Change-Müdigkeit. Widerstand. Enttäuschende Veränderungserfolge. Wie wäre es, wenn man tiefgreifenden Change in Banken und der Finanzindustrie so inszenieren könnte, dass er schnell und mitreißend daherkäme?
In dieser und der vorangegangen Ausgabe der Kolumne Bankmanagement geht es um fünf Schlüssel-Konzepte für Veränderungsarbeit, die schwungvoll und lebendig vonstatten geht – statt schmerzhaft, zäh und widerständig. Veränderung, die gleichzeitig tiefgreifend ist und sich leichtfüßig anfühlt. Klingt unmöglich? Dann lassen Sie diese Konzepte auf sich wirken: Sie umreißen eine konstruktive, robuste Alternative zum Change Management, wie Sie es kennen.
Tipp 3. Das Problem liegt im System – praktisch immer
Wie wir in der letzten Kolumne gesehen haben, geht Widerstand gegen Change nicht von Menschen aus. Aber wenn die Organisationsmitglieder nicht die Wurzel von Widerstand sind, woher kommt er dann? Edwards W. Deming lehrte uns, dass Widerstand mit größter Wahrscheinlichkeit einen anderen Ursprung hat: „94% der Probleme im Business“, postulierte er, „sind System-getrieben, nur 6% sind Menschengetrieben.“ Was bedeutet: Der Wurm steckt im System – fast immer! Change sollte sich also vor allem mit Arbeit am System beschäftigen. Statt mit Arbeit an Menschen.
Es ist leichter, Existierendes abzuschaffen, als Neues zu etablieren
Ein Weg, sich aufs System zu konzentrieren, statt auf die Menschen, die sich im gegebenen System verhalten, ist, Barrieren zu entfernen. Etwas wegnehmen ist einfacher als etwas völlig Neues einzuführen, wenn man tiefgreifende Veränderung erzeugen möchte! Es ist leichter, Existierendes abzuschaffen, als neue Werkzeuge, Rituale oder Gewohnheiten zu etablieren. Diese Grundidee macht Organisations-Hygiene so attraktiv: Nehmen Sie Dinge weg, die ausgedient haben. Regeln, Reisekostenverordnungen, Politiken, Preislisten, Budgetierung, Mitarbeiterbeurteilung, Stundenerfassung, Unterschriftenregeln, Stabstellen, Zielsysteme, das Organigramm. Hunderte verstaubter, aber verhaltensprägender Organisationsruinen warten darauf, entmistet zu werden, um dem Geist der Mitarbeiter Platz zu machen. Auch in Ihrem Unternehmen.
Aber gleich ob Sie etwas wegnehmen oder Neues einführen, während sie von Hier nach Neu im Jetzt flippen: Effektive Organisationsveränderung erfordert spezifisches, zielgerichtetes Handeln – nicht Schuldzuweisung Im Klartext: Wenn vorgesehene Veränderungen zum Verlust von Status bei einigen Mitarbeitern führen sollten, dann müssen wir Vorgehensweisen für den Umgang mit Statusverlust entwickeln. Wenn Veränderung zu einem Bedarf an Lernen und Entwicklung führt, dann müssen wir uns um eben dieses Lernen kümmern. Wenn Change einen Preis hat, braucht es Raum für Emotionen und Trauer. Derartig schwierige, ganz reale Probleme in Veränderung als „Widerstand“ zu etikettieren und den Mitarbeitern anzuheften, erschwert Veränderungsanstrengungen. Löst aber nichts. Widerstand wird dann zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Anders gesagt:
„Gut gemachte Veränderung produziert keine Verlierer. Nur Konsequenzen.“
Widerstand aus Eigeninteresse gibt es, zwar er ist aber äußerst selten. Häufiger liegt die Hürde für Change in der Organisationsstruktur, oder, so John Kotter, in einem „Mitarbeiterbeurteilungs-System, [das] Menschen dazu zwingt, zwischen einer neuen Vision und ihrem individuellen Eigeninteresse zu wählen.“ Mit anderen Worten:
„Was wir als Veränderungs-Widerstand interpretieren, ist intelligente Erwiderung auf Inkonsistenzen zwischen Organisationsmodell und beabsichtigtem Zustand.“
Change ist in diesem Sinn sukzessive Neu-Verhandlung des Organisationsmodells – nicht Revolution! Mitarbeiter haben gute Gründe, gegen Veränderung zu opponieren – Gründe die wahrscheinlich im gegenwärtigen Organisations-System ihren Ursprung haben, nicht in der verkorksten Psyche des Individuums. Nochmals: Jene mysteriösen Verhaltensmuster, die wir beobachten, sollten wir fast immer als „Mangel an Konsequenz“ klassifizieren, nicht als „Widerstand gegen Veränderung“.
Im Change-als-Flippen müssen wir das System bearbeiten, nicht die Menschen. Von dieser Maxime abzuweichen führt zu Schuldzuweisung, und fast unweigerlich zu selbst-verursachtem Scheitern unserer Bemühungen.
Tipp 4. Organisationaler Wandel braucht soziale Dichte – Technik ist (fast) trivial
Die Idee des „emergenten“ Change, oder des kontinuierlichen Flippens von Hier nach Neu berücksichtigt, dass Veränderung sich in komplexen Mustern vollzieht, die weder vorhergesehen, noch kontrolliert werden können. Wir können sie nur beobachten. Einer der ersten, der diese Vorstellung von Change treffend beschrieben hat, war John Kotter. Sein Leading-Change-Ansatz aus den 1990er Jahren skizziert tiefgreifenden Wandel präzise als sozial dichte Bewegung. Als kollektive, selbstorganisierte und sich nach und nach entfaltende Kraft.
Viele Change-Agenten sind verliebt in ihre Methoden. Viele von uns glauben, dass diese oder jene Methode oder Instrument wundervoll, effektiv und wirkungsvoll sei. Change als Flippen beruht auf einer etwas anderen Annahme:
„Beziehungsdichte ist alles, Methode ist zweitrangig.“
Es gibt demnach viele vernünftige und effektive Methoden. Was entscheidend ist, ist aber nicht das Werkzeug. Sondern in Veränderung neue, wirkungsvolle Beziehungen innerhalb des Organisationssystems zu schaffen – und Beziehungen höherer Qualität. Viele Methoden können dabei helfen, dies zu erreichen. Man sollte aber hinzufügen: Je komplexer das Problem ist, desto komplexer und sozial lebendiger muss die Methode sein, die wir verwenden. Nichts ist schlimmer als kristallisierte, erstarrte Methode: „Tote“ Methode, angewandt auf lebendige Probleme.
„Methode muss immer dem Problem angemessen komplex und sozial sein.“
Fragen Sie sich immer, wenn Sie es mit Change zu tun haben: Ist die Vorgehensweise, die wir einsetzen, tatsächlich der Lebendigkeit des Problems angemessen? Ist die Methode ausreichend Dynamik-robust? Ist sie passend zur Fähigkeit des Problems, uns zu überraschen? Führt die Methode zu höherwertigen Beziehungen innerhalb der Organisation?
Tipp 5. Es gibt keinen großen Change- aber alles ist Intervention
Ich bin schuldig. Ich bekenne, dass ich gerne und häufig über Transformation und große Veränderung rede. Ich mag den Gedanken von Transformation! Ich liebe es, Dinge zu sagen wie: Organisationen sollten sich transformieren, weg vom Organisationsmodell des Industriezeitalters hin zu einem zeitgemäßen, komplexitätsrobusten Modell! Ich sage derlei Dinge, obwohl ich weiß, dass der Begriff der Transformation weder hilfreich, noch besonders akkurat ist. Ich kann es einfach nicht sein lassen! Die Wahrheit über Change liegt dabei vermutlich viel näher an Sätzen wie diesem: Es gibt gar keine Transformation.
„Ständiges Flippen ist das Einzige, was es in Veränderung gibt.“
Dies ist stimmig mit dem alten Leitzsatz der Organisationsentwicklung: „Alles ist Intervention – Everything´s an intervention.“ Dies ist wohl einer der schönsten Sätze, der je über Change gesagt wurde. Wenn „alles Intervention ist“ heißt das aber nicht, dass jede Intervention in sich gut und sinnvoll sei. Es bedeutet nur, dass alles eine Wirkung hat, und damit potenziell geeignet ist, eine Organisation von einem Zustand in den anderen zu flippen.
Statt Change Management sollten wir das Handwerk der Veränderung demzufolge als disziplinierte Übung in konstruktiver Irritation praktizieren. Das lehrt uns auch die Systemtheorie. Ihr zufolge ist Irritation die einzige Möglichkeit, wie wir auf ein System einwirken können. Nach der Irritation müssen wir uns darauf beschränken, die Wirkungen und Rippeleffekte zu beobachten. Um dann wieder zu irritieren. Dann zu beobachten. Und so weiter und so fort. Jede Irritation kann das System im Jetzt in einen neuen Zustand flippen. Auf alle Fälle aber: Irritieren Sie erneut! Wenn Sie Glück haben, und die Irritation noch dazu clever genug war, ist der neue Jetztzustand eine Ausprägung des beabsichtigten Zustands.
Jede Bank flippt ständig. Flippen ist nicht dazu gedacht, jemals vorüber zu sein – Change ist keine Reise! Willkommen in der Welt des, nun ja: des ewigen Flippens.