Alles begann mit dem Tweet einer 17-jährigen Schülerin: „Ich bin fast 18 und habe keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherung. Aber ich kann ’ne Gedichtanalyse schreiben. In vier Sprachen.“ Dass in der Schule nicht fürs Leben gelernt wird, hat schon der Philosoph Seneca bemängelt. Und seitdem hat sich wenig geändert. Wissensvermittlung über Finanzen, Geld und Co. Ist in deutschen Schulen eher Ausnahme als die Regel. Eine deutschlandweite Financial Literacy-Strategie gibt es bisher nicht. Das soll sich aber ändern. Im März 2023 wurde in Berlin von Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger die Initiative „Aufbruch finanzielle Bildung“ ins Leben gerufen. Diese soll mit einer neuen nationalen Finanzbildungsstrategie die „aktuell in Deutschland bestehenden Defizite beim Finanzwissen benennen und daraus zugleich konkrete Handlungsempfehlungen ableiten“.
Der Auftakt und die Bereitschaft, eine nationale Finanzbildungsstrategie zu entwickeln, müssen als Meilensteine gewertet werden. Noch 2021 schrieb das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), dass das Nichtvorhandensein einer solchen Strategie „mit Zweifeln an der Wirksamkeit“ begründet wird. Umso besser, dass nun Bewegung in die Sache kommt. Denn für viele Menschen – und ja, das betrifft nicht nur die jüngeren – ist es eine Herausforderung, ein Bankkonto zu eröffnen, die Relevanz von Zinsen beziehungsweise Zinseszins zu verstehen oder privat fürs Alter vorzusorgen. An dieser Stelle tritt das erste Problem auf, Finanzbildung allein auf junge Menschen zu konzentrieren. Schülern und Altersgenossen Finanzbildung zugänglich zu machen ist zwar gut und notwendig, holt aber nur einen Bruchteil der Gesellschaft ab.
Damit werden all die Menschen vernachlässigt, die bereits in Lohn und Brot stehen. Dabei sind es gerade sie, die aktiv am Wirtschaftsleben teilnehmen und weitreichende Finanzentscheidungen treffen (müssen). Das Kuriose dabei ist: Der internationale Vergleich bescheinigt den Deutschen ein relativ hohes Finanzwissen. Nur Österreich, Slowenien und Hongkong (China) schneiden im OECD-Vergleich besser ab. Das bedeutet aber nicht, dass Finanzwissen in Deutschland gleichmäßig verteilt ist. Es sind insbesondere Frauen, ältere Menschen, Personen mit geringem Bildungsstand und Einkommen, die in puncto Finanzwissen Nachholbedarf haben.
Eine Financial Literacy-Strategie muss für alle da sein
Bevor es darum gehen kann, wie eine Financial Literacy-Strategie dabei helfen kann, Finanzwissen in die breite Masse zu tragen, muss erst einmal geklärt werden, was darunter zu verstehen ist. Für die OECD ist Financial Literacy „die Kombination aus dem Bewusstsein, dem Wissen und den Fähigkeiten, die notwendig sind, um eine Einstellung und ein Verhalten zu entwickeln, welches es Menschen ermöglicht, fundierte finanzielle Entscheidungen treffen zu können und individuelles finanzielles Wohlergehen zu erreichen.“
Es geht also um weit mehr als das grundlegende Verständnis von Inflation, Zinsen und Risikoeinschätzung. Auch Finanzverhalten und die Einstellung zu Geld müssen in die Planung einer Financial-Literacy-Strategie einfließen. Denn nur so kann überhaupt sichergestellt werden, dass Menschen zum einen ein Bewusstsein für die unterschiedlichen Finanzprodukte und deren Nutzen, zum anderen finanzielle Resilienz sowie ein finanzielles Wohlbefinden (Financial Wellbeing) entwickeln. Finanzthemen sind ein wichtiger Bestandteil im Leben eines jeden Menschen. Sie umfassen den Umgang mit Taschengeld und den ersten Handyvertrag, die Altersvorsorge, Versicherungen und den eventuellen Erwerb einer Immobilie und die dazugehörige Finanzierung. Im Rahmen dieser Entscheidungen sind Grundkenntnisse über finanzielle Zusammenhänge und Finanzprodukte erforderlich, die die Menschen dazu in die Lage versetzen, ihr wirtschaftliches Umfeld einzuschätzen und auf dieser Basis potenzielle Erlöse und Risiken verantwortlich abzuwägen.
Finanzielle Bildung ist zugleich auch proaktiver Verbraucherschutz, der es den Menschen ermöglicht, bedarfsgerechte, kompetente und im Rahmen ihrer eigenen Lebenssituation sinnvolle Anlage-, Kredit- und Versicherungsentscheidungen zu treffen. Dabei ändern sich die individuellen Herausforderungen im Verlauf eines Lebens. Eine nachhaltige Finanzbildung erfordert somit auch einen lebensbegleitenden Ansatz. Eine gute Strategie muss aber auch der Tatsache Rechnung tragen, dass es Zielgruppen gibt, die aufgrund bestehender oder potenziell neu auftretender Schwachstellen oder ihres spezifischen Finanzbildungsbedarfs zusätzliche Ressourcen und gezielte Unterstützung benötigen. Diese konkreten Bedürfnisse müssen bei der Konzeption berücksichtigt werden.
Aber wie kann es gelingen, gerade die Menschen zu erreichen, die sonst nicht erreicht werden? Es gibt eine Vielzahl von Programmen, die von Finanzbildung im Klassenzimmer, Onlineangeboten über individualisierte Beratungsangebote bis hin zu Nudging reicht. Letzteres meint Informations- und Verhaltensanreize, die beispielsweise durch Apps wie Fabit oder Informationsbroschüren vermittelt werden.
Wirksame Maßnahmen schaffen
Die Wirksamkeit der Programme unterscheidet sich je nach Zielgruppe. Tabea Bucher-Koenen und Caroline Knebel kommen in ihrer Analyse „Finanzwissen und Finanzbildung in Deutschland – Was wissen wir eigentlich?“ zu dem Ergebnis, dass Programme, die sich auf Personen mit niedrigem Einkommen konzentrieren, weniger effektiv sind. Aber auch verpflichtende Angebote haben weniger Erfolg als solche, die auf freiwilliger Basis stattfinden. Dafür sind Programme, die genau dann stattfinden, wenn eine Person Entscheidungen in Bezug auf ihre Finanzen treffen muss, besonders vielversprechend.
Solche „Teachable Moments“ sind laut OECD etwa Hochzeiten, Schwangerschaften, Jobwechsel, Umzüge, Scheidungen, Arbeitslosigkeit oder der Renteneintritt. Auf solche Momente kann die Schule nicht vorbereiten. Denn Finanzwissen wird oft nur durch Erfahrung erworben. Das Problem dabei ist, dass Menschen, die solche Situationen zum ersten Mal erleben, keine Erfahrung damit haben und daher Fehler machen können, die schwerwiegende finanzielle Auswirkungen haben. Um das zu verhindern, ist es dringend erforderlich, eine zentrale Plattform zu schaffen, die Finanzbildungsangebote für verschiedene Nutzerbedürfnisse bündelt.
Neben bewussten Entscheidungen treffen viele Menschen auch unbewusste Entscheidungen, die sich massiv auf ihre finanzielle Situation auswirken können, wie die Wahl eines Ausbildungsberufs oder Studienfachs. In diesen Situationen sollte die Finanzaufklärung institutionalisiert und Teil der Bildungsstrategie sein, zum Beispiel durch Informationsangebote an der Universität oder durch Arbeitgeber. Solche Maßnahmen ermöglichen es, elementare Grundlagen für finanzielle Unabhängigkeit und mündige Finanzentscheidungen zu schaffen, die zu individueller Freiheit und einem höheren allgemeinen Wohlstand der Gesellschaft führen. Denn so stärkt eine bessere finanzielle Bildung nicht nur die individuelle wirtschaftliche Unabhängigkeit, sondern trägt auch zur Stabilität der Finanzmärkte bei.
Susanne Krehl
ist Gründerin und Managing Director bei Fabit.