Im Handelsstreit zwischen China und den USA werden immer wieder Möglichkeiten diskutiert, wie China auf US-Zölle für chinesische Güter reagieren kann. Neben Vergeltungszöllen und anderen nichttarifären Maßnahmen wird dabei auf die vermeintlich scharfe Dollar-Waffe verwiesen: den riesigen Bestand an chinesischen Dollar-Reserven, der seit dem Jahr 2000 aufgebaut worden ist. Aktuell verfügt China über Devisenreserven von umgerechnet etwa 3,1 Bio. US-Dollar, wobei der Löwenanteil (ca. 50 Prozent) auf US-Anlagen (meist Treasuries) entfallen dürfte. Damit ist das Land der größte ausländische US-Gläubiger.
Auf den Bumerang achten
Die Idee ist nun, dass China eine Verkaufsattacke durchführen und US-Treasuries in kurzer Zeit und in großem Umfang abstoßen könnte. Dies würde wohl massive Kursverluste auslösen. Der damit einhergehende kräftige Renditeanstieg, so das strategische Ziel, verteuerte die Refinanzierung der US-Staatsschulden erheblich und zwänge die US-Wirtschaft über einen Anstieg des allgemeinen Zinsniveaus in die Knie. Aufgrund seines hohen Treasury-Bestandes ist Chinas Drohpotenzial also groß.
Der Einsatz der Treasury-Waffe ist jedoch aus verschiedenen Gründen wenig sinnvoll. Durch einen Verkauf von Treasuries wäre der in China verbleibende Bestand z.B. direkt von erheblichen Abschreibungen betroffen. Eine Flucht aus dem Dollar ließe diesen nämlich abwerten, wodurch zusätzliche Abschreibungen entstünden. Unter dem gleichzeitig aufwertenden Renminbi würde dann die chinesische Exportwirtschaft leiden, welche ohnehin schon mit höheren US-Zöllen und bröckelnden Absatzperspektiven zu kämpfen hat. Demgegenüber gäbe es kaum Alternativen, die Treasury-Erlöse zu investieren. Andere Währungsmärkte sind in den vergangenen Jahrzehnten zwar erheblich gewachsen. Hinsichtlich Breite, Tiefe und Liquidität können sie mit dem amerikanischen Markt aber nicht mithalten, weswegen kräftige Marktverwerfungen vorprogrammiert wären. Massive Treasury-Verkäufe würden die Stabilität des Weltfinanzsystems derweil bedrohen, wodurch es wohl zu einem globalen Wachstumseinbruch käme. An schwindenden Exportchancen dürfte China aber nicht interessiert sein. Als Reaktion auf die Treasury-Verkäufe könnte die US-Notenbank dann als Käufer einspringen und abgestoßene Titel erwerben, womit der chinesische Wunderwaffe nicht scharf schießen würde. Außerdem ist China noch weit davon entfernt, den Renminbi frei schwanken zu lassen. In etwaigen Aufwertungsphasen dürfte die Zentralbank daher auch künftig am Devisenmarkt intervenieren. Dazu benötigt sie Dollar. Aus dem Vorsichtsmotiv heraus ist eine große Kriegskasse also sinnvoll, zumal sich mit ihr auch unerwartete Portfolioabflüsse abfedern lassen.
Abwertungsstrategie hätte negative Folgen
Letztendlich ist es daher wenig wahrscheinlich, dass China die Option einer Verkaufsattacke nutzen wird. Bei einem sich weiter hochschaukelnden Handelsstreit dürften eher Vergeltungszölle und andere nicht-tarifäre Maßnahmen erste Wahl sein. Zu diesen zählen Marktzutrittsbarrieren wie die Nichtzulassung bei öffentlichen Ausschreibungen, niedrigere Importquoten, höhere Produktstandards, Regulierungen, Staatshilfen, Subventionen oder eine verzögerte Zollabfertigung. Sie erschwerten US-Unternehmen den Zugang zum weltweit größten und schnell wachsenden Absatzmarkt. Eine Abwertungsstrategie ist als Reaktionsmaßnahme ebenfalls ungeeignet. China verfügt zwar über ausreichend hohe Devisenreserven, um den Kurs des Renminbis gegenüber dem Dollar zu schwächen. So könnten die Einfuhrpreise für chinesische Produkte in die USA gesenkt und höhere Zollkosten kompensiert werden. Die chinesischen Einfuhren würden sich aber deutlich verteuern. Zudem schmälerte eine höhere Inflationsrate die Nettoeinkommen und sorgte im Inland für sozialen Zündstoff. Mangels Alternativen spricht also vieles dafür, dass China seine Reserveanlagepolitik nicht grundsätzlich aufgeben wird. Zu renditesteigernden Effekten bei Treasuries käme es folglich nicht. China wird ein ausreichend hohes Polster an Dollar-Reserven zudem wohl weiter vorhalten und aufstocken, sollte es durch Kapitalabflüsse zu klein geworden sein.
Schleichende Diversifizierung erwartet
Gleichwohl dürfte die chinesische Regierung weiter darauf hinwirken, die Abhängigkeit vom US-Dollar zu verringern. Reserveanlagen werden aber wohl nur sehr vorsichtig umgelenkt, um Marktverwerfungen nicht auszulösen. Bislang hat das gut funktioniert. Im Zuge des wirtschaftlichen Aufholprozesses waren die Devisenreserven bis Anfang 2014 rasant auf rund 4 Bio. US-Dollar gewachsen. Nicht mehr gestiegen sind seit Mitte 2011 dagegen die China direkt zurechenbaren Treasury-Bestände: Sie beliefen sich im Schnitt auf rund 1,2 Bio. US-Dollar, zuletzt sanken sie leicht. In Relation zu den Reserven schwankten sie, teilweise auch aufgrund von Bewertungseffekten, in den vergangenen zwei Jahren um 37 Prozent. Das ist bereits ein deutlich niedrigerer Wert als auf dem Höhepunkt bei 46 Prozent im Jahr 2000. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den von China und dem gesamten Ausland gehaltenen US-Staatsanleihen: Hier hat sich der Anteil Chinas seit dem Hoch bei 28 Prozent im Jahr 2011 unter 20 verringert. Werden auch die vom US-Inland gehaltenen Bestände berücksichtigt, ist der Anteil etwa halb so hoch.
US-Dollar ade!
Alles in allem hat China seit 2007 zwar weniger US-Treasuries gekauft, gleichzeitig ist der Reservebestand bis 2014 aber weiter steil gestiegen. Bis zu einem Viertel der Reserven dürften mitlerweile auf Anlagen in Euro entfallen. Auch Drittwährungen werden gefragt sein, deren Anteil künftig wohl noch weiter steigen wird: Denn China pocht zunehmend auf Handelsabkommen, die auf den Renminbi setzen. Gerade dieser Prozess wird sich wahrscheinlich noch deutlich verstärken, da China sein wirtschaftliches und finanzielles Engagement im Ausland beständig ausbaut. Dies erfolgt nicht nur entlang der „neuen Seidenstraße“, auch in Asien, Lateinamerika und Afrika soll ein enges Handelsnetzwerk geknüpft werden. Die Abhängigkeit vom Dollar droht dadurch zwar sobald nicht zu kippen – von der Währung gedanklich verabschiedet hat sich China aber offenbar schon.