BANKINGNEWS: Als Bitkom vertreten Sie viele Technologieunternehmen, die zunehmend auch Bankdienstleistungen anbieten. Auch wenn die Banken klagen, aber schützt die Regulierung sie letztlich nicht zumindest teilweise vor dem Markteintritt Branchenfremder?
Kevin Hackl: Wir verstehen uns als breit aufgestellter Themenverband. Das heißt: Wir sprechen eben nicht nur für Technologie- oder Telekommunikationsunternehmen oder nur für Fintechs oder Banken. Unser Selbstverständnis ist es, immer alle an einen Tisch zu holen. Aber wir sehen natürlich, dass da in den letzten Jahren viel Bewegung aufgekommen ist.
Wir alle kennen das überstrapazierte Zitat „Banking is necessary, banks are not.“ Da sind wir noch nicht, aber in diese Richtung bewegt sich schon viel. Im Bereich Banking-as-a-Service sind inzwischen eine Reihe neuer Anbieter unterwegs. Wenn wir bei der Regulatorik zum Beispiel das Thema Cloud-Outsourcing herausgreifen und da speziell DORA (Anm.: Digital Operational Resilience Act for the financial sector) betrachten, dann sieht man eine spannende Veränderung.
Denn die Regulatoren schauen sich nicht mehr nur die Financial Entities an, sondern auch die kritischen Drittanbieter und deren Sicherheit. Der Regulator beginnt, seine Hausaufgaben in dem Sinne gut zu machen, dass er verstanden hat, dass der Markt diverser wird und er das abbilden muss. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung Level Playing Field und ermöglicht letztendlich hoffentlich eine bessere Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette sowie einfachere Skalierbarkeit.Insgesamt sehen wir seitens der Europäischen Kommission, dass ein klarer Weg in Richtung Open Banking und Open Finance eingeschlagen wird. Die PSD2 ist erst der Anfang. Das heißt, der „Heimvorteil“ der Banken, Finanzdienstleistungen anzubieten, schwindet nach und nach.
Banken haben auch einen Vorteil gegenüber ihren neuen Mitspielern.
Und wie reagieren Kund:innen auf die neuen und vielfältigen Angebote am Finanzmarkt?
Diese neue Bankenwelt existiert gerade einmal knapp zehn Jahre und inzwischen sind so gut wie alle Altersklassen digital dabei. Erst kürzlich hat unsere Digital-Finance-Studie ergeben, dass 50 Prozent der 16- bis 29-Jährigen sich vorstellen können, ein Girokonto bei einem der großen Technologieunternehmen zu eröffnen.
Gerade jüngere Menschen verbinden das Thema Banking nicht mehr zwingend mit der physischen Bank, die sie vielleicht noch aus Kindertagen kennen. Sie vertrauen eher der Technologie und trauen im Umkehrschluss den großen Technologieanbietern auch zu, das Thema Bank zu beherrschen. Das ist für mich eine spannende Entwicklung und damit auch nur noch eine Frage der Zeit, bis die Kund:innen den Weg dorthin gehen.
Sie gehen doch schon. Das erste Konto im Leben eines Menschen ist doch ein Account bei Apple oder Google – das heißt ja auch Konto. Und wenn dieses Konto schließlich Zahlungen auslösen kann und womöglich auch das Gehalt annimmt, dann haben Banken doch ein Problem, oder nicht?
Ja, wir stehen da gerade am Scheideweg. Aber auch die Älteren steigen ein, und diesen Trend hat COVID-19 weiter verstärkt. Im Online-Banking haben die Senior:innen aufgeholt und insofern wird auch für diese Kundengruppe die Filiale unwichtiger. Daher ist es nur eine Frage der Zeit, bis andere Dienstleister durchstarten werden.
Was bedeutet das im Umkehrschluss?
Ich denke, wir können zwei Dinge klar erkennen: Banken müssen sich die Frage stellen, wie sie mit dem Innovationstempo von Tech-Unternehmen und vor allem auch Fintechs mithalten können. Aber Banken haben auch einen Vorteil gegenüber ihren neuen Mitspielern: Durch ihren über lange Jahre etablierten Zugang zum Markt haben sie eine solide Kundenbasis und Infrastruktur, die Start-ups fehlt. Das wäre eine Chance für Kooperationen, worin wir als Bitkom ein Zukunftsmodell sehen.
Wir denken, dass das vielzitierte Gegeneinander von Banken versus Fintechs, also die vermeintlich Etablierten gegen die jungen Wilden, wenig zielführend ist. Bei gewissen Fintechs, etwa im Kontext Neo-Banken oder Zahlungsverkehr muss man sich ohnehin die Frage stellen, ob sie nicht längst etabliert sind. Nutzerzahlen und Unternehmensbewertungen legen dies zumindest nahe. Manche Kategorien sind veraltet, das binäre Denken ist nicht mehr angebracht.
Banking wird in Zukunft anders funktionieren als heute, aber es gibt weiter eine Daseinsberechtigung für Banken entlang der Wertschöpfungskette. Da wird einiges plattformartig zusammenrücken und eine zunehmende Spezialisierung wird neues Potenzial für Kooperationen wecken. Die klassische Filialbank gerät allerdings zunehmend unter Druck.
Die aktuellen Legacy-Systeme der Banken sind bekanntlich veraltet und verlangsamen die Institute. Bekommen sie ihre Systeme so neu und agil aufgestellt wie ein Fintech, das bei null anfangen kann?
Das ist eine spannende Frage, aber auch ein sehr introvertierter Blick auf das eigene System. Am Ende zählt doch, was bei den Kund:innen ankommt. Wie flexibel kann mein System neue Features andocken, welche neuen Services kann ich anbieten und in welchem Zeitraum? Brauche ich dafür eineinhalb Jahre? Oder kann ich das vielleicht mit einer White-Label-Lösung schneller und besser verwirklichen? Diese Fragen muss jedes Institut individuell bewerten.
Es mag viele Gründe geben, Prozesse und Systeme nicht auszulagern und alles neu zu bauen. Für den Erfolg am Markt brauchen Banken eine Infrastruktur, die es ihnen erlaubt, agil zu handeln und neue Sachen schnell auf den Weg zu bringen. Aber jede einzelne Bank muss mit Blick auf ihr eigenes System entscheiden, wie sie dahin kommt. Nach dem Prinzip Build-or-Buy haben ja Banken und alle anderen Marktteilnehmer die Wahl, ob sie neue Strukturen und Produkte alleine stemmen möchten oder mit starken, spezialisierten Partnern kooperieren wollen. Zum Beispiel im Kontext Infrastruktur – Stichwort „as-a-Service“ – werden wir noch mehr Bewegung sehen.
Banken müssen ihre neue Rolle finden, und ich denke, viele sind auf einem guten Weg. Es sind ja auch viele große Player bei uns im Verband, die sich genau in diesem Prozess befinden.
Wir denken, dass das vielzitierte Gegeneinander von Banken versus Fintechs, also die vermeintlich Etablierten gegen die jungen Wilden, wenig zielführend ist.
Die Fintechs forcieren das Tempo mit ihren breiter werdenden Angeboten deutlich. Was glauben Sie, wie geht es da perspektivisch weiter?
Ja, es ist im Moment viel Bewegung im Markt, wo Dienstleister zunehmend Angebote mit Banking verknüpfen. Aber ich glaube auch, dass sich der Markt ein wenig konsolidieren wird beziehungsweise passiert dies ja auch bereits, wie M&A-Projekte der vergangenen Woche beweisen.
Jetzt werden die Kund:innen ihrerseits entscheiden, wie das passende Angebot aussehen soll. Die Kundenwünsche lauten Komfort, Sicherheit und Vertrauen. Da wird es spannend, wie sich die unterschiedlichen Anbieter aufstellen, und ich glaube nicht, dass allein die Anzahl der Features einer App am Ende entscheidet. Alleine schon unter dem Aspekt der KYC-Prozesse glaube ich, dass Bankkund:innen ein zentrales finanzielles Zuhause begrüßen würden. Daher werden Kooperationen und Plattformen zunehmend interessant.
Aber Banken verdienen Geld, indem sie Beratung anbieten und Kund:innen Produkte kaufen, bei denen Provisionen anfallen oder die Zinserträge abwerfen. Ein Großteil dieser Beratung findet nach wie vor im persönlichen Gespräch und damit in einer Filiale statt.
Das ist kein Argument, denn das lässt sich auch online abbilden. 86 Prozent der Befragten unserer Umfrage halten eine gute Mobile-Banking-App für ein wichtiges Kriterium. Aber nur 58 Prozent halten die Beratung am Schalter für wichtig. Was natürlich niemand will, ist ein schlechter Kundenservice.
Was ich auch spannend finde, ist die Zufriedenheit mit den unterschiedlichen Beratungsarten. Von 1000 Befragten sind nur 61 Prozent mit der Beratung vor Ort zufrieden, aber 79 Prozent mit der Beratung per Video. Es haben insgesamt deutlich weniger Kund:innen den Videocall genutzt, aber das mag auch am fehlenden Angebot gelegen haben. Das wird sich in Zukunft ändern. Viele Gespräche lassen sich digital abwickeln, ohne dass man vor Ort einen Termin wahrnehmen muss, was durchaus im Sinne vieler Kundinnen und Kunden ist.
Zum Abschluss eine Frage, die ein bisschen apokalyptisch klingt: Kommt mit Decentralized Finance (DeFi) der letzte Sargnagel für die Banken?
Hier bräuchte ich den sprichwörtlichen Blick in die Glaskugel. Allerdings ist das auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Natürlich ist dieses Thema im Moment omnipräsent. Spätestens mit der rasanten Entwicklung des Bitcoins ist das Thema in der breiten Masse angekommen. Aber: Decentralized Finance ist noch maximal nebulös und nur von einer kleinen Minderheit verstanden. Da werden in der Debatte Kryptoassets mit Coins verwechselt.
Wir vermischen volatile Entwicklungen eines Bitcoins mit der Idee eines Stablecoins. Wir vermischen Vorgänge der Tokenisierung von Wertpapieren mit Decentralized Finance. Digitales Zentralbankengeld ist etwas anderes als ein Stablecoin. Es gibt so viele unterschiedliche Anwendungsbereiche.Die Europäische Zentralbank wird sich mit dem Thema befassen und wird wahrscheinlich die Banken als Intermediäre beim Digitalen Euro ins Boot nehmen.
Das heißt, nicht alles, was im Kontext Digitalwährungen oder Decentralized Finance diskutiert wird, läuft automatisch an den Banken vorbei. Wie sich das am Ende ausgestaltet, wird sich zeigen. Es gibt ein disruptives Potenzial. Aber technologieseitig bieten sich auch viele Chancen, Prozesse zu verknüpfen und zu automatisieren. Pay-per-Use-Modelle haben zum Beispiel großes Potenzial, auch für die Industrie. Ich persönlich glaube, dass das Ökosystem aber dadurch nicht automatisch aus den Angeln gehoben wird. Einzelne traditionelle Geschäftsmodelle von Banken werden sicherlich kleiner werden oder gar wegfallen.
Dafür ergeben sich neue Chancen wie zum Beispiel Kryptoverwahrung. Es ist aber noch zu früh, das abschließend zu beurteilen. Fest steht aber: Wer mit der Zeit geht, Kundenwünsche integriert und Veränderungen positiv in sein Geschäftsmodell integrieren kann, wird auch in Zukunft bestehen können. Das gilt für Banken ebenso wie für Fintechs und Tech-Unternehmen.
Interview: Ronja Wildberger und Thorsten Hahn
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