Zum Auftakt der Veranstaltung äußerte sich sogar die Politik. Dass Handlungsbedarf besteht, machte Dr. Florian Toncar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, in seinem Vortrag deutlich: „Die Ressourcen von Deutschland müssen jetzt in Neues fließen“, denn das, was uns in der Vergangenheit Wohlstand beschert hat, stößt jetzt an seine Grenzen. Mit einem Appell für Modernisierung betonte Toncar insbesondere die Themen Finanzierung, Talente und Regulierung als essenzielle Schraubstellen, um sich vor allem auch auf dem europäischen Markt behaupten zu können.
Darüber hinaus wurde die politische Perspektive auch von Stefan Evers, Bürgermeister und Senator für Finanzen des Landes Berlin, vertreten. Als Sprachrohr für das Bundesland betonte er das Potenzial der Hauptstadt und zeigte sich zuversichtlich, dass die Hauptstadt auch den Status als Fintech-Hauptstadt Deutschlands, sogar Europas, erreichen könne. „Berlin ist eine Stadt, die immer im Werden ist, eine Stadt des Fortschritts, der Veränderung – wie auch die Finanzbranche“, stellte Evers fest. Gleichermaßen rief er die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in Erinnerung, der die Bundesregierung zu wenig entgegenwirken würde. „Wir in Berlin versuchen das voranzutreiben“ – womit sie am Ende des Tages aber nur ein Bundesland sind. Um nachhaltig etwas bewirken zu können, müsse der ganze Staat an einem Strang ziehen.
Beendet wurde der Einstiegsblock der FintechWorld von Dominik Schütz, Leiter des Innovation Labs der LBBW, als Repräsentant der größten Landesbank Deutschlands. Er beleuchtete den ausgeprägten Innovationssinn von Tech-Startups: „Selbst ein innovatives Unternehmen wie Apple setzt auf die Innovationen von Top-Startups.“ Warum also nicht auch Banken? Es bestehe eine hohe Dringlichkeit, dass sich Finanzdienstleister mit Tech-Startups beschäftigen und sich von ihrer Innovationsfähigkeit inspirieren lassen. Sein Aufruf lautete: Kaufen statt Investieren – und zwar Lösungen von Startups. Banken sollten ihr Mindset bezüglich der Startup-Szene ändern und den Vorteil für sich erkennen. Denn Startups könnten etwas, was viele Banken nicht können, so Schütz.
Was tun gegen fehlende Vielfalt in der Finanzbranche?
Ein weiterer Punkt, an dem die Finanzbranche noch hart arbeiten muss, ist Diversität. Dieses Themas nahm sich Caro Beese, Gründerin der Female Fintech Friends, mit Herzblut an und moderierte einen Programmpunkt zu Women in Finance. Ziel dessen, was hier besprochen und diskutiert wurde: Die Frauen in der Finanzbranche zu fördern, und zwar bis hoch in die Führungsriege. So genießen in diesem Programmpunkt weiße, heteronormative Frauen als eine exemplarische Minderheit in der männerdominierten Bankbranche zwar ein gewisses Aufmerksamkeitsprivileg – klar ist aber, die Branche braucht Diversität. Und dies impliziert eben auch beispielsweise Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderung oder Angehörige der LGBTQ+ Community.
Alex Gessner, Chief Operation Officer der ACI Consulting GmbH, liefert Zahlen: das unausgeschöpfte Potenzial von Women in Finance liege bei 700 Milliarden US-Dollar. Man könnte also salopp sagen: die Branche lässt Geld liegen. Es gebe verschiedene Wege, aktiv zu werden und entgegenzusteuern, etwa durch die Abschaffung diskriminierender Bürokratie, Gespräche auf Augenhöhe und Offenheit. Zum Ende legte Gessner der Teilnehmerschaft ans Herz, sich auch beim Netzwerken immer im Halbkreis zu formieren. Auf diese Weise stelle man sicher, keine Ablehnung zu signalisieren und offen als Gruppe zu wirken für all diejenigen, die sich einen Platz im Kreise wünschen. Mühelos lässt sich dieser Ratschlag auch auf die Bankorganisation übertragen. Veränderung passiert nicht über Nacht.
Nichtsdestotrotz macht sich Frustration breit, wenn sich kulturell gefühlt nichts verändert. „Aus meiner Sicht sind wir auf gar keinem guten Weg, wir sind eigentlich da, wo wir vor 20 Jahren auch schon standen“, klagt Til Klein, Founding Partner der Identity Ventures, in der Paneldiskussion zum Thema Diversität in der Finanzbranche. Sich hier auf jüngere Generationen in der Tech-Startup-Riege zu verlassen sei auch ein Trugschluss, denn hier herrsche kein anderer Diversitätsstatus als in anderen Institutionen. Einigkeit in der Diskussionsrunde besteht beim Thema Quote. Galina Kersten, EMEA Head of Fintech & Platform Sales bei Deutsche Bank, ist sich sicher: „Ohne geht es nicht. Man muss es tracken können, ohne kommen wir nirgendwo hin.“
Steigende Bedeutung von Corporate Influencer Marketing
Ein weiteres Highlight auf der FintechWorld markierte Jürgen Schmitt, der als Corporate Influencer der Deutschen Bank Popularität innerhalb der Branche gewonnen hat. Sein Statement: „Corporate Influencer Marketing wird immer wichtiger“. Im heutigen Zeitalter seien Corporate-Seiten weniger attraktiv als persönliche Seiten, weshalb er dafür plädiert, Mitarbeitern mehr Freiraum zum Posten zu geben. „Die Königsdisziplin für Corporate Influencer: Engagiert euch bei Leuten, die dasselbe Thema bespielen.“ Besonders war auch der gemeinsame Vortrag von Christoph Sahrhage, Referent Strategische Unternehmensentwicklung von der Stadtsparkasse Düsseldorf, und Niclas Storz, Gründer und CEO der Tidely GmbH.
Herausforderung Liquiditätsmanagement
Ein Jahr nach Tidelys Sieg in der Themenwelt Accounting auf der FintechWorld23 konnte Storz von der Kooperation mit der Stadtsparkasse Düsseldorf berichten. Die beiden benanntenin ihrem Vortrag das Liquiditätsmanagement als größte Herausforderung von Unternehmenskunden, was sie auch alsmAusgangslage ihrer Zusammenarbeit beschreiben. Tidely soll hier nämlich als unabhängige cloudbasierte SaaS-Lösung für das Liquiditätsmanagement von Unternehmen, in dem konkreten Fall für die Sparkasse, unterstützen. Das Resümee: Sparkasse und Fintechs passen definitiv zusammen.
Noch ein Novum auf der Veranstaltung war die Live-Aufnahme des „Plaudertaschen“-Podcasts. Wie auch die FintechWorld befasst sich „Plaudertaschen“ mit dem Banking von morgen. Neben Robin Nehring und Thorsten Hahn als Moderatoren der Gesprächsrunde waren Anna Friesen, Leiterin des Sparkassen Innovation Hub, und Björn Wolf, CEO von Lendorse und Wettbewerber in der Themenwelt Finanzierung, mit dabei. Besprochen wurde hier die Geschäftsidee von Lendorse, die sich damit befasst, Studierende aus dem nichteuropäischen Ausland mit der nötigen Bildungsfinanzierung zu versorgen.
Der Gedanke dahinter ist, dass nicht der Geldbeutel der Eltern darüber entscheiden soll, wer die Bildung bekommt, sondern die Eignung. Wolf erklärte: „Der Grund, warum wir überhaupt existieren, ist auch teilweise, dass Banken diese Lücke nicht bedienen. Das liegt daran, dass in der klassischen Kreditentscheidung unsere Kunden durchfallen. Wir agieren dann als Bankenersatz und übernehmen diese Aufgabe – nämlich die Finanzierung von Leuten, die eine gute Kreditwürdigkeit haben, die aber Banken nicht wahrnehmen können, weil die klassischen Feststellungen der Kreditwürdigkeit zum Beispiel bei Leuten ohne Schufa-Auskunft nicht klappen.“
Anna Friesen, die als Leiterin der zentralen Innovationseinheit in der Sparkassenfinanzgruppe an kundenzentrierten Lösungen arbeitet – gerne auch mit Fintechs – verriet außerdem, in welchem Thema sie großes Zukunftspotenzial sieht: „Welcher Trend mich persönlich grade umtreibt, ist das Thema Apple Vision Pro. Ich glaube, das kann viel verändern, weil es wirklich ein erstaunlich gutes Erlebnis ist.“
Wieso braucht die Finanzbranche Veranstaltungen wie die FintechWorld? Die Zukunft bringt neue Herausforderungen und Probleme mit sich. Die Lösungen von heute sind nicht zwangsläufig auch die Antworten auf die Fragen von morgen. Die Bank- und Finanzwelt ist heute so divers wie nie zuvor, die Digitalisierung hat neue Formen herbeigeführt und damit andersartige Akteure in den Markt zugelassen, neue Kommunikationsformen und Produkte etabliert. Plattformen, die Austauschmöglichkeiten schaffen, sind hier von essenzieller Bedeutung, denn sie führen uns die Vielfalt von Lösungsanbietern und -ideen vor Augen. Gemeinsam kann sich die Branche auf das nächste Level heben und für die Zukunft rüsten.
Die nächste FintechWorld25 findet am 22. und 23. Januar in Köln statt. Tickets und Infos unter gibt es hier.