Geht die Geldpolitik in die nächste Verlängerung?

Trotz guter Konjunktur steigen die Inflationsraten nicht an. Jetzt bleiben den europäischen Notenbanken nur noch zwei Möglichkeiten, um diese Werte in Zukunft zu verbessern und endlich eine bessere Zinspolitik voranzutreiben.


Bildnachweis: iStock.com/gmast3r

Das Dilemma der Notenbanken hält an. Ihr gesetzlicher Auftrag lautet, den Geldwert stabil zu halten. Die Herausforderungen dabei haben sich in den letzten Jahren aber so gewandelt, dass die Währungshüter in der Öffentlichkeit zusehends in die Defensive geraten. Auch in der Fachöffentlichkeit nehmen die Diskussionen über die richtigen geldpolitischen Konzepte zu. Jahrzehntelang lag die Aufgabe vor allem darin, Inflationsanstiege zu verhindern oder hohe Inflationsraten wieder zu reduzieren. Hierzu sind die Währungshüter mit sehr effizienten Instrumenten ausgestattet.

Zwei Dinge haben sich in den letzten beiden Dekaden verändert. Zum einen ist der Kapitalmarktzins gefallen. Das ist ein globales Phänomen und hat weniger mit der Notenbankpolitik als mit dem weltweiten Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Kapitalmarkt zu tun. Wahrscheinlich sind demografische Faktoren wesentlich daran beteiligt, dass viel Kapital zur Verfügung steht, das auf ein eher verhaltenes Investitionsgeschehen trifft. Das wirkt zinssenkend.

An dem zweiten Grund sind die Notenbanken durchaus selbst beteiligt. Allerdings nicht etwa, weil sie Fehler gemacht hätten, sondern weil sie auf der ganzen Linie erfolgreich waren. Dabei handelt es sich um die gegenwärtig extrem niedrigen Inflationsraten, die auch bei langanhaltender guter Konjunktur nicht ansteigen wollen.

Neben zahlreichen anderen Faktoren ist es die konsequente Verankerung der Inflationserwartungen durch die Notenbanken seit Anfang der neunziger Jahre, die dafür sorgt, dass die Inflationsraten nach unten mindestens ebenso flexibel sind wie nach oben. Für eine solche Situation ist der „Medikamentenkoffer“ der Notenbanken deutlich schlechter ausgerüstet. Hat das Zinsniveau die Nullgrenze erreicht, muss mit Anleihekäufen eine andere Klasse von „Wirkstoffen“ zum Einsatz kommen. Deren Risiken und Nebenwirkungen sind allerdings ebenfalls deutlich stärker.

Was tun? Prinzipiell sind zwei Richtungen möglich. Entweder verabschieden sich die Notenbanken von ihren bisherigen Inflationszielen und lassen den Inflationsraten zumindest nach unten freien Lauf. Dies erscheint dem weit überwiegenden Teil von Makroökonomen gefährlicher als die gegenwärtigen Nebenwirkungen von Nullzinspolitik und Marktverzerrungen. Zu sehr sind negative Inflationsraten mit Vorstellungen von Abwärtsspiralen beim Wachstum und mit Überschuldungsängsten verbunden. Bleibt die zweite Richtung: das Festhalten an den gegenwärtigen Inflationszielen von etwa zwei Prozent und die Verlängerung der Therapie mit den geldpolitischen Keulen.

„Auch die Risiken und Nebenwirkungen von Anleihekäufen sind stärker“

Betrachtet man die internationale Diskussion, etwa auf der jüngsten Fed-Konferenz in Chicago, dann ist die Entscheidung bereits gefallen – nämlich zugunsten der zweiten Richtung, also das Festhalten an den gegenwärtigen Inflationszielen. Hierbei werden die Inflationserwartungen aber eine noch wichtigere Rolle spielen: Selbst wenn die aktuell gemeldeten Teuerungsraten wieder beim oder über dem Inflationsziel liegen sollten, wird künftig eine geldpolitische Normalisierung nur dann sinnvoll sein, wenn auch die langfristigen Inflationserwartungen mitziehen. Dadurch wird die Geldpolitik auf absehbare Zeit eine grundsätzliche Neigung hin zur Lockerung bekommen. Die langfristigen Kapitalmarktzinsen reflektieren dies bereits heute mit neuen Tiefstständen. Hieran ist allerdings auch die aktuelle konjunkturelle Entwicklung nicht ganz unschuldig.

Die Wirtschaft des Euroraums zeigt schon seit längerem ein zweigeteiltes Bild: Auf der einen Seite ist die Industrieproduktion im Trend rückläufig. Auf der anderen Seite sinkt auch die Arbeitslosigkeit und schafft damit ein solides Fundament für den privaten Konsum. Die Schwäche der Industrie hat ihre Ursachen vor allem auf globaler Ebene. Das Wachstum des Welthandels hat sich strukturell verlangsamt und in diesem Aufschwung wurde nie übermäßig viel investiert. Hinzu kommt die Stimmungseintrübung infolge der globalen Handelskonflikte, die die Unternehmen noch vorsichtiger agieren lässt. Hierunter leidet gerade die deutsche Industrie überproportional stark, weil sie zu den weltweit wichtigsten Produzenten und Exporteuren von Investitionsgütern gehört.

Gleichzeitig wird im Euroraum selbst immer noch in neues Sachkapital investiert. Dies ist wichtig, weil die Zuwächse der Ausrüstungsinvestitionen eng mit denen der Beschäftigung korrelieren. Sollten die Unternehmen auch im Euroraum aufhören zu investieren – wie viele andere Unternehmen in anderen Währungsräumen – würde sich dies nach kurzer Zeit auch am Arbeitsmarkt und beim privaten Konsum bemerkbar machen. An dieser Stelle entscheidet sich daher, ob der Aufschwung im Euroraum über die derzeitige globale Schwächephase hinwegkommen wird.

Da sich diese Schwächephase in den vergangenen Wochen vertieft hat, wird die Europäische Zentralbank zu weiteren Lockerungsmaßnahmen greifen. Für den europäischen Bankenmarkt ist allerdings klar, dass eine Verlängerung und erst recht eine weitere Lockerung der expansiven Geldpolitik von entlastenden Maßnahmen für das Bankensystem begleitet sein muss. Sollte in einer neuen Lockerungsrunde auch der Einlagensatz noch einmal gesenkt werden, so kann man mit einem Freibetragssystem rechnen, das wie in Japan, Dänemark oder in der Schweiz größere Teile der Überschussreserven vom negativen Einlagensatz befreit. Ob diese Politik jedoch langfristig positive Effekte hat, ist sowohl für den Bankensektor noch für das Finanzsystem oder die gesamten Volkswirtschaften alles andere als sicher.