Wenn man die Konsensmeinung zu Beginn des Jahres mit dem heutigen Stand vergleicht, zeigt sich, dass die globalen Wachstumsprognosen für 2015 nach unten korrigiert wurden und die Inflation in den etablierten Industrienationen weit unter den Erwartungen blieb – obwohl einige Zentralbanken, etwa in der Eurozone und in China, unerwartete Lockerungsmaßnahmen ergriffen, während andere, wie Großbritannien und die USA, länger als erwartet an ihrer Niedrigzinspolitik festhielten. Außerdem gab es eine Reihe von Ereignissen, die die Weltwirtschaft 2015 geprägt haben und sie auch noch für einige Jahre weiter beeinflussen könnten, wie der drastische Rohstoffpreisverfall und der enorme Zustrom an Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern nach Europa, die viele Volkswirte zu Beginn des Jahres noch gar nicht auf dem Radar hatten.
Nichts ist ungewisser als die Zukunft
Das ist kein neues Phänomen: Wenn es um Zukunftsprognosen geht, liegt die Reputation der Volkwirte wahrscheinlich irgendwo gleichauf mit Wetterfröschen und Wahrsagern. Aber so wie bei diesen Berufen gibt es eben auch die Nachfrage nach den Dienstleistungen von Ökonomen – Unternehmen wollen Daten für ihre strategische Planung, Zentralbanken ihre Inflationsziele erreichen und Anleger wissen, wo investieren sich lohnt. Wie kommt es daher eigentlich, dass wir so schlechte Prognostiker sind und – und wenn das Erkennen eines Problems der erste Schritt zur Lösung ist – welche Vorhersagen können wir dann für das nächste Jahr aus dieser ernüchternden Selbstbetrachtung ableiten?
In einer Welt voller Unsicherheiten sind Prognosefehler unvermeidlich. Vorhersagen können seitlich, aufwärts oder abwärts zu korrigieren sein, wenn Ereignisse eintreten, die zwar nicht unbekannt sind, aber nicht vorhersehbar waren, wie Änderungen im Ölangebot, Ernteschwankungen oder überraschende politische Entwicklungen. Hochrechnungen können auch aufgrund technischer Fehler falsch liegen, wie bei Prognosemodellen, die bestimmte Variablen ausschließen, die, wie sich dann später herausstellt, starken Einfluss auf das wirtschaftliche Verhalten haben. Wir hoffen mit der Zeit aus diesen Fehlern lernen zu können und so die Prognosequalität zu verbessern – und gehen dabei sehr ähnlich vor wie die Meteorologen der Wetterdienste nach unvorhergesehen Stürmen oder anderen Unwettern. Manche Fehlerquellen sind allerdings nicht so einfach zu beheben, da sie per se kaum in einem Prognosemodell Berücksichtigung finden können. Hierzu gehören die schwarzen Schwäne von Nassim Nicholas Talebs, also vorher nie dagewesene, beispiellose Ereignisse, sowie Strukturbrüche in vormals für konstant gehaltenen Zusammenhängen wie beispielsweise dem Verhältnis zwischen Arbeitslosigkeit und Lohninflation.
Niemand liegt immer richtig
Acht Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise sind Zentralbanken wohl auch weiterhin der Ansicht, dass es riskanter ist, zu wenig zu tun als zu viel. Da aber Ökonomen nicht die einzigen sind, die mit ihren Prognosen falsch liegen, stellt sich die Frage, ob es etwas gibt, das allen gemein ist und all den trockenen, technischen Erklärungen zugrunde liegt, wie zum Beispiel verhaltensinduzierte Faktoren. Die Tatsache, dass wir unsere eigenen Prognosefähigkeiten überschätzen, könnte hier eine Rolle spielen. Ben Broadbent, Mitglied des geldpolitischen Ausschusses im Vereinigten Königreich, gab einmal zu Bedenken, dass Menschen, die in einem Experiment angaben, sich einer Sache zu 100 Prozent sicher zu sein, im Durchschnitt nur in 70-80 Prozent der Fälle richtig lagen. Ein anderer Faktor könnte darin bestehen, dass man im Nachhinein dazu tendiert, die Wahrscheinlichkeit mit der man Ereignisse erwartete, zu hoch einzuschätzen, wenn diese eintraten, und zu niedrig, wenn sie ausblieben. Das ist eine Variante des Phänomens der stehengebliebenen Uhr, die schließlich auch noch zweimal am Tag die richtige Zeit anzeigt. Und der Internationale Währungsfonds IWF stellte fest, dass Ökonomen, obwohl sie als Vertreter der „dismal science“ zur Zunft der Bedenkenträger gehören, viel zu optimistisch in die Zukunft blicken und im Zeitraum zwischen 1990 und 2007 die Wachstumsraten systematisch zu hoch eingeschätzt hatten. Der IWF meint, dies könne das Ergebnis natürlicher Auslese sein: Wir existieren schließlich trotz aller Widrigkeiten und das allein ist schon ein Grund zum Feiern!
Es ist riskanter, zu wenig zu tun als zu viel
Wenn wir uns wirklich so verhalten und all die vorgenannten Gründe zutreffen, dann müssen wir im nächsten Schritt natürlich unsere Einschätzungsfehler korrigieren oder es wenigstens versuchen. Tatsächlich haben Volkswirte sich seit der globalen Finanzkrise nicht mehr nur auf die wichtigsten Prognosen konzentriert, sondern vermehrt auch die Umgebungsrisiken mit einbezogen. Unternehmen, Zentralbanken und Anleger können nun prüfen, wie gut ihre geschäftlichen, geldpolitischen und Anlagestrategien in ausgetüftelten Szenarien abschneiden würden. Und da Studien zeigen, dass manche Berufe ihre Prognosefähigkeiten realistischer einschätzen als andere – Meteorologen schneiden offensichtlich besser ab als Ärzte – könnte es hilfreich sein, wenn die Nutzer der Prognosen und Szenarien regelmäßig Feedback über deren Richtigkeit geben, um hier zu Verbesserungen beizutragen.
Wie wird es nun, unter Berücksichtigung des Gelernten, mit der Weltwirtschaft 2016 weitergehen? Zuallererst gehen wir einmal davon aus, dass die Zentralbanken auch acht Jahre nach der Finanzkrise an der Ansicht festhalten werden, dass es riskanter ist, zu wenig zu tun als zu viel. In diesem Umfeld werden die Zinsen auf extrem niedrigen Niveaus verharren und es könnte zu weiteren konjunkturbelebenden Maßnahmen kommen. Zweitens halten wir einen echten Währungskrieg für unwahrscheinlic, da er letztlich allen schaden würde, bei einem Zermürbungskrieg lägen die Dinge ein wenig anders. Und schließlich wird die Geschichte umgeschrieben. Wachstumsschätzungen werden oft revidiert, wenn die Statistikbehörden neue Informationen erhalten und diese Korrekturen können erheblich sein; im Falle Großbritanniens reichte es zum Beispiel aus, um den ursprünglich nach der Finanzkrise vorhergesagten Rückfall in eine erneute Rezession vom Tisch zu wischen. Das ist wichtig, denn damit ändert sich, wie wir – und wie die Zentralbanken – die weltwirtschaftliche Lage einschätzen. Da mag es kaum verwundern, dass die wirtschaftlichen Prognosen manchmal so schlecht abschneiden: Denn es ist wahrlich nicht einfach, eine fundierte Einschätzung darüber abzugeben, welche Richtung die Weltwirtschaft einschlagen wird, wenn man nicht weiß, aus welcher Richtung sie gekommen ist.