Gute Banken, miese Banken

Es sind seit Jahren die gleichen Parolen: Filialnetze lassen sich heute nicht mehr kostendenkend betreiben. Da treffe es sich gut, dass Bankkunden keine Filialen mehr wollten: „Online kommt!“ – und allen werde es besser gehen. Aber ist das wirklich so? Die sicheren Gewinner dieser andauernden Trendbeschwörung sind die Unternehmensberatungen und IT-Anbieter, die in regelmäßigen Zyklen…


Es sind seit Jahren die gleichen Parolen: Filialnetze lassen sich heute nicht mehr kostendenkend betreiben. Da treffe es sich gut, dass Bankkunden keine Filialen mehr wollten: „Online kommt!“ – und allen werde es besser gehen.

Aber ist das wirklich so? Die sicheren Gewinner dieser andauernden Trendbeschwörung sind die Unternehmensberatungen und IT-Anbieter, die in regelmäßigen Zyklen einer Bank nach der anderen die immer gleichen Konzepte verkaufen. Die Verlierer in diesem Spiel indes sind die großen Banken selbst. Denn: Digitale Technologie ist leicht zu kopieren – ebenso wie die Bankprodukte selbst. So baut man keine Wettbewerbsvorteile auf. Man verspielt sie. Die bedingungslose Virtualisierung führt direkt ins virtuelle Banknirvana. Mehr noch: Die Aushöhlung der Banken und ihres Kerngeschäfts ist bereits in vollem Gang.
Indem Banken sich zunehmend über ihr vermeintlich innovatives Investmentbanking definieren, werden Kunden- und Kreditgeschäft zu Randbereichen degradiert, in denen Differenzierung oder Innovation ohnehin nicht möglich seien.
Der nüchterne Blick auf die Zahlen der letzten Jahre offenbart die fatalen Konsequenzen dieses Dogmas: Die Performance europäischer Universalbanken in der jüngeren Vergangenheit war alles andere als rosig, überwiegend sogar unterirdisch.

Banken haben verlernt, ihr Kundengeschäft profitabel zu betreiben

Eine gigantische Wertvernichtung hat stattgefunden, verursacht durch Abwendung der Banken vom Kundengeschäft, durch nahezu unbändigen Risikoappetit und schamlose Selbstbereicherung der Managementkaste. Deutsche Großbanken wie Commerzbank und Deutsche Bank machen da keine Ausnahme – sie sind am untersten Ende der Skala oder im Mittelfeld dabei. Gerade die Commerzbank war einer der führenden Wertzerstörer in der Bankenkrise.
Dass die Vorstände der Deutschen Bank Jain und Fitschen bei der Aktionärsversammlung im Mai ausgebuht wurden, ist folgerichtig: Wer bei anhaltender Wertvernichtung versucht, maßlose Boni und Gehälter zu zementieren, ohne dass interne Reform erkennbar wäre, der macht sich unmöglich. Der Vorstand der Deutschen Bank versucht weiter, Probleme mit denselben Mitteln zu lösen, die das Problem überhaupt erst erzeugt haben.
Das Gesamtbild passt einem seit den 80er Jahren anhaltenden Trend: Banken haben verlernt, ihr Kundengeschäft nachhaltig und profitabel zu betreiben. Es gibt eine kollektive Hilf- und Visionslosigkeit dahingehend, wie anständiges, wirtschaftliches Bankgeschäft heute aussehen könnte. Viele Bank-CEOs beißen sich behelfsmäßig an den von den Consultants eingeflüsterten Mythen fest. Etwa dem, dass „im Kundengeschäft kein Geld zu verdienen“ sei. Dass Filialen überflüssig werden. Dass die Kosten das Problem seien.

Lokale Präsenz macht den Unterschied

Doch die Realität sieht anders aus. Es lohnt sich, einen Blick auf den europäischen Ausnahmeperformer in der Bankenlandschaft zu werfen. Diejenige Bank, die in den letzten Jahren und in den Jahrzenten davor durchgängig mit überlegener Performance geglänzt hat – die schwedische Handelsbanken. Zeigt das Beispiel Handelsbanken eine Alternative zur der Abwärtsspirale auf, in der sich deutsche Banken heute gefangen sehen?
Zunächst die Rahmendaten: Seit unglaublichen 43 Jahren ist sie die Bank mit dem besten Return on Equity und der besten Cost-Income-Ratio in Europa. 11.000 Mitarbeiter. Maßvoller Umgang mit Risiken im Boom wie in der Krise. Verzicht auf Bonussysteme, fixierte Wachstums-, Ertrags und Umsatzziele. Keine Produktrentabilitäts-Betrachtung in der Bank, kein Produktmanagement, keine Divisionen. Starkes organisches Wachstum u.a. im stagnierenden britischen Bankenmarkt. Stark expandierendes Filialnetz. Kein zentrales Risikomanagement. Minimale Kreditverluste bei um die 0,07% – so gering, dass einer meiner österreichischen Beratungs-Kunden einmal ausrief, diese Zahl sei „vollkommen unerreichbar!“
Wie also wird das eigentlich Unmögliche möglich? Handelsbanken bietet eine Lektion in Sachen Nachhaltigkeit im Bankgeschäft. Aber auch dahingehend, wie Unternehmen in diesem Jahrhundert geführt werden können.

Handelsbanken sagt von sich selbst: „Bei uns sind die Filialen die Bank“: Digitale Technologie sei „notwendig, aber kein Unterscheidungsmerkmal“. Lokale Präsenz mache den Unterschied – nur sie führt zu besseren Ergebnissen, mehr Geschäft und geringeren Risiken. Damit das funktionieren kann, verzichtet Handelsbanken seit 1971 auf Budgets und Jahresplanung, auf Zielvorgaben, strategische Planung, Forecasts, Ratingsysteme, Boni oder Anreizsysteme.
Und kommt mit nur drei Hierarchieebenen aus. Man spricht bei Handelsbanken von „radikaler Dezentralisierung“ der Entscheidungen. Es gehe darum, den „bürokratischen Komplex“ im Zaum zu halten. Handelsbanken macht das seit 40 Jahren – und ist gerade deshalb erfolgreicher.

Vielleicht müssen Banken das Filialgeschäft neu erfinden

Das wirft die Frage auf: Sind die Filialkosten zu hoch – oder die Kosten zentraler Kontrolle? Sind Filialen und Kundenbetreuer überflüssig, weil die Kunden sie nicht brauchen? Oder haben die meisten deutschen Banken ihre Filialen und Betreuer so stark entmündigt, dass funktionierendes Bankgeschäft unmöglich wurde?
Vielleicht müssen Banken das Filialgeschäft endlich neu erfinden. Das Beispiel Handelsbanken zeigt, dass Banken doch eine Seele haben können. Und dass es nötig ist, diese Seele wieder freizuschaufeln.
Niels Pfläging ist Business-Vordenker, Autor und Berater. Sein neuestes Buch „Organisation für Komplexität. Wie Arbeit wieder lebendig wird – und Höchstleistung entsteht“ ist aktuell unter den Wirtschaftsbuch-Bestsellern.