mehrwert bieten können.
Die Tech-Riesen aus dem Silicon Valley bieten europäischen Verbrauchern smarte Payment-Lösungen an. Sind die Banken da ins Hintertreffen geraten?
Netzwerk-, Skalen- und Verbundeffekte sind nun einmal entscheidende Erfolgsfaktoren für Anbieter von Zahlungsdiensten. Hier haben die Big-Techs mit ihren Plattformen echte Vorteile. Sie bieten eine breite Palette von Dienstleistungen und Produkten an und verfügen über einen großen Kundenkreis. Die klassischen Finanzinstitute haben aber eine hohe Kompetenz und viel Erfahrung beim Angebot von Finanzdienstleistungen. Auch beim Datenschutz können sich die Banken positiv gegenüber Tech-Riesen abgrenzen. Europäische Finanzinstitute sollten ihre Vorteile nutzen, um eine Alternative zum Angebot der Big-Techs aufzubauen. Es besteht sonst die Gefahr, dass sie ihre Beziehung zum Kunden zunehmend verlieren und nur noch als Zahlungsabwickler im Hintergrund auftreten.
Kommen wir von Zahlungen zu den Zinsen. Wie werden sie sich Ihrer Meinung nach entwickeln?
Die Konjunktur im Euroraum hat an Schwung verloren. Den Projektionen zufolge dürfte sich daher der Preisauftrieb etwas langsamer festigen als zuletzt erwartet. Vor diesem Hintergrund hat der EZB-Rat ein ganzes Bündel an Maßnahmen beschlossen, um die Geldpolitik nochmals zu lockern. Dazu gehörte auch eine Senkung des Einlagesatzes. Der EZB-Rat hat auch explizit auf die Möglichkeit verwiesen, dass die Leitzinsen weiter gesenkt werden können. Auch die Nettokäufe von Wertpapieren werden wieder aufgenommen. Insgesamt dürften die Zinsen also noch für geraume Zeit niedrig bleiben.
Was sind die zentralen Faktoren dafür?
Langfristig hängen die Realzinsen von Faktoren ab, die die Zentralbanken nicht beeinflussen können. Je niedriger das Wachstumstempo einer Volkswirtschaft, desto niedriger sind langfristig die Realzinsen. Besonders der demografische Wandel dämpft dieses Tempo. Deshalb ist es wichtig, dass die Staaten im Euroraum etwas tun, um das langfristige Wachstum zu steigern, etwa indem sie ihre Volkswirtschaften wettbewerbsfähiger machen.
Die Bundesbank hat zwar einen regulatorischen Auftrag, aber braucht es noch eine nationale Zentralbank, wenn dabei ohnehin Europa den Ton angibt?
Die nationalen Zentralbanken sind Rückgrat des Eurosystems. Die auf europäischer Ebene getroffenen Entscheidungen werden vor Ort mit und durch die nationalen Zentralbanken umgesetzt. So ist die Bundesbank nicht nur in die Überwachung der Kreditinstitute in Deutschland eingebunden, wir ermitteln und bewerten auch die Risiken für die Stabilität des gesamten deutschen Finanzsystems. Außerdem versorgen wir das Land auch mit Bargeld. Wir stellen im Zahlungsverkehr Infrastrukturen bereit, die alle Kreditinstitute national und europaweit verbinden. Auch geldpolitische Entscheidungen werden von uns in Deutschland umgesetzt. Nicht zuletzt ist die Bundesbank die „Bank des Staates“. Wir verwalten die Währungs- und Goldreserven und beraten die Regierung in geld- und währungspolitischen Fragen.
„Wie die Bürger in Zukunft zahlen werden, wird sich noch zeigen“
Geld und Gold – die Deutschen haben erstmals mehr mit der Karte als mit Bargeld bezahlt. Spielen Münzen und Scheine bald keine Rolle mehr?
An der Ladenkasse überwiegen nach Umsatz mittlerweile unbare Zahlungsmittel, obwohl Bargeld nach Anzahl der Zahlungen immer noch am häufigsten genutzt wird. Welches Zahlungsmittel Verbraucher nutzen wollen, entscheiden sie bei jedem Einkauf selbst. Wir stellen als Bundesbank das Bargeld zur Verfügung, das nachgefragt wird, ohne uns aktiv für oder gegen ein Zahlungsmittel einzusetzen.
Wenn Verbraucher aber nur noch bargeldlos bezahlen, welche Auswirkungen wird das aus Ihrer Sicht haben?
Veränderungen im Zahlungsverkehr sind doch nichts Neues. So erinnern sich wahrscheinlich nur noch wenige daran, dass bis in die 1960er Jahre das Gehalt oft bar ausgezahlt wurde. Genauso führt der Scheck, der früher viel genutzt wurde, heute nur noch ein Schattendasein. Die Geldkarte ist mittlerweile ganz verschwunden. Wie die Bürger in Zukunft zahlen werden, wird sich noch zeigen.
Wird es irgendwann auch „elektronisches Zentralbankgeld“ geben?
Ich bin nicht der Meinung, dass auf die zunehmende Digitalisierung des Zahlungsverkehrs zwingend elektronisches Zentralbankgeld für den Bürger folgen muss. Ein solcher Schritt muss wohlüberlegt sein. Wir analysieren die Vor- und Nachteile von elektronischem Zentralbankgeld und haben als Zentralbank ein waches Auge auf die Entwicklung sogenannter privater Stable Coins wie Libra von Facebook. Solche Innovationen angemessen zu regulieren und zu beaufsichtigen, steht für uns aktuell im Vordergrund.
Würde eine Abschaffung von Bargeld nicht auch eine Gefahr für Demokratie und Freiheit bedeuten, weil dann jede Zahlung nachvollziehbar wäre – auch für den Staat?
Bargeld ist ein essenzieller Bestandteil unserer auf individuellen Freiheitsrechten basierenden staatlichen Ordnung. Aber Demokratie und Freiheit hängen für mich nicht nur am Bargeld, so unbestritten seine Vorteile auch sind. Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung müssen im digitalen Zeitalter an vielen Stellen geschützt werden, etwa beim Mailverkehr, in sozialen Netzwerken oder auf Handelsplattformen. Zahlungsströme sind nur ein Aspekt.
Wenn wir über Bargeld reden, sollten wir auch über die endgültige Abschaffung des 500-Euro-Scheins sprechen. Am 26. April 2019 war Schluss damit bei der Bundesbank. Was sind die eigentlichen Gründe? Denn Betrugsbekämpfung kommt doch eigentlich gar nicht in Frage: Im Darknet wird ja häufig mit Krypto-Währung bezahlt.
Ich stimme Ihnen zu, ein direkter Zusammenhang zwischen Bargeldnachfrage und Schattenwirtschaft ist empirisch nicht nachweisbar. Mit dem Ausgabestopp trug der EZB-Rat jedoch Bedenken Rechnung, dass die 500-Euro-Banknote illegalen Aktivitäten Vorschub leisten könnte. Um auch die Nutzung von Krypto-Token für illegale Geschäfte zu erschweren, hat das Bundeskabinett die Änderungen zur vierten EU-Geldwäsche-Richtlinie beschlossen. Krypto-Handelsplätze und kommerzielle Wallet-Provider müssen demnach besondere geldwäscherechtliche Vorschriften einhalten. Das ist ein wichtiger Schritt zu mehr Transparenz im Geschäft mit Krypto-Token.
Was passiert eigentlich, wenn eine Bank mal komplett gehackt wird, die elektronischen Systeme das Bezahlen für einen bestimmten Zeitraum nicht möglich machen und Bargeld in der Breite vor Ort nicht mehr zur Verfügung steht?
Es steht außer Frage, dass die meisten Unternehmen seit geraumer Zeit für die Gefahren von Cyberkriminalität zunehmend sensibilisiert sind. Alle Beteiligten im Zahlungsverkehr investieren kontinuierlich in sichere Systeme, um den Betrieb rund um die Uhr ohne Ausfälle zu gewährleisten. Denn eins ist klar: Elektronisches Bezahlen wird nur akzeptiert, wenn es stabil, zuverlässig und sicher ist.
Sie sind auch für das Thema „Ökonomische Bildung“ verantwortlich. Was macht die Bundesbank in diesem Bereich?
Wir vermitteln auf vielfältige Weise grundlegendes Wissen zu Geld, Geldwertstabilität, Zentralbank und Finanzsystem. Denn unabhängige Zentralbanken sind in besonderer Weise auf das Vertrauen der Bevölkerung angewiesen. Vertrauen wächst, wenn verstanden wird, was wir machen. Wenn die Menschen also unsere Ziele, Instrumente und Handlungsweisen kennen.
Immer wieder kommt dabei die Frage auf, ob besonders junge Menschen ausreichend Wissen in finanziellen Dingen haben. Wer macht hier was falsch: Schulen, Hochschulen, Banken?
Es ist doch so: Ökonomische Inhalte haben bereits mehr Raum in den Schulen erhalten. Doch die schulische Bildung allein scheint nicht auszureichen. Untersuchungen zeigen einen Mangel an Finanzkenntnissen nicht nur bei Schülern, sondern auch bei Erwachsenen. Die Beschäftigung mit den eigenen Finanzen scheint oft wenig attraktiv und spannend zu sein. Hier gilt es anzusetzen. Die Bundesbank hat zum Beispiel mit ihrem Geldmuseum einen einzigartigen Lern- und Erlebnisraum geschaffen, der gerade von Jugendlichen sehr gut angenommen wird.
Sie haben in einem Vortrag gesagt, dass „ökonomische Bildungsmaßnahmen, die vornehmlich auf den Verkauf eigener Produkte ausgerichtet sind, nicht nur dem eigenen Ansehen schaden, sondern möglicherweise auch die Anstrengungen anderer Finanzplatzakteure diskreditieren“. Sind wir ehrlich: Viele Banken nutzen selbst Schüler-Infos oft als Hinweise auf eigene Produkte. Wie sehen Sie die PR-Arbeit der Geldhäuser hier?
Ich bin überzeugt, dass Marketing von Bildungsangeboten klar getrennt werden sollte. Gerade junge Menschen brauchen zunächst grundlegende, produktunabhängige Informationen über das Finanzsystem und den Umgang mit Geld. Vielen Akteuren ist das auch bewusst. Ebenso können Eltern, Lehrer und auch die Jugendlichen selbst die angebotenen Broschüren und die Internetangebote oftmals recht gut einordnen. Wichtig ist mir, dass die Anbieter sensibel genug bei der Konzeption ihrer Materialen sind.
Interview: Thomas Friedenberger