In der globalisierten Wirtschaft generieren Unternehmen ihre Umsätze oder Vermögenswerte längst nicht mehr nur in ihrem Heimatland oder lediglich in einem einzigen Sektor. Die 30 Konzerne, die im Deutschen Aktienindex (DAX) vereint sind, erzielen beispielsweise den Großteil ihrer Erlöse im Ausland. Zwar dient der Leitindex grundsätzlich als Indikator für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft. Allerdings bildet er in erster Linie den deutschen Aktienmarkt ab. Was oftmals nicht berücksichtigt wird: In vielen Fällen sind die Kapitalmärkte nicht deckungsgleich mit dem Wirtschaftsraum der jeweiligen Region beziehungsweise Branche. Das lässt sich etwa am Beispiel von ZhongDe Waste Technology aufzeigen, einem Hersteller und Betreiber von Müllverbrennungsanlagen. Die Aktie des Unternehmens mit Sitz in Deutschland ist an der hiesigen Börse gelistet, obwohl sein operatives Geschäft im chinesischen Markt stattfindet. Da nach dem Inlandsprinzip alle Waren beziehungsweise Leistungen zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) des jeweiligen Landes gezählt werden, in dem diese gefertigt beziehungsweise erbracht wurden, trägt ZhongDe Waste Technology somit in erster Linie zum chinesischen BIP und nicht zu dem Deutschlands bei.
Wenn ein Modell zu stark vereinfacht
Das angeführte Beispiel zeigt die komplizierten wirtschaftlichen Verstrickungen auf, denen traditionelle Indizes – insbesondere die großen Leitindizes – nicht immer hinreichend gerecht werden. Börsennotierungen oder auch Firmeneintragungen außerhalb des Heimatlandes beziehungsweise -marktes sind nicht grundsätzlich falsch, sie bieten Unternehmen erhebliche Vorteile: An den großen Börsenplätzen dieser Welt lässt sich nämlich deutlich einfacher an Kapital gelangen. Auch Investoren profitieren von dieser Praxis, da sie den Zugang zu Titeln in ausländischen Märkten stark erleichtert. Bei traditionellen Indizes, auf die sich viele ETFs beziehen, kann es allerdings zu Verzerrungen kommen. Durch den Ausschluss von Unternehmen, die nicht an der lokalen Börse gelistet sind oder nur indirekt an einem bestimmten Sektor teilhaben, ignorieren viele traditionelle Regional- und Sektorindizes wichtige Schlüsselelemente. Um ein differenzierteres Bild von der Wirtschaft zu erhalten, bietet es sich daher an, auch Unternehmen, die einen bestimmten Anteil ihres Umsatzes in einem ausländischen Markt erwirtschaften, in den jeweiligen Index mit aufzunehmen. Dasselbe gilt für Unternehmen aus angrenzenden Wirtschaftssektoren, beispielsweise Zulieferer. Beim von MVIS entwickelten Pure-Play-Ansatz liegt diese Mindestanforderung beispielsweise bei 50 Prozent des Umsatzes. So können sich Investoren sicher sein, genauer von der tatsächlichen Entwicklung der Anlageregionen und Branchen zu profitieren, die sie in ihrem Portfolio abbilden möchten.
Börsennotierung oder Absatzmarkt – was entscheidet?
Ein konkretes Beispiel für den Einsatz der Pure-Play-Strategie auf regionaler Ebene ist die X5 Retail Group, das zweitgrößte Einzelhandelsunternehmen in Russland. Die Aktie ist lediglich an der Londoner Börse gelistet, obwohl X5 seinen Umsatz hauptsächlich am russischen Binnenmarkt erwirtschaftet. Zum Vergleich: Im Jahr 2015 entsprach der Umsatz in Höhe von 808,8 Milliarden Rubel etwa ein Prozent des russischen BIPs. Darüber hinaus ist die X5 Retail Group laut Forbes mit über 100.000 Mitarbeitern der sechstgrößte Arbeitgeber in Russland. Das Unternehmen ist also eines der wichtigsten in der russischen Wirtschaft. Da die Aktie aber an der Londoner Börse gelistet ist, ist der Titel im russischen Leitindex RTS nicht aufzufinden. Allerdings wäre das Unternehmen unter Berücksichtigung der Streubesitzkapitalisierung im oberen Drittel des RTS vertreten. Im Gegensatz dazu wird X5 durch den Pure-Play-Ansatz im MVIS Russia Index mit aktuell rund drei Prozent gewichtet, womit es unter den 29 Indexkomponenten im Mittelfeld liegt.
Sektoren nicht zu engstirnig eingrenzen
Ein ähnlich verzerrtes Bild ergibt sich auch bei vielen Sektorindizes. Oftmals werden beispielsweise Lieferanten – etwa im Automobil-, Pharma- oder Rohstoffsektor – nicht als Indextitel berücksichtigt. Dabei sind sie in der Regel stark mit der wirtschaftlichen Entwicklung des entsprechenden Sektors verknüpft. So etwa das australische Eisenbahnunternehmen Aurizon Holdings, welches ein rund 2.700 Kilometer umfassendes Schienennetz für den Transport von Kohle betreibt. Damit ist das Unternehmen ganz entscheidend mit dem Kohlebergbau, einem der wichtigsten Wirtschaftssektoren Australiens, verbunden. Im Jahr 2015 generierte Aurizon Holdings etwa 60 Prozent seiner gesamten Umsätze aus dem Kohletransport. Dieser Anteil entspricht 1,88 Milliarden USD. Mit einer Streubesitzkapitalisierung in Höhe von 5,5 Milliarden USD und einer Gewichtung von etwa 7,5 Prozent ist Aurizon Holdings derzeit der zweitgrößte Titel im MVIS Global Coal Index.
Ein Blick über den Tellerrand
Bei Investments in Indexfonds und ETFs sollten sich Anleger also grundsätzlich überlegen, ob sie sich dabei auf die Entwicklung der Kapitalmärkte oder aber auf die der Wirtschaft fokussieren wollen. Wer sich für letzteres entscheidet, für den lohnt sich ein Blick über die Berechnung traditioneller Indexmodelle hinaus – insbesondere, wenn es dabei um die klassischen Leitindizes geht. Viele vermeintlich kleinere Indizes mit neuen Selektionsgrundlagen bieten ein breiteres Bild und dienen somit als präzisere Indikatoren für komplexe Märkte.