Mit „Systemischem Projektmanagement“ sicher durch den Sturm navigieren

„Was hat der Mars mit dem Berliner Flughafen gemeinsam? In etwa 30 Jahren sollen die ersten Menschen dort landen!“ Sie finden das nicht witzig? Ist es auch nicht! Denn die Botschaft lautet, dass im Projekt BER etwas gehörig schiefläuft. Doch nicht nur Großprojekte sehen sich ständig der Gefahr des Scheiterns ausgesetzt.


Kein Steuermann segelt im Sturm streng nach Plan weiter. Genau so verhält es sich bei Störungen in einem Projekt, auf die der Projektmanager entsprechend reagieren muss. Bildnachweis: istock.com/winnond

Als Gründe für das Scheitern eines Projekts werden von Befragten meist nicht die Methoden oder Tools genannt, sondern systemische Mängel. In diesem Zusammenhang sprechen wir etwa von schlechter Kommunikation, unklaren Anforderungen und Zielen, Politik, Egoismen, Kompetenzstreit, fehlender Unterstützung durch das Topmanagement, mangelhaftem Stakeholder Management sowie einer fehlenden Qualifikation der Beteiligten. Ließe sich das Scheitern mit Hilfe systemischer Methoden vermeiden?

Professor Markus Schwaninger von der Universität St. Gallen definiert den Begriff wie folgt: „Das systemische Projektmanagement stellt eine theoretisch fundierte und gleichzeitig unmittelbar anwendbare Hilfe dar, um komplexe Veränderungs- und Entwicklungsvorhaben effektiver zu bearbeiten und zu leiten, wobei es sich der Inhalte und Methoden des klassischen Projektmanagements (DIN 69901/ISO 21500) sowie der Methoden und Inhalte der Kybernetik und der Kenntnisse der Zirkularität bedient.“

Systemische Mängel stehen an oberster Stelle

Sven Stübing, Geschäftsführer des bayerischen Projektmanagementspezialisten Antravis, sieht ein Problem im klassischen Ansatz. Am Anfang wird in der Regel das gesamte Projekt geplant. Das führe dazu, dass sich äußere Einflüsse wie eine Verschiebung des Projektziels durch neue Anforderungen oder die Nichtverfügbarkeit von wesentlichen Ressourcen, zum Beispiel durch Krankheit, stark auswirken können. In der Summe verstärke sich dieser Effekt, sodass „Projekte nur noch schwerfällig vorankommen und sich unter Umständen stark verschieben oder sogar abgebrochen werden, da kein positives Ergebnis mehr erwartet wird“. Dies wird häufig auch noch durch zeitfressende Projektmanagement-Tools verstärkt.

Niklas Spitczok von Brisinski, Leiter Projektmanagement bei adesso, hat vier Grundsätze formuliert, die sich ihm zufolge immer wieder bewährt haben: erstens eine frühe Aufgliederung des Gesamtvorhabens, um handhabbare Projekteinheiten zu schaffen – und zwar unabhängig davon, ob das Projekt agil oder im Wasserfall umgesetzt werden soll. Zweitens erstellt der Projektmanager eine Feinplanung nur für den nächsten überschaubaren Zeitraum. Die Planung wird dann rollierend fortgeführt. Drittens: eine dauerhafte Scope-Kontrolle, um Abweichungen früh berücksichtigen zu können. Scoping bedeutet seiner Ansicht nach nicht, Änderungswünsche oder neue Ideen abzuweisen, sondern ihren Effekt auf das Projekt zu bewerten. Viertens und letztens plädiert er für ein solides, aber einfaches Controlling-Fundament, das die wichtigsten Kennzahlen sammelt und aufbereitet. Damit sollen sich frühzeitig Trends erkennen lassen.

Derartige Ansätze finden sich auch in vielen Beschreibungen des sogenannten „Agilen Projektmanagements“. Systemisches Projektmanagement verwendet allerdings insbesondere die Inhalte der Kybernetik. Vom griechischen Wortstamm kybernetes (=Steuermann) abstammend hat Norbert Wiener die Wissenschaft der Steuerung und Regelung von Maschinen, lebenden Organismen und sozialen Organisationen in die deutsche Sprache übernommen. Und zweifellos handelt es sich bei Projekten um soziale Organisationen. Kein Steuermann auf einem Segelschiff würde bei aufkommendem Sturm streng nach einem Plan weitersegeln. Nein! Bei Sturm (= Störung im Projekt) heißt es, Segel reffen, Kurs neu berechnen und gegen den Wind kreuzen, manchmal den Motor anwerfen und lautstark entsprechende Kommandos an die Crew geben, um dann im sicheren Hafen anzukommen (= Projektziel).

Mit einer Kombination von Methoden des Changemanagements, Six Sigma, Moderationswerkzeugen, der Betrachtung von Kausalitäten, aber auch harten Messverfahren lassen sich die typischen Stolperfallen und Misserfolge in Projekten und Veränderungsvorhaben deutlich vermindern.

Stolperfallen und Leitfragen

Das Modell des „Systemischen Projektmanagements“ berücksichtigt nicht, wie das klassische Projektmanagement, nur zwei Ebenen, sondern ganz besonders intensiv die soziale Ebene, welche die häufigsten Stolperfallen in Projekten aufweist. Dabei gilt es, die Projekte (also die sozialen Systeme) regelmäßig zu analysieren. Diese sechs Faktoren spielen dabei eine ganz wichtige Rolle:

1) die beteiligten Menschen und ihre Eigenschaften
2) die subjektiven Gedanken der Beteiligten
3) die gelebten Regeln
4) Interaktionen mit wiederkehrendem Verhaltensmuster
5) bisherige Entwicklung und bisheriges Umfeld
6) aktuelle Umwelt, Rahmenbedingungen und vorhandene Technik

Außerdem sollte sich die Analyse immer wieder mit den Fragen „Woran liegt es?“ (Ursachen, Fehler, Hintergründe), „Was kann ich tun?“ (Maßnahmen, Verhaltensänderung) und „Was könnten die Auswirkungen meines Handels sein?“ (Antizipieren) auseinandersetzen.

Und last but not least einige Rezepte aus Großmutters Kochbuch – nicht nur für Handelnde in Projekten: „erst denken, dann handeln“, „beschaffe Dir möglichst viele Informationen, bevor Du handelst“, „lerne aus Deinen Fehlern“, „handle nicht aus Ärger oder Wut“, „frage um Rat“.